(A13) Politische Moderne und Katholische Kirche in der „ersten Republik“ Italiens: Die politische und kulturelle Debatte um die Novellierung des Konkordates

Projektseiten A13
„Don Basilio“, Januar 1947

Beschreibung des Forschungsgegenstands

Ausgehend von der Analyse der in den 1950er Jahren aufgekommenen Debatte um den Widerspruch (die sogenannte „Anomalie“) zwischen dem Verfassungsprinzip der Religions- und Gewissensfreiheit (Artikel 8) und der andauernden Privilegierung der Katholischen Kirche durch die Aufnahme der Lateranverträge von 1929 in die italienische republikanische Verfassung (Artikel 7), stellt die historische Untersuchung der Reformdebatte über die Novellierung des Konkordates zwischen italienischem Staat und Vatikan in der Zeit von 1948 bis 1984 den Kern des Projekts A13 dar.

Ausgangspunkt des Projekts ist die Beobachtung, dass sich in der wissenschaftlichen Rezeption und Aufarbeitung des vierzigjährigen Reformprozesses die meisten (historischen) Studien hauptsächlich auf die institutionelle Dimension der Infragestellung des Konkordates beziehungsweise auf den parlamentarischen und diplomatischen Werdegang der Novellierung konzentrieren. Im Projekt A13 wird der Blick daher verstärkt auf die Mesoebene der Gesellschaft gerichtet. Untersucht werden neben den institutionellen politischen Akteuren auch autonome (unter anderem katholische), den Parteien und den kirchlichen Hierarchien gegenüber kritisch eingestellte Gruppierungen. Denn als Protagonisten der Debatte taten sich nicht nur Aktivisten der Partito Radicale, Kommunisten, Sozialisten und Antiklerikale hervor, sondern zudem weite Teile der katholischen demokratischen Öffentlichkeit (ACLI, CISL, FUCI, und die „Gruppierungen des Dissens“). Deren differente und alternative Deutungen des bis 1984 bestehenden Systems der Durchsetzung normativer Vorgaben der Katholischen Kirche, sowie ihre kritische Haltung zur Unabhängigkeit des Staates vom Vatikan sollen in dem Projekt analysiert werden.

Fragestellung

Der erste Teil des Projektes beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Religion und Politik in der Italienischen Republik bis 1984. Dabei sollen (unter anderem) die folgenden Fragen beantwortet werden: Führte die Aufnahme des Konkordates von 1929 in die Verfassung von 1948 tatsächlich zu einer „Anomalie“? Welche Folgen sind bezüglich des Prinzips der Religions- und Gewissensfreiheit zu beobachten? Welche wechselseitige Legitimation und Beeinflussung von Staat und katholischer Kirche lässt sich erkennen? Welche Rolle spielte dabei die katholische Universalität Roms beziehungsweise Italiens? Wie veränderte sich die Haltung des Vatikans zur italienischen Demokratie?

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Darstellung der Fragestellung des Projektes A13

Der zweite Teil des Projekts beschäftigt sich dezidiert mit den Positionen, Stellungnahmen und Handlungen der Mesoebene der Gesellschaft. Hier gilt es nicht nur zu zeigen, wie sich das Spektrum an positiver und negativer Kritik am Konkordat als Regulierungsinstrument der normativen Rolle der katholischen Kirche in der Republik ausdifferenzierte (Welchen Stellenwert nahm die Novellierung des Konkordates in der Debatte ein? Warum wurde überhaupt der Weg einer Neuregulierung durch eine Novellierung eingeschlagen?), sondern auch hervorzuheben, wie zwischen 1948 und 1984 die Mechanismen zur Begründung und Durchsetzung der katholischen Prinzipien in Staat und Politik interpretiert, und wie die Normen- und Wertevorgaben der Katholischen Kirche und ihr Einfluss auf soziale und rechtliche Vorschriften von Seiten der Mesobene rezipiert wurden. Wesentliche Fragen sind in diesem Zusammenhang: Welche kulturellen und konfessionellen Paradigmen charakterisierten die italienische, demokratische Öffentlichkeit in dieser Zeitspanne? Welchen Stellenwert besaß dabei die Laizität der Institutionen und des Staates? Inwieweit kann man darin das Beispiel eines Konfliktes zwischen katholischer Kirche und demokratischer Öffentlichkeit erkennen?

