Nicht nur im Obduktionssaal engagiert: Prof. Dr. Johannes Friemann vor der Titelseite eines Berliner Ärzteblattes, das seinen ersten Beitrag zum Thema Obduktion enthält.
© Privat

„Wir müssen von den Toten lernen“

WWU-Alumnus Prof. Johannes Friemann obduziert COVID-19-Opfer

Artikel zum Download

Dieser Text stammt aus dem alumni|förderer-Magazin der Universitätszeitung "wissen|leben", Ausgabe Wintersemester 2021/2022.

Dieser Bericht ist Teil der Reihe "Alumni-Köpfe" des Alumni-Vereins „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster.

Autorin: Maja Wollenburg

Auch im zweiten Jahr der Pandemie riss die Arbeit zunächst nicht ab: WWU-Alumnus Prof. Dr. Johannes Friemann und sein Team obduzierten auch Anfang 2021 fast wöchentlich Menschen, die an oder mit COVID-19 gestorben sind. Bis April 2020 war der Pathologe Direktor des Instituts für Pathologie der Märkischen Kliniken in Lüdenscheid und Leiter des dortigen Klinik-Standortes. Jetzt, mit 68 Jahren, arbeitet er dort in Teilzeit. Seit sechs Jahren ist er Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Pathologen (BDP) und weiß: „Aktuelle und künftige Kenntnisse für die Diagnostik und Therapie bei COVID-Erkrankungen werden auch heute noch durch eine unverzichtbare Methode erzielt: durch die klinische Obduktion.“

Sein Hauptziel: Wissen zu sammeln über einen Erreger und über eine Krankheit, die die ganze Welt beschäftigt. Laut einer Umfrage des BDP im Juni 2020 beteiligten sich 26 von 450 deutschen Pathologie-Instituten an der Obduktion von COVID-Opfern. „Nur zwei Prozent aller an dem Virus Verstorbenen wurden obduziert. Die Zahlen sind viel zu niedrig. Ein weiterer Anlass, die bundesweit äußerst schwierigen Rahmenbedingungen für das Obduzieren zu verbessern“, mahnt Johannes Friemann. Mit anderen Kollegen im Bundesverband Deutscher Pathologen und in der Deutschen Gesellschaft für Pathologie setzt er sich für eine bessere Finanzierung der klinischen Obduktionen ein. Dies sei mit dem Regierungsentwurf zum „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“ nur teilweise gelungen, sagt er. Denn die Finanzierung wissenschaftlich begründeter klinischer Obduktionen werde in dem Entwurf explizit ausgeschlossen. Dies sei zur Erforschung von COVID-19 jedoch unerlässlich. Vor allem COVID-Opfer, die geimpft waren, sollten nach Johannes Friemann und BDP so oft wie möglich obduziert werden. „Nur so könnten Zusammenhänge zwischen Todesfällen und Impfungen ausgeschlossen oder nachgewiesen werden.“

Und wie verhält es sich nun mit der Gretchenfrage, die täglich mit der offiziellen RKI-Statistik ins Haus weht? Sterben die Patienten „an“ oder „mit“ Corona? Diese Frage hört Johannes Friemann nicht zum ersten Mal. „Das hängt natürlich mit den Patienten zusammen. Zunächst ging man davon aus, dass schwer vorerkrankte Personen ihrer Krankheit erlagen – also mit Corona starben“, erklärt er. Inzwischen wisse man aus Ergebnissen einer Umfrage unter Pathologen, dass bei mindestens 82 Prozent aller Obduktionen die COVID-Erkrankung als wesentliche oder alleinige zum Tode führende Erkrankung festgestellt wurde. Um so wichtiger ist es dem Pathologen, einen Schlüssel für das neue Krankheitsgeschehen zu finden. Er möchte den Gesundheitspolitikern und Medizinern eine Botschaft mit auf den Weg geben: „Erkennen und nutzen Sie die integrierende und qualitätssichernde Kraft der Obduktionspathologie für den medizinischen Fächerkanon und unsere Krankenhäuser.“

Seine Begeisterung für die Pathologie entdeckte Johannes Friemann erst spät. Er kommt aus einer internistisch geprägten Familie. Warum sich der damals 30-Jährige nach mehrjähriger Tätigkeit in der Klinik in Münster gegen die Arbeit am Krankenbett entschied, weiß der in Bochum lebende Westfale noch genau. „Damals habe ich mich als zu ungeduldig für eine Fachrichtung mit direktem Patientenkontakt empfunden. Meine Entscheidung, in die Pathologie zu gehen, bereue ich auch nach fast 40 Jahren im Beruf nicht.“

Als ebenfalls richtige Entscheidung sieht er rückblickend sein Studium in Münster. „Wenn ich an meine Zeit als Student denke, hüpft mein Herz“, lächelt Johannes Friemann. Obwohl er froh über seinen Umzug in das 100 Kilometer entfernte Kohlenrevier ist, kommt er jedes Jahr mindestens vier Mal in das Herz Westfalens zurück, um alte Freunde zu besuchen, die nach dem Studium geblieben sind. „Münster ist einfach immer einen Ausflug wert.“