„Papst-Apell wird für Bewegung sorgen“

Religionssoziologe Gergely Rosta über den Umgang der Kirchen mit Flüchtlingen in Ungarn

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Dr. Gergely Rosta
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Über die Flüchtlingskrise in Ungarn hat Religionssoziologe Dr. Gergely Rosta vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) gesprochen. Darin äußerte er sich insbesondere zu den Motiven hinter der Flüchtlingspolitik von Ministerpräsident Viktor Orbán und zum Umgang der Kirchen in Ungarn mit der Flüchtlingsproblematik. Es folgt der Originalwortlaut:

„Auf keinen Fall schwarz-weiß“

Religionssoziologe für ausgewogene europäische Asyl-Debatte

Von Paula Konersmann (KNA)

Münster (KNA) Allein in München sind am Wochenende laut Polizei rund 20.000 Flüchtlinge aus Ungarn angekommen. Eine Ausnahmeregelung, betonen die Bundesregierung und der ungarische Regierungschef Viktor Orban gleichermaßen. Doch auch der Grenzzaun Ungarns zu Serbien sorgt weiter für Unmut. Der Religionssoziologe Gergely Rosta wirbt im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) für eine ausgewogene Sichtweise. Der gebürtige Ungar forscht am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster.

KNA: Herr Rosta, wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Ungarn ein?
Rosta: Die Situation ist auf keinen Fall so schwarz-weiß, wie sie teils dargestellt wird. Die ungarische Regierung betont, dass sie sich lediglich an geltendes Recht hält, nämlich an die Dublin-III-Verordnung. Diese sieht ja vor, dass Flüchtlinge in dem ersten EU-Land, das sie betreten, registriert werden und abwarten müssen, bis über ihren Status entschieden wurde. Demnach dürften sie nicht nach Österreich oder Deutschland weiterfahren. Diese Argumentation ist also nachvollziehbar. Allerdings gehört zum EU-Recht auch, den Flüchtlingen würdige Lebensbedingungen zu bieten – das ist in Ungarn derzeit problematisch. Ein weiteres schwieriges Thema ist der Zaun an der Grenze zu Serbien.

KNA: Die Regierung argumentiert, das Land müsse sich selbst verteidigen.
Rosta: Aber die Flüchtlingszahlen sind nicht heruntergegangen, seitdem die ersten Teile des Zauns errichtet wurden, im Gegenteil. Die Regierung erreicht bestenfalls eine Kanalisierung. Doch eigentlich scheint es eher um Abschreckung zu gehen. Im Sommer gab es auch eine Plakatkampagne, gefördert von der Regierung: Auf den Plakaten hieß es unter anderem, wer nach Ungarn komme, dürfe den Ungarn die Arbeit nicht wegnehmen.

KNA: Woher kommt diese feindselige Stimmung?
Rosta: Die Politik Orbans ist stark innenpolitisch motiviert; die zweitstärkste politische Kraft im Land, die Jobbik-Partei, ist rechtsradikal. Orban versucht offenbar, Themen aufzugreifen, die sonst Jobbik besetzen würde. Teile der ungarischen Bevölkerung sind den Flüchtlingen offenbar feindlich gesonnen, aber nicht die Mehrheit. Aktuelle Umfragen gibt es kaum, insofern ist schwer einzuschätzen, inwiefern die dramatischen Bilder der vergangenen Tage die Stimmung beeinflusst haben. Allerdings sind auch in Ungarn viele Bürger in der Flüchtlingshilfe engagiert, wenn auch vielleicht weniger ausgeprägt, als man es derzeit aus München oder Wien hört.

KNA: Befürchten Sie, dass Ungarn sich mittelfristig selbst schadet?
Rosta: In Ungarn kommt es oftmals gut an, wenn Orban sich gegenüber der EU als Verfechter ungarischer Interessen darstellt. Momentan greift er auf historische Muster zurück und präsentiert Ungarn als letzte europäische Bastion gegen die Muslime. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Auftreten eine nachhaltigere negative Wirkung auf sein Image im Ausland hat als andere Vorfälle, etwa die Einschränkung der Medienfreiheit. Das Vorgehen gegen Flüchtlinge betrifft die anderen EU-Staaten schließlich unmittelbar. Man muss gleichzeitig auch sehen, dass viele in Europa, vor allem in den neuen Mitgliedstaaten, die Bedenken von Orban über die Flüchtlingssituation teilen, obgleich nicht unbedingt seine Rhetorik. Wenn eine gesamteuropäische Lösung gefunden wird, wird man von Orban Kompromissbereitschaft erwarten. Ich halte es für denkbar, dass Ungarn einige Flüchtlinge aufnimmt, wenn es sich damit nicht alleingelassen fühlt.

KNA: Welche Rolle spielen die Kirchen?
Rosta: Teile der Kirche sind sehr aktiv in der Flüchtlingshilfe, etwa die Caritas, der Malteser Hilfsdienst oder die Gemeinschaft Sant'Egidio. Die Amtskirche war bislang eher zurückhaltend; dort gibt es keine Entschlossenheit, die mit der von Papst Franziskus vergleichbar wäre. Ich sehe aber erste Zeichen, dass der Papst-Appell vom Wochenende für Bewegung sorgen wird.

Mit freundlicher Genehmigung der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

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