Fritz Roeber: Allegorie, Detail
© Uni MS

1900

Das deutsche Kaisertum als Zielpunkt der Geschichte? Fritz Roebers "Allegorie auf Geschichte und Philologie" wird in der Aula aufgehängt.

Roeber: Allegorie
Fritz Roeber: Allegorie auf Geschichte und Philologie, 1895-1900, ehem. Münster, Hauptgebäude der Kgl. Akademie, Aula
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Das deutsche Kaisertum als Zielpunkt der Geschichte?

Gut fünf Jahre arbeitete der Düsseldorfer Historienmaler Fritz Roeber an seinem Gemäldezyklus für die Aula des alten Hauptgebäudes der Akademie Münster. Fünf Gemälde zeigten Allegorien der Wissenschaften, drei stellten bedeutende Förderer der Akademie dar. Im Zweiten Weltkrieg wurden alle acht Gemälde zerstört; heute vermitteln nur einige Schwarzweiß-Fotos mäßiger Qualität und eine 1901 gedruckte Beschreibung einen Eindruck von diesem bedeutenden Bilderzyklus. 

Es gibt jedoch eine Ausnahme: Für seine 1914 veröffentliche „Weltgeschichte in Wort und Bild“ ließ Albrecht Wirth einen Farbdruck der Allegorie auf Geschichte und Philologie anfertigen und mit der Bildunterschrift „Vor der Geschichte und Philologie werden die Gestalten der Vorzeit lebendig“ ganz vorn in das Buch einfügen. Die Botschaft der Schrifttafel, die in der Akademie-Aula unter dem Bild angebracht war, ist etwas komplexer: „Was Jahrtausende sah’n und in Schriftdenkmälern bezeugen, / Lehrt Sprachkunde versteh’n, gliedert Geschichte zum Bau.“ Diese Zeilen eines unbekannten Verfassers spielen sowohl auf methodische Entwicklungen in der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert an, weisen aber auch auf ein teleologisches Geschichtsbild hin, in dem die Abfolge der Kulturen als Fortschrittsgeschichte auf die Gegenwart oder eine ideale Zukunft abzielen.

Im Gemälde selbst spielen die Szenen in der unteren Bildhälfte auf archäologische Funde im vorderen Orient und wissenschaftliche Entwicklungen 19. Jahrhunderts an, was an dieser Stelle nur am Rande interessiert (vgl. Metzler 2004), hier gilt die Aufmerksamkeit der oberen Bildhälfte:

Die Szene beginnt mit einem jungen Reiter, der ein Schwert im Siegesgestus nach oben streckt. Die Klinge ist mit einem goldenen Lorbeerkranz geschmückt, seine Kriegsbeute wird ihm von gebückten Gestalten hinterhergetragen. Männer in weißer Toga, grüne Lorbeerkränze auf dem Kopf, schauen im Hintergrund streng auf diese Szene. Kostüme und Frisuren sowie die hinter ihnen sichtbaren Lanzen und Feldzeichen entsprechen dem, was Roebers Zeitgenossen zum Beispiel auf Theaterbühnen erwarteten, wenn es galt römische Senatoren darzustellen. Bei der Identifikation des Reiters hilft die gedruckte Beschreibung des Bildes weiter: Dargestellt ist der Makedonen-König Alexander der Große, der Griechenland vereinigte und ein Weltreich schuf. Der Historiker Johann Gustav Droysen hatte dies in einer populären Alexander-Biografie gewürdigt, und als das Buch 1877, wenige Jahre nach Gründung des Deutschen Reichs, neu aufgelegt wurde, lag es für die historische Analogien liebenden Leser*innen der Zeit nahe, Makedonien gleichsam als Preußen der Antike zu feiern. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Blick des Reiters nach oben besondere Bedeutung, denn er schaut direkt auf die deutsche Kaiserkrone (genauer: die Krone des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation), die von Engeln getragen in den Wolken erscheint. Zwei weitere Engel tragen ihr ein Schild hinterher, auf dem das aus X und P gebildeten Christus-Zeichen zu sehen ist. Damit wird auf eine populäre Legende angespielt, der zufolge Christus dem römischen Kaiser Konstantin 312 vor der entscheidenden Schlacht gegen einen Rivalen im Traum erschien und ihm mit dem Satz „In diesem Zeichen wirst Du siegen“ das Christus-Symbol als Feldzeichen empfahl. Konstatin ließ es auf die Schilder seiner Soldaten malen, siegte und bekehrte sich – so schließt die Legende – anschließend zum Christentum. Roeber folgt damit einer zeitgenössischen Geschichtsauffassung, nach der das deutsche Kaiserreich „Erbe“ der griechischen und römischen Antike sei und damit anderen Nationen überlegen.

Die ganze Szene spielt vor dem Eingang zu einem Tempel links, auf dessen Stufen zwei Frauen in antikisierender Kleidung stehen. In der gedruckten Beschreibung kann man lesen, die eine trage das Buch der Geschichte in der Hand, in dem die Taten der Menschen für die Nachwelt aufgezeichnet würden, die andere spreche das Urteil der Geschichte und verleihe denen, die es verdient haben, den Lorbeerkranz. Im Gemälde ist zu sehen, dass das Urteil über den jungen Alexander bereits gesprochen ist: er hat seinen Lorbeerkranz schon erhalten. Fragt sich also, wer Empfänger oder Empfängerin des zweiten Kranzes sein wird, den die linke Frau in ihrer Hand hält. Wie ihre Gefährtin schaut sie nach oben in die Wolken, vielleicht – diese Deutung wird den Betrachter*innen überlassen – in Erwartung eines deutschen Kaisers, der es dem bekränzten Alexander gleichtun würde.

Literatur:

Dietrich Metzler: "Geschichte und Philologie" - zu dem zerstörten Wandbild von Fritz Roeber in Münster (1895-1900). In: Jörg Gebauer u.a. (Hgg.): Bildergeschichte. Festschrift Klaus Stähler. Möhnesee 2004, S. 347-360.

ohne Verfasserangabe: Die Wandgemälde des Professors Fritz Roeber in der Aula der Königlichen Akademie zu Münster i.W. Münster 1901.