EXC 2060 C3-28 - Flaubert und die Religion(en). Mediale Formen und gesellschaftspolitische Praktiken des Religiösen im 19. Jahrhundert
- Projektzeitraum
- Projektstatus
- laufend
- Mittelgeber
- DFG - Exzellenzcluster
- Förderkennzeichen
- EXC 2060/1
Gustave Flaubert gehört zu den Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, die sich intensiv mit theologischen Auslegungen von Welt und gesellschaftlichen Praktiken des Religiösen sowohl in der zeitgenössisch aktuellen Welt als auch in der antiken Kultur auseinandergesetzt haben. Als „Daseinsmacht ersten Ranges“ definiert Jürgen Osterhammel die Religion im 19. Jahrhundert, sie sei „eine Quelle individueller Lebensorientierung, ein Kristallisationspunkt für Gemeinschaftsbildungen und für die Formung kollektiver Identitäten, ein Strukturprinzip gesellschaftlicher Hierarchisierung, eine Antriebskraft politischer Kämpfe, ein Feld, auf dem anspruchsvolle intellektuelle Debatten ausgetragen wurden“ (Osterhammel, 2008, p. 1239). Diese Pluralität der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Religiösen reflektiert das Werk Flauberts in kritischer Perspektive.
Das Projekt, das die Promotion von Frieda Schulze Dephoff fördert, unternimmt den Versuch einer Synthese, die 1) Flauberts gelehrte und intensive Beschäftigung mit religionswissenschaftlichen Ansätzen des 19. Jahrhunderts, 2) seine kritische Sicht auf literarische Entwürfe religiösen Weltverstehens und 3) die Analyse und Erfassung gesellschaftlicher Praktiken der von Flaubert sog. „Religion moderne“ (Corr. V, p. 720, 8. Okt. 1879) zum Gegenstand hat. Von besonderem Interesse ist der Wandlungsprozess, dem religiöse Praktiken und Rituale in der städtischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts in Frankreich unterworfen sind, die anhand des vielfältigen Flaubert’schen Werks dargestellt und v.a. für den Roman L’Éducation sentimentale (1869) historisch perspektiviert und kritisch analysiert werden sollen.
Die Fragestellung, die methodisch durch gesellschaftspolitische, kunstgeschichtliche und medienanalytische Perspektiven bearbeitet werden kann, verspricht Säkularisierungstendenzen in der komplexen Ambivalenz religiöser Praktiken und damit zugleich auch Leerstellen von Spiritualität zu erkennen, die durch konsumistische Oberfläche, Kitsch und Fetisch nur unvollkommen verdeckt werden. Damit würden zugleich Tendenzen und Problemlagen des 20. Jahrhunderts greifbar und die Distanz Flauberts zum Aufklärungsdiskurs des 18. Jahrhunderts schärfer erkennbar. Im Juni 2025 wird ein internationales Kolloquium an der Universität Münster am Exzellenzcluster zum skizzierten Projekt stattfinden.