Der Vortrag von Hartmut Rosa muss leider aufgrund eines privaten Trauerfalls entfallen.

Offenhalten – Binden – Festlegen

Soziologe Hartmut Rosa spricht über Entscheidungsdilemmata in der Steigerungsgesellschaft

Hartmut Rosa
Prof. Dr. Hartmut Rosa
© juergen-bauer.com

Über „Entscheidungsdilemmata in der Steigerungsgesellschaft“ spricht der renommierte Soziologe Prof. Dr. Hartmut Rosa am Donnerstag, dem 8. November, in Münster. Der Vortrag ist Teil des Kolloquiums am SFB 1150 „Kulturen des Entscheidens“ und beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22.

Eine moderne Gesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nur dynamisch zu stabilisieren vermag. Das bedeutet, dass sie systematisch auf Steigerung in Form von Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung angewiesen ist, um ihre Struktur zu reproduzieren und ihren institutionellen Status quo zu erhalten. Dies aber, so möchte der Vortrag zeigen, produziert unauflösbare Entscheidungsdilemmata und -paradoxien für individuelle wie für institutionelle Akteure. Diese entstehen dadurch, dass der mit dem Modus dynamischer Stabilisierung verknüpfte kategorische Imperativ der Spätmoderne, jederzeit so handeln zu sollen, dass der Horizont an Optionen beziehungsweise an ‚Weltreichweite‘ größer wird, systematisch mit dem Erfordernis der Bindung und Festlegung zu kollidieren scheint. Sie entstehen aber auch daraus, dass das durchschnittlich für eine rationale Entscheidung erforderliche Zeitvolumen in einer sich dynamisierenden Gesellschaft steigt, während das de facto zur Verfügung stehende Zeitvolumen sinkt. In einer dergestalt dilemmatischen Entscheidungssituation lassen sich idealtypisch vier Entscheider-Typen unterscheiden (die Managerin, der Spieler, die Drifterin und der Skeptiker), die indessen alle problematisch sind und ‚schuldige Subjekte‘ produzieren.

Zeitstrukturen in der Moderne, Zeitsoziologie und Beschleunigungstheorie stehen im Mittelpunkt von Hartmut Rosas Forschungen. Veröffentlichungen wie „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ und „Beschleunigung: die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ machten ihn weit über universitäre Kreise hinaus bekannt. In seinem Resonanz-Konzept geht es um eine andere Form des In-Beziehung-tretens zur Welt, zu den Menschen, zur Arbeit und zur Landschaft, als Gegenentwurf zu einem gesellschaftlichen Beschleunigungsschub, dem „andauernden Gefühl, noch etwas erledigen zu müssen.“ Dazu zählt auch die Herausforderung, mit einem immer größer werdenden Angebot an Entscheidungsoptionen umzugehen.

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. Seit 2011 ist er Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe „Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. (De-)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften“.