Quellen

Das Projekt wird bisher auf folgender Quellengrundlage bearbeitet: Zeitungen, Zeitschriften, Reden, Plakate, Flugblätter sowie weitere Publikationen und Medien aus der Produktion von Parteien, Bewegungen, Gruppierungen und einzelnen Protagonisten der Debatte. Die wichtigsten Dokumente sind bei einer Forschungsreise im Juli 2009 aus den Beständen von Guido Gonella im Istituto Luigi Sturzo (Rom) sowie aus den Sammlungen von Gerardo Bruni, Lelio Basso und Ada Alessandrini in der Fondazione Lelio e Lisli Basso – Issoco (Rom) akquiriert worden und wurden bereits ausgewertet. Weitere Dokumente stammen aus dem italienischen Parlament (parlamentarische Akten,  Kommissionsprotokolle, Vorbereitungsmaterialien, Untersuchungen, Auftragsstudien et cetera).

In zwei weiteren geplanten Forschungsreisen sind die Bestände des Istituto Paolo VI in Brescia, des Archivio di Stato di Parma (Fondo Archivio privato Casaroli) sowie der Fondazione per le scienze religiose Giovanni XXIII in Bologna (Fondo Vaticano II, Fondo lettere pastorali) noch zu überprüfen.

Gegenwärtiger Stand der eigenen Forschung

Die Resultate des Projektes werden als Habilitationsschrift in Form einer Monographie zusammengefasst. Das Teilprojekt A13 wurde im Januar 2009 begonnen und bereits bei der Evaluation des Projektes im April 2010 konnte eine entsprechende vorläufige Gliederung vorgelegt werden, welche weiterhin als wichtigster Bezugspunkt für die Operationalisierung des gesamten Projektes fungiert.

Demnach sollen in der Monographie zunächst die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Italienischen Republik durch eine Periodisierung rekonstruiert werden, welche die Parallelität der Amtszeiten der republikanischen Regierungskoalitionen mit denen der Päpste von Pius XII bis Johannes Paul II hervorhebt. Auf Basis dessen werden die Resultate der Projektforschung hinsichtlich der politischen, zivilgesellschaftlichen und theologischen Reflexionen über die Laizität (der eigentliche Schwerpunkt der italienischen öffentlichen Debatte über das Konkordat seit den 1950er Jahren) als mögliche zentrale Idee eines Demokratiemodells präsentiert.

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Überblick über die diachronen und synchronen Entwicklungen in Italien von 1948 bis 1984

Monographie

Den Hintergrund der Untersuchung stellt der mühsame Prozess der Novellierung des Konkordats zwischen italienischem Staat und Vatikan (1948-1984) dar. Daraus geht eine Periodisierung hervor, die sich in der Dreiteilung der Arbeit widerspiegelt.

Ausgehend von einem sowohl von Talcott Parson als auch von Niklas Luhmann beeinflussten systemtheoretischen Ansatz, lässt sich die Novellierung nicht nur als diachroner Bezugspunkt des Projekts, sondern vor allem als Beispiel eines republikanisch-politischen Prozesses erkennen, in dem die neue juristische Auslegung des Konkordates die Phase der Herstellung einer kollektiv bindenden Entscheidung darstellt. Diese Phase wird im dritten Teil (1969-1984) der Arbeit untersucht, nachdem im zweiten Teil (1958-1978) die Herstellung der Entscheidungsprämissen, also der verschiedenen Formen der kollektiven Rezeption und Infragestellung des herrschenden Verhältnisses von Religion und Politik zueinander, und im ersten Teil (1948-1958) ihre Ausgangsbedingungen analysiert werden.

Aus einer allgemeinen systemtheoretischen Perspektive wird das Konkordat bereits im ersten Teil der Arbeit als das regulative Element der „relativen Unabhängigkeitsbeziehung“ zwischen den zentralen italienischen Funktionssystemen in Religion und Politik verstanden: der Italienischen Republik und der katholischen Kirche. Anders als ursprünglich beobachtet, zeigt meine bisherige Quellenanalyse, dass in den 1960er und 1970er Jahren der eigentliche Schwerpunkt des gesellschaftlichen Interesses nicht ausschließlich auf der juristischen Neubestimmung des republikanischen religionsverfassungsrechtlichen Rahmens lag, sondern vor allem auf der politischen, theologischen und zivilgesellschaftlichen Definition von Laizität in Bezug auf das Konkordat als regulatives Instrument zwischen Kirche und Staat.

Projiziert man das Luhmannsche Demokratiemodell auf diese Debatte, die das Hauptuntersuchungselement des zweiten Teils der Monographie darstellt, erkennt man darin jene politische „Planung“ der demokratischen Öffentlichkeit, die nach Luhmann selbst von der „politischen Verwaltung“ als „Erwartung“ des politischen Subsystems rezipiert werden soll. Um in jenem theoretischen Rahmen zu verweilen, wird in den drei Teilen der Monographie die Analyse der Entstehung und der Entwicklung des regulativ-relationalen Regimes zwischen Republik und Katholischer Kirche, seiner Infragestellung und Neubestimmung sowie der entsprechenden Konflikte und Konfliktlösungen anhand einer Ausdifferenzierung des italienischen Gesellschaftssystems in Mikro-, Meso- und Makroebene durchgeführt.

