Religion in Liedern von Beethoven, Schubert und Brahms

Arabist Thomas Bauer über das Religiöse im bürgerlichen Kunstlied des 19. Jahrhunderts

Unter dem Titel „Zwischentöne“ hat der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer in der Ringvorlesung „Musik und Religion“ über Religion im deutschen Kunstlied des 19. Jahrhunderts gesprochen. „Zum vielschichtigen Verhältnis zwischen Religion und Musik gehört, dass Musik religiösen Inhalts im Verlauf der Geschichte auch außerhalb eines sakralen Kontexts aufgeführt wurde“, erläuterte der Wissenschaftler des Exzellenzclusters. „Ein frühes Beispiel ist die bürgerliche Gattung des Kunstlieds des 19. Jahrhunderts, das auch mit geistlichen Texten Eingang in bürgerliche Salons und Konzertsäle fand.“

Der Vortrag war zugleich eine Einführung zum Konzert in der Folgewoche: Der Exzellenzcluster lädt am Dienstag, 9. Mai, um 18.15 Uhr zum Liederabend mit dem international renommierten Bariton Benjamin Appl ein mit Musik von Beethoven, Schubert, Cornelius, Brahms und anderen. Das Konzert findet in der Petrikirche am Jesuitengang statt (hinter dem Fürstenberghaus am Domplatz 20-22). Der Eintritt ist frei.

Thomas Bauer veranschaulichte in seinem Vortrag an zahlreichen Hörbeispielen, wie Komponisten wie Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms religiöse Texte vertonten. „Ihre Lieder thematisieren nicht nur Liebe, Natur und Schicksal, sondern auch Religiöses – etwa das Ave Maria von Schubert, die Gellert-Lieder von Beethoven oder die Meditationen von Peter Cornelius über das Vaterunser.“ Dabei sei oft „konfessionsübergreifend“ komponiert worden: „Auffällig häufig haben katholische Komponisten Texte protestantischer Dichter vertont. Mancher protestantische Komponist wiederum zeigte eine Abneigung gegen allzu fromme Texte.“

„Wohin gehört geistliche Musik, wenn nicht in die Kirche? Tatsächlich war jahrhundertelang niemand auf den Gedanken gekommen, die Messliturgie oder geistliche Lieder anderswo als im sakralen Kontext singen zu lassen“, führte der Kulturwissenschaftler aus. Das habe sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts plötzlich geändert. „Beethoven etwa ließ Teile seiner Missa solemnis im Konzertsaal zusammen mit weltlichen Kompositionen aufführen.“ Mit dem klavierbegleiteten Kunstlied hielt die geistliche Musik auch Einzug in den bürgerlichen Salon. „Im Lied dominierten zwar Themen wie Tod, Verlust, Liebe, Sehnsucht und Heimat, aber Religiöses kam hinzu. Gerade katholischen Komponisten boten die Lieder eine größere textliche Freiheit, als die liturgisch gebundene Kirchenmusik ihnen bot.“ Dass die Lieder und auch Messen zunehmend im säkularen Raum aufgeführt wurden, brachte ihnen mehr Öffentlichkeit als zuvor.

„Eine Pioniertat“

Als Beispiel führte der Wissenschaftler Ludwig van Beethovens berühmte Lieder auf Texte des Aufklärers Christian Fürchtegott Gellert an. Damit habe der Komponist eine „Pioniertat auf dem Gebiet des religiösen Lieds“ begangen. „Die sechs Lieder decken das ganze Spektrum des religiösen Lieds ab: Gebet, Bekenntnis, Ausdruck religiösen Gefühls und religiöse Reflexion.“ Thomas Bauer befasste sich auch mit Liedern von Franz Schubert: „Sein umfassendes Schaffen auf dem Gebiet geistlicher Musik steht heute zu Unrecht etwas im Schatten seiner Symphonik und Kammermusik. Es umfasst neben Messvertonungen zahlreiche Lieder mit religiöser Thematik.“ Sie seien auf Texte von Protestanten komponiert, verfasst von Dichtern wie Matthisson, Klopstock und Novalis.

Im Liedschaffen Robert Schumanns findet sich den Ausführungen zufolge hingegen so gut wie nichts Religiöses. Das „altkatholische Gedicht“ Requiem sei eine Ausnahme. „Johannes Brahms, der wie Schumann Protestant war, aber eher Agnostiker, hatte gar eine Abneigung gegen allzu fromme Texte“, sagte Bauer. Auf der Suche nach Alternativen habe sich Brahms, dem die Bibel nach eigener Aussage „nicht heidnisch genug war“, einen Koran gekauft, darin aber auch nichts Rechtes gefunden. Thomas Bauer: „In seinen ‚Vier ernsten Gesängen‘, die mit der Vertonung eines im Grunde agnostischen Textes aus dem biblischen Buch Kohelet beginnen, hat Brahms aber doch einigermaßen ‚heidnische‘ Texte gefunden.“ Die vier Lieder seien „ein Höhepunkt seines vokalen Oeuvres“, so Bauer. „Sie stammen aus dem Jahr vor seinem Tod und sind die einzigen religiösen Lieder seines umfangreichen Liedschaffens.“

Der Arabist würdigte auch Peter Cornelius, der heute längst nicht so bekannt sei, wie es die Qualität seiner Werke verdienten. Der Freund von Liszt und Wagner sei zwar auch durch katholische Kirchenmusik bekannt. Zu Prominenz habe ihm aber vor allem die Oper „Der Barbier von Bagdad“ verholfen, zu der der Dichterkomponist selbst den Text geschrieben habe. „Auch Cornelius’ Meditationen auf das Vaterunser sind, wie die meisten seiner Lieder, auf eigene Texte komponiert“, fügte Bauer an. Dabei sei es jeweils die Choralmelodie des lateinischen Vaterunsers, die das thematische Material des Liedes liefert. „Cornelius’ Vaterunser-Lieder stellen einen Höhepunkt in der Geschichte des religiösen Lieds dar.“ Schließlich hob Bauer den katholischen Komponisten Hugo Wolf hervor, der in Vertonungen von Gedichten des evangelischen Pastors Eduard Mörike ebenfalls geistliche Themen verarbeitete. (dak/vvm)

Ringvorlesung „Musik und Religion“ mit Vorträgen und Konzerten

Unter dem Titel „Musik und Religion“ lädt der Exzellenzcluster im Sommersemester zu Vorträgen und Konzerten ein. Das Spektrum der Vorträge der öffentlichen Ringvorlesung reicht von der Musik in Judentum, Islam und Hinduismus über die christliche Kirchenmusik bis zum Klavierlied des 19. Jahrhunderts und der Popmusik der Gegenwart. Neben die Vorträge tritt das Erleben: neben dem Liederabend mit Benjamin Appl sind Interessierte zu einer orthodoxen Vesper und einem Konzert mit Islam-Musik des Ensembles Ayangil aus Istanbul eingeladen. An den Vorträgen beteiligt sind Musik-, Religions- und Islamwissenschaftler sowie Theologen und Soziologen. Sie untersuchen das vielschichtige Verhältnis von Musik und Religion seit der Antike bis heute, in Europa und Nordamerika, in Indien und im Nahen Osten.

Die Vorträge der Ringvorlesung sind bis 18. Juli 2017 dienstags um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören, die Konzerte und die Vesper in der benachbarten Petrikirche. Veranstalter der Reihe sind der Musikwissenschaftler Dr. Dominik Höink, die Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer und Dr. Monika Springberg-Hinsen, der katholische Theologe und Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard und die Leiterin der Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster, Viola van Melis. (vvm)