„Eine Datenbank für die Zukunft“

Perry Schmidt-Leukel über den verstorbenen Schweizer Theologen Hans Küng

Nicht nur Papst- und Kirchenkritiker: Zum Tod Hans Küngs am 6. April würdigt der Religionswissenschaftler und Theologe Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel in einem Beitrag das Werk des bekannten Schweizer Theologen. Küng sei es vor allem um das gegangen, „was am christlichen Glauben heute tatsächlich noch glaubhaft ist“. Auch für den Dialog zwischen den Weltreligionen habe er „längst noch nicht ausgeschöpfte Grundlagen“ geschaffen.

Hans Küng († 6. April 2021)
© wikimedia/Muesse

von Perry Schmidt-Leukel

Häufig wird Hans Küng in der medialen Öffentlichkeit auf die Rolle des Papst- und Kirchenkritikers reduziert. Zweifellos war es Küng wichtig, wie sich die Römisch-Katholische Kirche heute präsentiert. Ob sie ihrem Auftrag, den Menschen zu dienen und zum Glauben zu ermutigen, gerecht wird. Oder ob sie sich dabei durch das Festhalten an überkommenen Strukturen und Traditionen selbst im Wege steht: an ihrer hierarchischen, ja geradezu monarchischen Ordnung, an der Begrenzung des priesterlichen Amtes auf das männliche Geschlecht, an ihrem Insistieren auf einem Pflichtzölibat für den Klerus, an ihrer Sexualmoral und der daraus resultierenden unverantwortlichen Haltung zur Empfängnisverhütung, an ihrer Unwilligkeit, andere christliche Kirchen als solche anzuerkennen und die Reformimpulse des letzten Konzils umzusetzen und fortzuführen.

Und doch stand Kirchenkritik nicht im Zentrum von Hans Küngs massivem theologischen Werk. Ihm ging es vor allem darum, was am christlichen Glauben heute tatsächlich noch glaubhaft ist und wie. Nicht etwa im Hinblick auf den unbeständigen Zeitgeist. Sondern im Hinblick auf unser durch den naturwissenschaftlichen Fortschritt gravierend verändertes Welt- und Menschenbild. Im Hinblick auf unser umfangreiches Wissen um die Geschichte und die historischen Veränderungen, von denen auch das Christentum nicht ausgenommen ist. Im Hinblick auf unsere vertiefte Kenntnis der anderen großen Religionen und der immer mehr zum Alltag werdenden Begegnung mit ihren Anhängern. Im Hinblick auf die neuartigen Herausforderungen einer technisierten Welt und den globalen Maßstab der damit einhergehenden Chancen wie Bedrohungen. Ein Glaube, der glaubwürdig bleibt und seine befreiende Kraft behält, muss sich in all diesen Feldern bewähren, aber auch verändern. Denn es geht nicht um kirchliche Traditionspflege, sondern um die Suche nach Wahrheit. Dies schließt notwendig die Bereitschaft ein, das aufzugeben, was sich als nicht länger glaubhaft erweist, um das neu zu gewinnen, was sich als überzeugend und sinnstiftend zeigt. Diese Bereitschaft ist unvereinbar mit einem Insistieren auf Unfehlbarkeit. Aus einer solchen Perspektive heraus hat Hans Küng die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens – den Gottesgedanken, die Deutung und Bedeutung des Jesus von Nazareth, das Leben aus dem Glauben und die Hoffnung trotz aller Vergänglichkeit – in umfangreichen Studien neu reflektiert. Es zeichnet ihn aus, dass er sich dabei bewusst in einer Sprache ausdrückt, die klar und verständlich bleibt. Auch das dürfte zu seiner großen internationalen Wirkung beigetragen haben.

Vor allem nach dem Entzug seiner Lehrerlaubnis widmete sich Hans Küng verstärkt dem Dialog zwischen den Religionen und dem „Projekt Weltethos“. Dieses Projekt zeigt auf, dass sich quer durch die verschiedenen religiösen Traditionen hindurch eine fundamentale Gemeinsamkeit in ethischen Grundüberzeugungen findet. Im Kern handelt es sich hierbei um ein antirelativistisches Projekt, insofern der Relativismus universale Normen bestreitet. Dementsprechend stieß das Projekt unter den Religionen auf breite Zustimmung, unter so manchen Religionswissenschaftlern dagegen eher auf skeptische Abneigung. Globale Berühmtheit erlangte Küngs Diktum „Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen“. Damit verband Küng jedoch die weitere Überzeugung „Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen“. Mit seinen umfangreichen, religionsgeschichtlich orientierten Darstellungen des Judentums (1991), des Christentums (1994) und des Islams (2004) hat er für den Dialog zwischen diesen drei Religionen entscheidende, längst noch nicht ausgeschöpfte Grundlagen gelegt. Doch auch für den Dialog mit den indischen und chinesischen Religionen steuerte Küng ausgesprochen fruchtbare Überlegungen bei, die er im Dialog mit Experten entwickelte.

Mit seinem Gesamtwerk zeigt Küng, in welche Richtung sich wissenschaftliche Theologie bewegen muss, welchen Fragen sie sich zu stellen hat und wie sie dies auf eine rational verantwortete und keineswegs nur für Fachkreise nachvollziehbare Art und Weise tun kann. Sein Werk ist nicht für die Archive. Es ist eine Datenbank für die Zukunft.