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Darstellung der systemtheoretischen Grundlage des Projektes A13

Die Italienische Republik und die katholische Kirche, jeweils in der Gesamtheit ihrer staatlichen beziehungsweise ekklesialen Institutionen und Strukturen, stellen als Hauptreferenzsysteme die Makroebene des italienischen Gesellschaftssystems dar.

Eine besondere Bedeutung kommt in dieser Arbeit jedoch der Mesoebene zu. Denn gerade hier entsteht das italienische politische Subsystem als Resultat der Interaktion von Individuen. Dieses besteht aus einem umfassenden Netzwerk von Parteien, zivilgesellschaftlichen Strukturen sowie (a)konfessionellen, informellen und nicht katholischen Organisationen, welche teilweise sehr stark von der oft zusammenfallenden Doppelrolle des Individuums auf der Mikroebene als republikanischer Bürger (corpus civium) einerseits und Mitglied der katholischen Glaubensgemeinschaft (corpus fidelium) andererseits beeinflusst sind.

Eine weitere Ausdifferenzierung der Mesoebene in ein „Parteien-“ und „Klerikalsystem“ ist daher notwendig. Sie dient vor allem dem Zweck einer vertieften Wiedergabe der unterschiedlichen Positionen in der Debatte um das Verhältnis von Religion und Politik in einem demokratischen System – das heißt über die Laizität von Individuen und Institutionen, über die religiöse Freiheit und den kulturellen Pluralismus sowie über die Rolle der Katholiken in der Politik und über den Wert der italienischen Demokratie für die katholische Kirche.

Operativ bedeutet dies, dass zu Beginn eines jeden Hauptteils eine diachrone Kontextualisierung der Entwicklungen der beiden Funktionssysteme (Staat/Kirche) erfolgt. Des Weiteren werden alle Entwicklungen der sogenannten „Umwelt“ ausführlich erläutert und problematisiert. Durch die parallele Strukturierung der Analyse der Konkordatsnovellierung als politischer Prozess rückt in jedem Teil der Monographie eine andere Ebene des italienischen Gesellschaftssystems in den Mittelpunkt. In jeder der drei Sektionen sind die zentralen Kapitel sowohl der Untersuchung des Spannungsverhältnisses zwischen Religion und Politik, als auch der Anpassung von Republik und Kirche an die Herausforderungen der Umwelt gewidmet.

Weitere Veröffentlichungen von Projektergebnissen

Noch vor Veröffentlichung der Monographie werden bis Mitte 2012 einige zentrale Themen des Projektes in unterschiedlicher Form bearbeitet und präsentiert. So standen die Veränderungen und die Pluralisierung der Werteparadigmen in Italien und Deutschland in dem zentralen Untersuchungszeitraum (1965-1978) bereits im Mittelpunkt eines von Projektleiter Dr. Max Livi herausgegebenen Sammelbandes über die konservativen Strömungen der 1970er Jahre. Aktuell wird die anhaltende Asynchronie zwischen Makro- und Mesoebene des italienischen Gesellschaftssystems bezüglich der Reflexion der Bürgerrechte, sowie ihre Effekte auf die Reformen des religionspolitischen Arrangements in einem Aufsatz untersucht. Des Weiteren sollen die Transformationsprozesse sowie die Krisenphänomene der „langen 1970er Jahre“ im Rahmen einer internationalen Tagung im November 2011 behandelt werden. Das Thema „Laizität“ steht im Fokus eines weiteren Sammelbandes, welcher die sich seit den 1970er Jahren vollziehenden Veränderungen in der Semantik und der Wertigkeit des Begriffes Laizität in Italien, Frankreich und Deutschland untersucht.

Bisherige Aktivitäten des Projektleiters

Sammelband: Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, von Massimiliano Livi u.a. (Hg.),  Campus, Frankfurt/M. 2010

Internationaler Workshop: Die 70er Jahre – auch ein „Schwarzes Jahrzehnt“? Politisierung von Jugend und Jugendkultur zwischen Christlicher Demokratie, Neokonservatismus und Rechtsextremismus in Italien und der Bundesrepublik Deutschland 1967-1982

Vortrag in der AG-Konflikte zum Thema: Wenn Konflikte Bündnisse verbergen: Der Fall Dino Boffos und die neuen (kirchen)politischen Verhältnisse in Italien

Einladung von Prof. Dr. Mark Ruff (Saint Louis University) für den Vortrag: „Hochhuth kam vor dem Fall“

Koordination der Arbeitsgruppe: Die (langen) 70er Jahre

Essay für die Rubrik Ansichtsache: Mit der katholischen Kirche gegen den italienischen Staat?