EXC 2060 A3-35 - Neues aus China? - Wissensquellen, Wissensaneignung und Wissenstransfer von Missionaren in China im 19./20. Jahrhundert
- Projektstatus
- laufend
- Mittelgeber
- DFG - Exzellenzcluster
- Förderkennzeichen
- EXC 2060/1
Seit den frühesten christlichen Missionsversuchen in China entstand ein umfangreiches Korpus europäischer Publikationen über das Reich der Mitte aus der Hand von Missionaren verschiedener Konfessionen, die über ihr Missionsfeld ausgiebig berichteten: Reiseberichte, Übersetzungen klassischer chinesischer Literatur, Wörterbücher, botanische Abhandlungen, Historiographien und vieles mehr fanden auf den verschiedensten Wegen Eingang in „den Westen“ und formten für Jahrhunderte das europäische Chinabild.
Der sog. alten Mission, also den großen römisch-katholischen Orden der Jesuiten, Franziskaner, Dominikaner und Augustiner, wurde in der Missionsforschung wie auch in der Sinologie viel Aufmerksamkeit gewidmet, während die im Zentrum des vorgeschlagenen Projekts stehenden Missionsgesellschaften des „langen 19. Jahrhunderts“ dagegen weitaus weniger systematisch aufgearbeitet worden sind.
Das vorliegende Projekt bezieht sich daher auf die Chinamission im 19./20. Jahrhundert und widmet sich dabei dem Phänomen des Wissenstransfers unter der zentralen Fragestellung, zu welchem Zweck und in welchem Kontext christliche Chinamissionare sog. „Chinawissen“ gewannen, welche Quellen ihnen dafür zur Verfügung standen und wie dieses Wissen an Einzelne, Gruppen oder Institutionen transnational transferiert wurde.
Am Beispiel zweier Missionsgesellschaften – der Schweizer pietistischen Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel und der römisch-katholischen Steyler Missionsgesellschaft des göttlichen Wortes – soll exemplarisch nachvollzogen werden, welchen Beitrag Missionsgesellschaften zum zeitgenössischen Chinawissen in Europa leisteten, wie dieses erarbeitet wurde bzw. auf welchen Grundlagen es überhaupt beruhte und in welcher Form es weitergegeben wurde. Durch den Vergleich beider Gesellschaften lassen sich außerdem wertvolle Einblicke in das wechselseitige Verhältnis von Wissenstransfer und konfessionellen Unterschieden gewinnen, die sich in Arbeitsweise, unterschiedlichen Rekrutierungsmethoden und vor allem dem divergierenden Bildungshintergrund des Missionspersonals zeigen.
Als Referenzmaterial dienen reichhaltige Archivdokumente, die in mehreren Fallstudien erfasst, analysiert und in den historischen Kontext gesetzt werden. Darunter der Quartalsbericht des Missionars Karl Michel aus dem Jahr 1928, der die Staatsphilosophen Menzius (ca. 300 v. Chr.) und Sun Yat-sen (1866–1925) miteinander vergleicht. Daran lässt sich nicht allein die Arbeit des Missionars mit chinesischen Quellen ablesen, sondern wird auch das heilsgeschichtliche Narrativ deutlich, das Michel auf die klassische chinesische Literatur anwendete und somit vorchristliche Texte letztlich theistisch deutete.
Im Rahmen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ fügt sich das skizzierte Projekt in das Forschungsfeld A „Transkulturelle Verflechtungen und Entflechtungen“ ein. Mit seinem Fokus auf der Aneignung von Wissen über China durch deutschsprachiges Missionspersonal und der Frage nach konkreten Verfahren dieser Wissensgenese sowie nach dem Transfer von Chinawissen kann dieses Projekt einen wertvollen Beitrag zum Forschungsprogramm des Clusters leisten.