Blicke ins Nervensystem

Wie funktioniert das Gehirn?

Schnelle Leitung von Nervenimpulsen

© Adapted from Rey S, Ohm H et al. eLife 2023. DOI: 10.7554/eLife.85752

Nervenstränge, die vom Bauchmark einer Taufliege, dem Pendant zum menschlichen Rückenmark, zu den Beinen führen. Dargestellt sind Natriumkanalproteine (grün) in den langen Fortsätzen der Nervenzellen, die Reize weiterleiten. Pink leuchten die Zellkerne von Gliazellen. / Konfokale Fluoreszenzmikroskopie

Ein Netzwerk aus Nervenzellen durchzieht den Körper von Menschen und Tieren. In Form von elektrischen Impulsen übertragen die Nerven Signale von den Sinnesorganen zum Gehirn und vom Gehirn und Rückenmark in den ganzen Körper. Über einen langen Zellfortsatz, das Axon, leiten Nervenzellen die Impulse weiter. Dabei öffnen sich Kanäle in der Membran der Axone. Geladene Teilchen, die Natrium- und Kaliumionen, strömen durch diese Kanäle und verteilen sich um. Dadurch ändert sich die Spannung und es entsteht ein elektrischer Impuls. Die Verteilung der Kanäle bestimmt die Geschwindigkeit der Signalweiterleitung. Gliazellen unterstützen die Arbeit der Nervenzellen. Sie bilden eine isolierende Schicht um die Axone, die Voraussetzung für eine schnelle und präzise Reizweiterleitung ist.

Wir haben gezeigt, dass die Ionenkanäle an den Axonen bei der Taufliege nicht so gleichmäßig verteilt sind wie immer angenommen. Am Anfang vieler Axone befindet sich – wie beim Menschen – eine sehr große Menge an Ionenkanälen. Dort entscheidet sich, ob ein Impuls generiert wird. Auch im weiteren Verlauf der Axone sind die Ionenkanäle in Clustern angeordnet. Wir konnten zeigen, dass die Gliazellen sowohl die Menge als auch die Verteilung der Kanäle regulieren, und dass sie eine Myelin-ähnliche Isolierschicht bilden. Dies legt nah, dass im Nervensystem der Taufliege eine „saltatorische Reizweiterleitung“ möglich sein könnte, die bislang als spezifisch für Wirbeltiere angesehen wurde – dabei „springen“ die elektrischen Nervenimpulse sehr schnell von Ionenkanalcluster zu Ionenkanalcluster. Aufgrund dieser Ähnlichkeiten könnte die Taufliege als Modell dienen, die Myelin-Bildung und -Regeneration genauer zu erforschen. Dies ist mit Blick auf Erkrankungen wie die Multiple Sklerose von Bedeutung, bei der die Myelinschicht der Nervenzellen geschädigt wird.

Henrike Ohm und Christian Klämbt
Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie, Uni Münster

Ein Feuerwerk aus Nervenzellen

Im Labor

© Maite Ogueta, Uni Münster
  • Mit diesem Versuchsaufbau untersuchen wir, wie die innere Uhr von Taufliegen deren Verhalten steuert. Wir messen, wie Taufliegen, die sich in verschiedenen Uhr- oder Rezeptorgenen unterscheiden, auf äußere Bedingungen wie Licht und Temperatur reagieren und welchen Einfluss sie auf den Schlaf-Wach-Rhythmus der Fliegen haben.
    © Uni Münster - Erk Wibberg
  • In jedem Glasröhrchen befindet sich eine Taufliege. Wenn die Fliege hin und her läuft, unterbricht sie einen Infrarotstrahl, was über einen Sensor registriert wird. Die Anzahl der Unterbrechungen gilt als Maß für die Aktivität des Tieres.
    © Uni Münster - Erk Wibberg
  • Am Mikroskop analysieren wir, welche molekularen Mechanismen der inneren Uhr zugrunde liegen. Viele grundlegende Prinzipien der biologischen Zeitmessung sind früh in der Evolution entstanden. Untersuchungen bei der Taufliege können uns daher Hinweise liefern, wie ähnliche Vorgänge auch beim Menschen ablaufen könnten.
    © Uni Münster - Erk Wibberg
  • Für die Untersuchung von Taufliegen am Mikroskop sind einige Vorbereitungen nötig. Anhand der Flügelform oder Augenfarbe lassen sich die vier Chromosomen der Taufliegen unterscheiden.
    © Uni Münster - Erk Wibberg
  • Im Multiscale Imaging Centre werden mehr als 3000 Fliegenstämme in kleinen Röhrchen gehalten.
    © Uni Münster - Erk Wibberg
  • Jedes Röhrchen ist mit dem Namen der jeweiligen genetischen Variante beschriftet. Die Fliegen vermehren sich schnell und benötigen als Nahrung nur etwas Maisbrei und Trockenhefe.
    © Uni Münster - Erk Wibberg

