Theorie der Religionsvielfalt stößt auf Forschungsinteresse in China

Buchcover
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Die Theorie des Religionswissenschaftlers und Theologien Perry Schmidt-Leukel, wonach sich in der religiösen Vielfalt fraktale Muster zeigen, steht im Mittelpunkt seines neuesten Buchs “To See a World in a Flower” („Die Welt in einer Blume sehen“). Das Buch verdeutlicht diese Theorie am Beispiel einer Analyse der typologischen Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum. Es basiert auf fünf Vorlesungen, die Schmidt-Leukel 2017 auf Einladung der Minzu Universität in Peking gehalten hat. Das in Peking erschienene Buch enthält den Text der Vorlesungen in englischer Sprache und chinesischer Übersetzung.

„Ich freue mich, dass es gegenwärtig unter chinesischen Wissenschaftlern so viel Interesse an meiner Arbeit gibt“ Herausgeber ist Professor You Bin von der Minzu University. Der Titel „Die Welt in einer Blume sehen“ (一花一世界) steht für ein traditionelles buddhistisches System in China und entspricht zugleich der fraktalen Theorie: eine größere Struktur kehrt in ihren kleineren Komponenten wieder.

„Die Grundidee einer fraktalen Interpretation religiöser Vielfalt besteht in der Theorie, dass die Hauptunterschiede zwischen den Religionen als Unterschiede zwischen verschiedenen Ausprägungen innerhalb der einzelnen Religionen wiedererscheinen“, erläutert Schmidt-Leukel. „In diesem Buch stelle ich dar, wie diese Theorie auf das Verhältnis von Buddhismus und Christentum zutrifft.“

Verhältnis von Christentum und Buddhismus in neuem Licht

Schmidt-Leukel untersucht vier zentrale typologische Unterschiede, mittels derer man traditionell das Verhältnis von Buddhismus und Christentum bestimmt hat: eine weltverneinende gegenüber einer weltbejahenden Spiritualität, eine impersonale gegenüber einer personalen Vorstellung von Transzendenz, das Bild von der zentralen Mittlergestalt als einem erleuchteten Lehrer gegenüber dem einer göttlichen Inkarnation und schließlich das Verständnis des Heilsweges im Sinne einer Erlösung aus eigener Kraft gegenüber einer Erlösung durch fremde Kraft. Mittels einer genaueren Betrachtung der internen Vielfalt in jeder der beiden Traditionen zeigt Schmidt-Leukel, dass sich jede dieser vier Unterscheidungen auch auf Sub-Traditionen und religiöse Vorstellungen innerhalb der beiden Religionen anwenden lässt. „Diese Beobachtung“, so Schmidt-Leukel, „wirft ein völlig anderes Licht auf das Verhältnis zwischen diesen beiden Traditionen und zwingt uns, neue und andere theologische Fragen zu stellen. Denn nun müssen wir untersuchen, warum sich solche analogen Unterschiede in jeder der beiden Traditionen entwickeln konnten.“

„Gemäß einer fraktalen Interpretation sind Religionen einander weder völlig gleich, noch auf inkommensurable Weise voneinander verschieden. Vielmehr gleichen sie einander gerade im Hinblick auf ihre interne Vielfalt“, sagt Schmidt-Leukel. „In der Vergangenheit hat man Buddhismus und Christentum häufig als antagonistisch und miteinander unvereinbar dargestellt. Aber in den letzten Jahrzehnten hat sich ein intensiver Dialog zwischen Buddhisten und Christen entwickelt, der beide Religionen als komplementär betrachtet. Indem wir ein besseres Verständnis der strukturellen Analogien zwischen beiden Religionen gewinnen, kann sich der Eindruck, dass zwischen einigen der Hauptunterschiede eine innere Komplementarität besteht, erheblich vertiefen. Diesen Aspekt zu erforschen ist Teil dessen, was ich als interreligiöse Theologie bezeichne.“

Vom Dialog zur interreligiösen Theologie

Schmidt-Leukel hält China aufgrund dessen langer Erfahrung des konstruktiven Umgangs mit religiöser Vielfalt für einen fruchtbaren Boden für interreligiöse Theologie. Schmidt-Leukel hat bereits mehrere Beiträge in chinesischen wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert. Sein Buch Transformation by Integration: How Inter-faith Encounter Changes Christianity (“Transformation durch Integration: Wie die interreligiöse Begegnung das Christentum verändert”) wurde 2017 in chinesischer Übersetzung in der Volksrepublik China publiziert (Tōng guò zhěng hé zoǔ xiàng zhuǎn huà). Eine chinesische Ausgabe der erweiterten Fassung seiner Gifford Lectures (Religious Pluralism and Interreligious Theology) ist gegenwärtig in Bearbeitung und soll ebenfalls beim Religious Culture Publishing House erscheinen. (exc)

Hinweis: To See a World in a Flower: A Fractal Interpretation of the Relation between Buddhism and Christianity, Beijing: Zong jiao wen hua chu ban she (Religious Culture Publishing House) 2020.