(B2) Figuren der Distinktion. Autorschaft im nachrevolutionären Frankreich

In der französischen Literatur der nachrevolutionären bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts spielt die Inanspruchnahme von christlich religiösen Elementen für die Definition von Autorpositionen eine entscheidende Rolle. Religiöse Repräsentationsformen des Autors in Werk und Rezeptionsgeschichte sind zugleich im politischen und gesellschaftlichen Feld verankert, da Widmungsvorreden oder Anreden sich direkt an Herrscherfiguren (Chateaubriand, Génie du christianisme) wenden oder religiös inspirierte Autorschaft sich mit einer politisch konservativen oder liberalen Programmatik (V. Hugo) verbindet oder aber gerade diese Funktion der Kunst kritisch diskutiert wird. Institutionen wie die Académie française, Organe wie die regierungstreue oder -kritische Presse (cf. die Feuilleton-Beiträge von Théophile Gautier und Sainte-Beuve) oder die Zensur von Autoren und Texten (cf. Mme de Staël, G. Flaubert, Ch. Baudelaire), Grabmonumente, Statuen, Inschriften und  Porträtphotographien definieren oder manipulieren Autorrollen und -funktionen im gesellschaftspolitischen Kontext. Den symbolischen und repräsentativen Geltungsverlust der Autorfigur im Verhältnis zu Klassik (als Hofdichter, „poète du roi“) und Aufklärung („gens de lettres“) versuchen die romantischen Schriftsteller durch eine neue spirituelle Erhöhung und gesellschaftliche Nobilitierung der Dichterfigur (vgl. den „Propheten“ bei V. Hugo, den aristokratischen Dichtertypus bei H. de Balzac) zu kompensieren. Im Mittelpunkt des Projekts steht die systematische Analyse von Autorschaft im religiösen und politischen Spannungsfeld bei Charles Baudelaire, der sich kritisch mit den Vorgängern und zeitgenössischen Literaten (Hugo, Vigny, Gautier), der bildenden Kunst (Delacroix, Daumier, Manet) und den neuen Massenmedien (Photographie, Zeitung) sowie deren Inszenierung von Autorbildern auseinandersetzt und eine Reihe von städtischen Autorrepräsentationen (den Dandy, „homme des foules“, „flaneur“, „saltimbanque“) neu entwirft (vgl. Bibliographie Projektleiterin).  Eine Monographie Charles Baudelaire. Figuren und Masken des Autors ist im Entstehen.

Die Promotion des wissenschaftlichen Mitarbeiters Karl Philipp Ellerbrock, die 2014 unter dem Titel Ästhetische Differenz. Zur Originalität von Baudelaires Poe-Übersetzungen im Wilhelm Fink Verlag erschienen ist, analysiert Baudelaire als Übersetzer und seine Inszenierung Poes als „grand homme“.