Die außerordentliche Karriere des Doktor Schnabel

Von Literaturwissenschaftlerin PD Dr. Pia Claudia Doering (Romanistik)

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Die Schnabelmaske des Pestarztes ist medizingeschichtlich von untergeordneter Bedeutung. Dies belegen anschaulich die Arbeiten der Medizinhistorikerin und Direktorin des Deutschen Medizingeschichtlichen Museums Marion Maria Ruisinger. In kulturgeschichtlicher Perspektive hingegen hat die Pestmaske große Bekanntheit erlangt und ist als Symbol für die Ansteckungsgefahr, die von Seuchen ausgeht, aber auch für Krankheit und Tod fest im kollektiven Gedächtnis verankert.

Abb. 1 Thomas Bartholin, Historiarum anatomicarum rariorum centuria I et II, Kopenhagen 1661.
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Im Mittelalter, zur Zeit der Großen Pest (1347-1351), trugen die Ärzte noch keine Pestmasken. Um das Risiko der Ansteckung über die Atemluft (dazu der Beitrag Miasmen, Teilchen, Zunder, Pestwürmern und „levende diertjens". Über den Weg der Mikroben aus ihrer Unsichtbarkeit für den Menschen von Katharina Wolff in diesem Dossier) zu verringern, hielten sie sich bei ihren Krankenbesuchen Säckchen mit in Essig getränkten aromatischen Kräutern vor die Nase. Erst im 17. Jahrhundert entwickelten sie, möglicherweise nach einer Idee von Charles Delorme, dem Leibarzt Ludwigs XIII., eine direkt unter der Nase angebrachte Halterung für die Duftstoffe, die eine kontinuierliche Reinigung der Luft bei gleichzeitiger Freiheit der Hände erlaubte. Aus dieser Vorrichtung ging der heute so bekannte Schnabel hervor, der entweder Teil einer Maske (Abb.1) oder einer Haube (Abb. 2) sein konnte.

Abb. 2 Jean-Jacques Manget, Traité de la peste, Genf 1721.
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Dass Ärzte ein solch schnabelartiges, mit Duftstoffen gefülltes Nasenfutteral trugen, ist geographisch lediglich für Frankreich und Italien und zeitlich für Pestausbrüche seit dem 17. Jahrhundert belegt. Für die Zeit davor und beispielsweise für den deutschsprachigen Raum finden sich keinerlei Hinweise auf den Gebrauch von Pestmasken. Obwohl es sich also medizinhistorisch bei der Schnabelmaske lediglich um eine Randerscheinung handelt, ist sie in Form von Karnevals- und Theatermasken, in Bildern und Texten bis heute und über die Grenzen Italiens und Frankreichs hinaus präsent. Die große symbolische Bedeutung der Maske zeigt sich besonders daran, dass sie inzwischen in einer Vielzahl unterschiedlicher Kontexte getragen wird. Im venezianischen Karneval gehört der medico della peste zu den bekanntesten Figuren (Abb. 3).

Abb. 3: venezianische Maske des Pestarztes
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Daneben erscheint die Maske aber auch in Zusammenhängen, in die sie nach dem Kriterium historischer Korrektheit eigentlich nicht passt, so beispielsweise auf Mittelaltermärkten und in medialen Inszenierungen der mittelalterlichen Pest. Und auch auf dem Theater, das seine eigene Maskentradition hat, ist die Maske des Pestarztes inzwischen zu finden, obwohl sie ursprünglich beispielsweise nicht zum Maskenbestand der Commedia dell’arte gehörte. In vielen aktuellen Inszenierungen von Molières Ärztesatiren wie des Monsieur de Pourceaugnac (1669) oder des Eingebildeten Kranken (1673) tragen die Ärzte furchteinflößende oder komische Schnabelmasken (Abb. 4), obwohl die Stücke nicht von der Pest handeln und die Originalkostüme des 17. Jahrhunderts keine Masken, sondern Gelehrtenkleidung mit aufwendigen Hüten und Perücken als Kostümierung des Mediziners vorsahen.

Abb. 4: Aufführung des Monsieur de Pourceaugnac, Comédie-Ballet von Molière und Lully, in der Inszenierung von Raphaël de Angelis, Opéra Grand Avignon, 6. Oktober 2019.

Dass Molières Ärztefiguren heute mit einer Schnabelmaske auf der Bühne zu sehen sind, verdankt sich der visuellen Wirkung des Doktor Schnabel: Die Maske deutet in einem engeren Sinn auf die Skepsis der Laien gegenüber den medizinischen Experten hin, denen sich Patienten gezwungenermaßen anvertrauen müssen, obwohl sie den Fachjargon ebenso wenig verstehen, wie sie die Gesichter hinter der Maske erkennen können. Über die spezielle Bedeutung in der Ärztesatire hinaus erinnert die Pestmaske jedoch in einem weiteren Sinn immer zugleich auch an die Sterblichkeit des Menschen und dessen Angst vor dem Tod.