(A1) Dogmatik als symbolische Inszenierung von Normativem in Recht und Religion

Gegenstand des Projekts der ersten Phase waren Dogmatisierungsprozesse: Prozesse, in denen ein verbindliches Wissen über Grundbegriffe, Deutungsmuster und Ordnungsvorstellungen für einen normativen Diskurs stabilisiert wird. Das gilt gleichermaßen für das Recht wie für die christliche, insbesondere die katholische, Theologie; trotz aller Unterschiede dieser Diskurse zeigen sich hier bei einer vergleichenden Perspektive wichtige strukturelle Gemeinsamkeiten. Dabei lenkt eine solche Perspektive den Blick auch auf solche Aspekte von Dogmatisierungsprozessen, die in der bisherigen rechtshistorischen und historischen Forschung eher vernachlässigt worden sind, und die sich erst mit dem begrifflichen Instrumentarium der Kulturwissenschaften fassen lassen. Dazu gehört insbesondere die mediale Präsenz dogmatisierender Deutungsmuster und Ordnungsvorstellungen im Diskurs. Dogmatisierungen können nämlich nur dort erforderlich und legitim sein, wo einerseits ein Bedürfnis nach normativer Eindeutigkeit besteht und es andererseits keinen „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ gibt. In der Theologie und in der Rechtswissenschaft ist das auf Schritt und Tritt der Fall; es bildet eine alte Erfahrung, dass vernünftige Argumente hier immer wieder inkonklusiv geblieben sind. Es verwundert daher nicht, dass Dogmatisierungsprozesse sich nicht richtig verstehen lassen, wenn nicht auch Phänomene der symbolischen Inszenierung und medialen Präsentation mit in den Blick genommen werden. Denn Grundbegriffe, Deutungsmuster und Ordnungsvorstellungen müssen für jedermann sichtbar werden, wenn sie eine derart allgemeine Präsenz im normativen Diskurs erlangen sollen, dass sie dem einzelnen als unverfügbar erscheinen. Nur dann können sie aber zu einem praktisch wirksamen normativen Wissen werden.

In dem Projekt wurden in exemplarischer Weise einige Dogmatisierungsprozesse insbesondere im Recht, aber auch in der katholischen Theologie; eine vollständige Analyse von Dogmatisierungsprozessen im Recht und im theologischen Diskurs des Christentums wäre weder möglich noch interessant. Dabei hat der exemplarischer Ansatz deutlich gezeigt, dass Dogmatisierungsprozesse üblicherweise auf ganz verschiedenen Ebenen ablaufen. Wichtig sind offenbar die jeweiligen methodischen Standards der normativen Argumentation, die insbesondere im Recht häufig auf eine Beschränkung bzw. Hierarchisierung der einschlägigen Argumente zielen, sowie die Autorisierung von Institutionen – etwa Konzilen, Universitäten und Gerichten – und Texten als Ausgangs- und Bezugspunkt normativer Argumentation. Während im Christentum Dogmatisierungen häufig das Ergebnis institutioneller Konflikte bildeten und mit institutionellem Zwang durchgesetzt wurden, hat die Jurisprudenz zumeist weniger förmliche Wege auf den Ebenen der Methode und der Autorisierung von Texten gesucht und Streit über Einzelfragen akzeptieren können, solange der Rahmen der Argumentation feststand und endgültige Entscheidungen von Gerichten gewährleistet wurden. Schon das erklärt, warum Juristen und Theologen unter Dogmatik je Verschiedenes verstehen. Umso bemerkenswerter erscheinen deshalb die strukturellen Parallelen der hier untersuchten Dogmatisierungsprozesse.

Für weitere Einzelheiten sei hier auf die drei wichtigsten Publikationen verwiesen, die aus dem Projekt hervorgegangen sind:

  • Georg Essen/Nils Jansen, Dogmatisierungsprozesse in Recht und Religion, Tübingen 2011.
  • Jansen, The Making of Legal Authority: Non-Legislative Codifications in Historical and Comparative Perspective, Oxford 2010.
  • Ders., Methoden, Institutionen, Texte. Zur diskursiven Funktion und medialen Präsenz dogmatisierender Ordnungsvorstellungen und Deutungsmuster im normativen Diskurs, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (germanistische Abteilung) 128 (2011), S. 1-71.