(D5) „Selig sind die Verfolgung ausüben um der Gerechtigkeit willen.“ Zum Umgang mit der Tradition in der Zeit Gregors VII.

Das Projekt zielt auf den Kontext der Besinnung der Kirche auf ihre eigentlichen Aufgaben und Rechte, wie sie vom Reformpapsttum im 11. Jahrhundert initiiert wurde mit dem interessanten Ergebnis, dass der Prozess der Neudefinition der eigenen Stellung verbunden war mit einem sehr deutlichen Bekenntnis zur Erlaubtheit der Anwendung von Gewalt. Papst Gregor VII. ist die Symbolfigur für diesen Schub von kirchlicher Gewaltbereitschaft und ihrer theoretischen Rechtfertigung, die nur mit einer beträchtlichen „Überdehnung“ (Carl Erdmann) der Tradition ins Werk zu setzen war. Von dieser Bereitschaft, die herrschenden Lehren etwa eines Augustinus hinter sich zu lassen, führt ein ziemlich direkter Weg zu den Kreuzzügen unter der Führung des Papsttums. Es gehört daher zu den vorrangigen Anliegen einer kritischen Kirchengeschichte, die Entstehungsbedingungen und Argumentationsschritte der neuen päpstlichen Bereitschaft, Gewalt zu legitimieren, einer Prüfung zu unterziehen.

Die im Titel zitierte Veränderung des berühmten Satzes der Bergpredigt, die dessen Sinn geradezu in sein Gegenteil verkehrt, stammt aus Bonizo von Sutris Liber ad amicum, in dem er zur Verteidigung Gregors VII. vorrangig die Frage behandelt, ob es den Christen erlaubt sei, zugunsten ihres Glaubens Gewalt anzuwenden. Der Vorgang der theoretischen Fundierung dieser neuen Position ist bisher alles andere als klar. Offenkundig sind beträchtliche Anstrengungen zur Sichtung der Tradition unternommen worden, wie Kanonessammlungen (Anselm von Lucca, Deusdedit), Streitschriften und Papstbriefe (Register Gregors) der fraglichen Zeit zur Genüge deutlich machen. Aus der Tradition allein aber ließ sich die neue Position nicht ableiten. Was zudem neu zu sein scheint, ist die Radikalität hinsichtlich der Konsequenzen, die man aus den dicta und exempla der Vergangenheit zu ziehen bereit war. Diese Radikalität in der Ausschöpfung aller Möglichkeiten und der Bereitschaft, über das Mögliche hinauszugehen, ist bereits bei den knapp formulierten Leitsätzen des Dictatus papae beobachtet worden, der allerdings die Gewaltfrage nicht behandelt. Es scheint aber die gleiche Geisteshaltung zu sein, die in Fragen des päpstlichen Suprematieanspruchs wie der Ausübung von Gewalt der Tradition neue Auslegungen abrang bzw. sie für die eigenen Zwecke umdeutete. Hier ist die teilweise aufwändige Argumentation der Theoretiker wie Anselm oder Bonizo kritisch nachzuvollziehen und die Beziehungen zu den von Gregor verwendeten Argumenten herauszustellen. Im Projekt wird zu klären sein, wie weit sich die Argumentationstechniken und Beweisführungen vom bisher Üblichen entfernten, indem sie biblische oder Belege der Patristik in neuer Weise deuteten, welche Stringenz die Beweisführung auszeichnete, und wie die neuen Argumente eingesetzt und verbreitet wurden. Damit verspricht das Projekt Erträge nicht nur zum Verhältnis der Kirche zur Gewalt und zum Verständnis der Wandlungsprozesse auf diesem Feld, sondern auch Beiträge zum Umgang mit und zum Geltungsanspruch von Normen, wie sie im Forschungsfeld A behandelt werden.