Teilprojekt 6
© Raymundus à Murillo

Koloniale Herrschaft vor Ort: Die Distriktverwaltung indigener Regionen in Neu-Spanien und Peru im 18. Jahrhundert

Spanischamerika stellte einen paradigmatischen Fall von Xenokratie dar, der auf einen kulturellen Erstkontakt folgte und durch lang andauernde Fremdheitswahrnehmungen geprägt war. Das spanische Kolonialreich hatte drei Jahrhunderte Bestand. Es mussten unterschiedliche amerikanische Gesellschaften integriert werden.

Die als indigen zusammengefassten Bevölkerungen wurden rechtlich und administrativ von der spanischstämmigen Bevölkerung getrennt. Hinzu kamen afrikanischstämmige Menschen und schnell auch Nachfahren aus exogamen Verbindungen. Die spanische Herrschaft wurde über eine ausdifferenzierte Verwaltungsstruktur stabilisiert, in der Fremdheitszuschreibungen eine wichtige Rolle für die Behandlung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen spielten.

Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Bourbonischen Reformen weitreichende administrative Veränderungen anstießen, musste die lokale Verwaltung wegen der Intensivierung der kolonialen Kontrolle und Ausbeutung, aber auch wegen der Einführung neuer Verwaltungsebenen wie den Intendanturen und der damit einhergehenden Neuordnung der Distriktverwaltung neu ausgehandelt werden, sodass Fremdheitszuschreibungen teilweise verschärft wurden.

Das Teilprojekt untersucht die lokale Verwaltungspraxis in indigen geprägten, ruralen Distrikten des spanischen Kolonialreichs auf der untersten Ebene der Kronverwaltung in den beiden wichtigsten Teilen des Imperiums, Neu-Spanien und Peru. Es fragt danach, welche auf Fremdheit rekurrierenden Differenzkategorien in der Verwaltungspraxis wichtig waren, wie sich diese im Zuge der umfassenden Reformen der kolonialen Administration änderten und welche Bedeutung Fremdheitszuschreibungen in den Aushandlungsprozessen zwischen der Bevölkerung und den Beamten vor Ort hatten.

Die zuständigen Beamten waren einerseits unmittelbare Repräsentanten der xenokratischen Herrschaft, die sie über symbolische Akte und spezifische Formen der Kommunikation vor Ort einschrieben. Sie waren in soziale Netzwerke eingebunden und hatten die Aufgabe, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Gerichtsbarkeit, Tributeinziehung sowie die Verteilung von Arbeitsverpflichtungen zu organisieren. Andererseits mussten sie sich vor Ort mit indigener Handlungsmacht und Widerstand auseinandersetzen und waren in Prozesse kulturellen Wandels involviert. Für die Stabilisierung der kolonialen Herrschaft waren daraus entstehende Spannungen auszugleichen.

Mit dieser eng an die Fragehorizonte der Forschungsgruppe anschließenden Perspektive soll argumentiert werden, dass in Neu-Spanien und Peru Fremdheitskonstruktionen in einem konfliktiven, fluiden und produktiven Spannungsfeld ausgehandelt wurden, das einerseits von machtvoller Einschreibung und andererseits von Aneignung und Handlungsmacht der Bevölkerung charakterisiert war.