(C8) Verfahren zur Durchsetzung weltlichen und kirchlichen Rechts in geistlichen Territorien

Im Gegensatz zum modernen Recht war das vormoderne Recht durch eine heute kaum vorstellbare Vielfalt geprägt. Überkommene Gewohnheiten verbanden sich mit der großen Tradition des gelehrten römisch-kanonischen Rechts sowie mit den von frühneuzeitlichen Landesherrn abertausendfach erlassenen Policeyordnungen. Materiellrechtlich verschwammen auf diese Weise Recht und Moral, Politik und Religion. Zur Durchsetzung der Rechtsvielfalt bestanden zahlreiche, teilweise konkurrierende Gerichtsbarkeiten. Deren jeweilige Kompetenzen und Funktionen sind weithin unbekannt.

Das Projekt stellt die Frage, inwiefern sich die verschiedenen partikularen Gerichte im Hinblick auf Gerichtsbesetzung, Zuständigkeit und Prozessordnung voneinander abgrenzen lassen. Insbesondere die früher übermäßig scharf gezogene Trennlinie zwischen kirchlicher und weltlicher Justiz beginnt zu bröckeln (Wetzstein 2006). So zeigt sich etwa, dass in geistlichen Territorien Bischöfe in ihrer Eigenschaft als Landesherr weltliche Gesetze erließen, die ihrerseits Angelegenheiten der geistlichen Gerichtsbarkeit regelten. Die Untersuchung konzentriert sich beispielhaft auf die Gerichtsverfassung und das Prozessrecht im Hochstift Paderborn. Der Gegensatz von katholischem Landesherrn und protestantischen Ständen und Städten, die Konversion eines Fürstbischofs zum Protestantismus, die von einem Amtsnachfolger geplante Umwandlung des Hochstifts in ein weltliches Territorium, schließlich die Rekatholisierung bieten dafür einen idealen verfassungsgeschichtlichen Hintergrund. Die Erforschung der frühneuzeitlichen Gerichtsbarkeit wird Auskunft über die Abhängigkeit oder Autonomie der vormodernen Justiz von politischen und religiösen Umbrüchen geben. Ergänzt werden wird die Auswertung der territorialen Überlieferung durch eine Analyse von Reichskammergerichtsakten in Rechtsverweigerungs- und Zuständigkeitskonflikten, die das partikulare Problem aus der Reichsperspektive beleuchten und teilweise einer höchstrichterlichen Entscheidung zuführen.