Sehzellen (pink) im Facettenauge einer Taufliege. Grün leuchtet ein Protein, das an der Taktung der inneren Uhr beteiligt ist. / Konfokale Fluoreszenzmikroskopie

Menschen, Tiere, Pflanzen und einzellige Organismen besitzen einen inneren Rhythmus, der durch das Gehirn getaktet wird. Er dauert etwa 24 Stunden und steuert periodisch viele Prozesse im Körper und das Verhalten – beispielsweise den Schlaf-Wach-Rhythmus. Über Faktoren wie Licht und Temperatur passen Organismen ihre innere Uhr dem äußeren Tag-Nacht-Rhythmus an. Wenn wir zum Beispiel nachts vor dem Bildschirm sitzen, suggeriert das Licht dem Gehirn, es sei Tag, und unsere innere Uhr gerät aus dem Takt. Solche Prozesse untersuchen wir bei der Taufliege. Sie funktionieren beim Menschen erstaunlich ähnlich und werden durch verschiedene „Uhr-Gene“ gesteuert. Bei der Taufliege kodiert eines der Gene, das für die Weiterleitung von Lichtsignalen an die innere Uhr wichtig ist, das Protein „Quasimodo“. Dieses Protein löst im Gehirn eine Kette von molekularen Prozessen aus, die die innere Uhr nach dem äußeren Tag-Nacht-Rhythmus stellen. Um diese Signalkette besser zu verstehen, haben wir hier untersucht, wo genau dieses Protein im Auge der Fliege zu finden ist.

Das Facettenauge der Fruchtfliege besteht aus 800 Einzelaugen – auf dem Bild zu sehen sind ungefähr 50. Jedes dieser Augen enthält 19 Zellen, von denen einige an die Form von Stäbchen und Zapfen beim Menschen erinnern. Diese spezialisierten Sinneszellen – die Fotorezeptorzellen – wandeln Lichtreize in elektrische Erregungen um und tragen so dazu bei, die innere Uhr mit dem täglichen Licht-Dunkel-Wechsel zu synchronisieren. Hier zu sehen ist einer von acht Typen der Fotorezeptorzellen („R8“, stäbchenförmig in pink). Das Protein Quasimodo (grün) kommt in Zellen vor, die sich oberhalb der Fotorezeptorzellen befinden und die Linse der Einzelaugen formen. Besonders interessant für uns ist das Hofbauer-Buchner-Äuglein (rundlich in pink): Diese vier Zellen leiten Lichtreize auf direktem Weg zu spezialisierten Schrittmacher-Uhrneuronen im Gehirn.

Maite Ogueta und Ralf Stanewsky
Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie, Uni Münster

Nervenfasern sichtbar machen

Im Labor

© Bastian Maus, Uni Münster
  • Im Multiscale Imaging Centre steht ein hochmoderner Magnetresonanztomograph (MRT) für die Bildgebung bei Mäusen und Ratten. Das Gerät ist deutlich kleiner als klinische Tomographen – aber wesentlich leistungsfähiger.
    © Uni Münster - Michael Kuhlmann
  • Das Herzstück unseres Kleintier-MRTs ist ein starker supraleitender Magnet von 9,4 Tesla. Dieser ist 100.000-mal stärker als das Erdmagnetfeld. Normalerweise ist ein Gehäuse um den Magneten montiert, das für die Fotoaufnahme abgenommen wurde.
    © Uni Münster - Michael Kuhlmann
  • Das Streufeld des Magneten ist aus Sicherheitsgründen abgeschirmt. Denn durch die magnetischen Kräfte könnten elektrische Geräte wie Herzschrittmacher gestört werden oder Metallgegenstände magnetisch angezogen werden.
    © Uni Münster - Michael Kuhlmann
  • In einem weiteren Labor im MIC wurde ein „Kupfer-Käfig“ (Faraday‘scher Käfig) installiert. Dieser verhindert, dass elektromagnetische Strahlung wie Handyfrequenzen die MRT-Messungen stören. Inzwischen steht dort ein Hybridgerät, das die MRT mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) kombiniert.
    © Uni Münster - Michael Kuhlmann
  • Ein Blick durch eine Glasscheibe auf das Kleintier-PET-MRT im MIC. Unser Team entwickelt neue Möglichkeiten, Bilder aus dem Körperinneren aufzunehmen und untersucht damit biomedizinische Fragen.
    © Uni Münster - Michael C. Möller
  • Um mit der MRT für eine bestimmte Fragestellung den optimalen Bildkontrast zu erzielen, können wir verschiedene physikalische Parameter variieren („MRT-Sequenzen“). Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist zudem, die komplexen Daten in aussagekräftige Bilder umzurechnen.
    © Uni Münster - Michael Kuhlmann

Nervenfasern im Gehirn einer Maus nach einem Schlaganfall. In der rechten Hirnhälfte sind gesunde Nervenfasern dargestellt (golden). In der linken Hirnhälfte haben wir das Corpus callosum (auch bekannt als „Balken“, lila) am Computer abgegrenzt und mit der Hirnanatomie (grau) hinterlegt. Das Corpus callosum verbindet die beiden Hirnhälften. Durch den Schlaganfall ist Gewebe geschädigt worden und in den Faserstrukturen eine Lücke entstanden. / 3D-Darstellung mittels diffusionsgewichteter Magnetresonanztomographie (MRT)

Das Gehirn von Mäusen und Menschen lässt sich mit der MRT sehr gut untersuchen. Um Bilder zu erstellen, erzeugt die MRT starke Magnetfelder, auf die die Wasserstoffatome in Wasser- und Fettmolekülen in unseren Körpergeweben reagieren („Magnetresonanz“). Die Anzahl und chemische Umgebung der Atomkerne unterscheidet sich je nach Gewebe und erzeugt so unterschiedliche Bildkontraste. Die hier gezeigte Aufnahmetechnik erfasst, wie sich die Wassermoleküle im Gehirn bewegen. Wassermoleküle sind nämlich ständig in zufälliger Bewegung – ein Phänomen, dass sich beobachten lässt, wenn Tee zieht, und sich Wasser und Tee-Teilchen selbständig vermischen (Diffusion). Im Gehirn diffundieren die Wassermoleküle entlang der Nervenfasern. Über ihre Bewegungsspuren können wir auf die Struktur und den Verlauf der Nervenfasern schließen.

An der Struktur des Corpus callosum lässt sich einschätzen, wie schwer die Verknüpfung zwischen beiden Hirnhälften beispielsweise durch einen Schlaganfall geschädigt wurde und wie gut die Genesung voranschreitet. Bei unserer Untersuchung ging es um die Frage, wie sich körperliche Betätigung und Ernährung bei Mäusen nach einem Schlaganfall auf die Hirnstrukturen auswirken. Die Nervenfasern des Corpus callosum verdichteten sich und veränderten ihre zelluläre Struktur. Die diffusionsgewichtete MRT ist klinisch etabliert und ermöglicht es, Nervenfasern auch bei Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Die Forschungsarbeit dient hier als Grundlage für die spätere Entwicklung einer klinischen Routine. Die außergewöhnliche Auflösung und der Detailgrad der 3D-Strukturen sind aktuell erst bei Messzeiten von circa acht Stunden erreichbar. Dazu wurde das vom Schädelknochen umgebene Gehirn vor der Untersuchung entnommen. Die bei Mäusen gewonnenen Erkenntnisse gleichen wir jetzt in einer Pilotstudie mit Schlaganfallpatienten ab.

Bastian Maus
Klinik für Radiologie, Uni Münster
Die Studie ist ein gemeinsames Projekt mit Frederike Straeten und Antje Schmidt-Pogoda, Universitätsklinikum Münster, Klinik für Neurologie.

Hirnaktivität in Bildern darstellen

© Hui-Fen Chen, Bruno Pradier; background c57bl/6j model by Janke AL et al. 20th Annual ISMRM Scientific Meeting and Exhibition 2012. https://imaging.org.au/AMBMC/Model/

Aktive Bereiche (bunt dargestellte Signale) im Maushirn als Reaktion auf einen Schmerzreiz. Gezeigt wird der Mittelwert von zehn weiblichen Mäusen. Rot dargestellt ist ein Hirnareal, das bei allen Tieren aktiv ist. / Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) – zur Verortung dahinter gelegt ist eine anatomische MRT-Darstellung eines typischen Maushirns (grau).

Verschiedene Bereiche unseres Gehirns arbeiten auf eine ganz bestimmte Weise zusammen. Diese Hirnnetzwerke untersuchen wir bei Mäusen mithilfe der funktionellen MRT. Dort, wo das Gehirn aktiv ist, benötigt es besonders viel Sauerstoff – das bedeutet, dort verändern sich der Blutfluss, das Blutvolumen und damit die Sauerstoffversorgung. Diese hämodynamische Antwort auf die Aktivität des Nervensystems können wir mit der fMRT im zeitlichen Verlauf sichtbar machen. Da die gleiche Bildgebung auch bei Menschen eingesetzt werden kann, ist das Potenzial groß, dass sich Erkenntnisse bei Mäusen für klinische Anwendungen nutzbar machen lassen. Wir untersuchen beispielsweise Formen der Epilepsie und verschiedene Arten von Schmerz. Wenn wir die Hirnaktivität unter solchen Bedingungen besser verstehen, kann dies dazu beitragen, Diagnosen und Therapien zu verfeinern.

Hinter dem hier gezeigten Bild steht die klinische Beobachtung, dass Frauen nach einer Operation ein größeres Risiko haben, chronische Schmerzen zu entwickeln, als Männer. Wir untersuchen, welche Mechanismen dahinterstecken. Hier haben wir bei weiblichen und männlichen Mäusen die Hirnaktivität gemessen, während wir an einer Hinterpfote durch Berührung Reize setzten. Auf diese Weise untersuchten wir die Überempfindlichkeit nach einer durch einen Hautschnitt simulierten Operation. Während der Untersuchung liegen die Mäuse in Narkose. Um Messungen verschiedener Tiere miteinander vergleichen zu können, ordnen wir die entstehenden Daten zunächst einem Referenzbild zu. Dann berechnen wir, wie die Reize und die Aktivität verschiedener Hirnareale im zeitlichen Verlauf zusammenspielen. Es zeigte sich, dass weibliche Mäuse unter gleichen Bedingungen der Schmerzverarbeitung eine stärkere Hirnaktivität haben als männliche Tiere – die höhere Empfindlichkeit lässt sich bei weiblichen Mäusen also objektiv messen. Auf dieser Grundlage können wir weiter untersuchen, durch welche Mechanismen Schmerz geschlechterspezifisch verarbeitet wird und wie verschiedene Medikamente helfen können. Der Reiz in der rechten Hinterpfote zeigt sich übrigens in der linken Hirnhälfte, da die Körperhälften bei Tieren und Menschen mit der jeweils gegenüberliegenden Hirnhälfte gekoppelt sind.

Bruno Pradier und Lydia Wachsmuth
Klinik für Radiologie, Uni Münster
Die Arbeiten zur Schmerzverarbeitung sind ein gemeinsames Projekt mit Esther Pogatzki-Zahn und Daniel Segelcke, Universitätsklinikum Münster, Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie.