Warum Russland und Europa Staatsgeschenke austauschten

Exzellenzcluster lädt zur ersten Tagung im Moskauer Kreml-Museum ein – Internationale Wissenschaftler erforschen „Die Sprache der Gaben“

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Prof. Dr. Gerd Althoff

Mit prachtvollen Staatsgeschenken haben Russland und die Mächte Europas über Jahrhunderte ihre Beziehungen gepflegt. Inmitten solcher wertvollen Gaben, im Moskauer Kreml-Museum, hält der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster gemeinsam mit russischen Institutionen im Oktober eine der ersten Wissenschaftstagungen an diesem Ort ab. Forscher aus Europa, den USA und Russland werden dabei „Die Sprache der Gaben“ untersuchen. „Geschenke waren seit jeher geeignet, soziale, religiöse und politische Beziehungen zu begründen, zu intensivieren oder zu verlängern“, sagt Cluster-Sprecher Prof. Dr. Gerd Althoff. „Der reiche Schatz der Rüstkammer des Kreml-Museums, im Westen noch weitgehend unbekannt, lädt Forscher geradezu ein, über die symbolische Sprache der Gaben und deren internationale Verständlichkeit nachzudenken.“

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Das jahrhundertealte Thema birgt dem Experten zufolge „eine bis heute politisch hochbrisante Frage: Gehört Russland zu Europa?“ Viele Menschen in Westeuropa und den ehemaligen Sowjetrepubliken in Mitteleuropa seien der Auffassung, man könnte und sollte Russland aus der europäischen Integration und Tradition heraushalten. Die Fülle an Staatsgeschenken zeige aber, dass Russland stets integraler Teil des europäischen Kommunikationssystems gewesen sei. „Das sind starke historische Argumente dafür, die Grenze zwischen Europa und Asien nicht vom Ural an die polnische Grenze vorzuverlegen, wie es manche Bürger und Politiker heute gern täten.“

Die Konferenz vom 18. bis 20. Oktober 2011 trägt den Untertitel „Die Regeln der symbolischen Kommunikation in Europa 1100-1700“. Der Exzellenzcluster veranstaltet sie gemeinsam mit der Moskauer Lomonossow-Universität, der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Nationalen Forschungsuniversität „Hochschule für Ökonomie“ in Moskau und dem Deutschen Historischen Institut. Erwartet werden Historiker, Kunsthistoriker, Byzantinisten und Theologen. In der Rüstkammer des Kreml-Museums sind Staatsgeschenke wie Throne, Waffen und Tischgeschirr für die russischen Zaren vom 11. bis 18. Jahrhundert ausgestellt.

„Die Geschenke erzählen Geschichten“

Eindrucksvolles Beispiel für die Geschenke-Praxis ist eine silberne, teilvergoldete Schauplatte, die gefangene Türken vor dem Thron von König Jan III. Sobieski von Polen zeigt – die Gefangenen in Ketten liegend und mit gesenkten Häuptern. Mit dem Geschenk an die Zaren Iwan und Peter Alexejewitsch aus dem Jahr 1686 brüstete sich der polnische König gegenüber den russischen Herrschern mit der Gefangennahme türkischer Krieger während der sogenannten Zweiten Wiener Türkenbelagerung, wie der Experte erläutert. „Viele der Geschenke im Kreml-Museum können vergleichbare Geschichten erzählen und werden zentrale Themen der Tagung sein.“

Die Kultur des internationalen Schenkens folgte einem komplizierten Regelwerk, wie Prof. Althoff erläutert. „Es gab zwar keinen ‚Knigge des Gabentausches‘, die Regeln waren aber als Gewohnheiten bekannt. Ihre Existenz und Verbindlichkeit will die Tagung im internationalen Vergleich nachweisen.“ Vieles weise darauf hin, dass sich die Spielregeln des Schenkens über Kulturen und Epochen hinweg stark ähnelten. „So hatte der Schenkende den Rang des Beschenkten zu beachten. Auch galt das ‚Do ut des‘, das schon die Römer kannten: Ich gebe, damit du gibst. Gaben erwarteten Gegengaben.“ Das spielte laut dem Historiker in den unterschiedlichsten Situationen eine Rolle: in Heiratsverbindungen, dynastischen Allianzen, bei Hofe oder in Kriegssituationen.

Die gesamteuropäische Perspektive der Tagungsteilnehmer und der Vergleich zwischen westeuropäischen Regionen, Mitteleuropa und dem orthodoxen Osten sollen der Konferenz nach den Worten von Prof. Althoff ein besonderes Profil verleihen. Dabei werden zahlreiche Beispiele zur Sprache kommen, von der Diplomatie Konstantinopels über Staatsgeschenke für Elisabeth I. und Peter den Großen bis zu religiösen Geschenken. „Der Gabentausch beschränkte sich nicht auf innerweltliche Sphären. Westliche und orthodoxe Christen glaubten gleichermaßen daran, Gott oder die Heiligen beschenken zu können, sei es durch materielle Leistungen oder Gebete, um eine wichtige Gegengabe zu erhalten: das Seelenheil, die Rettung vor der Verdammnis.“ (vvm)

Programm: „Die Sprache der Gaben. Die Regeln der symbolischen Kommunikation in Europa 1100-1700“, 18.–20. Oktober 2011

Dienstag, 18. Oktober (Staatliches Museum „Moskauer Kreml“, Staatliche Rüstkammer, Oberes Vestibül)

16.30–17.30 Uhr
T
hematische Führung „Symbolische Gaben in den Sammlungen der Rüstkammer“ (Natalia Abramova, Kreml-Museum, Leiterin des Referats „Abendländisches Silber“)

17.30–18.00 Uhr
Feierliche Eröffnung der Tagung

18.00–19.30 Uhr
Empfang


Mittwoch, 19. Oktober (Patriarchenpalast, Salbölkammer)

10.00–12.00 Uhr
Gerd Althoff, Barbara Stollberg-Rilinger, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: „Logik und Semantik des Gabentausches im vormodernen Europa: Einleitung“

Arnold Angenendt, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: „Die Theologie der Gabe“

Maria Panfilova (Kurzreferat): Seltsame Opfergaben in der Messe der Heiligsprechung: Probleme der Entstehung und symbolischen Auslegung

12.30–14.30 Uhr
Wolfram Drews, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: „Krönung und Konnubium: Rangerhöhungen von Bulgarenherrschern durch byzantinische Kaiser im 10. Jahrhundert“

Andrej Vinogradov, Nationale Forschungsuniversität „Hochschule für Ökonomie“ (Moskau): „Byzantinische Geschenke an kaukasische Potentaten: Tribut und Gehörigkeit“

Zbigniew Dalewski, Tadeusz Manteuffel Institute of History of the Polish Academy of Sciences (Warschau): “Gift-Giving or Tribute-Paying: Polish Dukes at the Imperial Court (11th–12th Centuries)”

15.15–16.45 Uhr
Anna Litvina, Fjodor Uspensky, Institut für Slawische Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften (Moskau): „Prüfung durch Gaben auf dem Weg von den Warägern zu den Griechen: diplomatische Etikette und narrative Formel“

Claudia Garnier, Universität Vechta: „Formen und Funktionen des Gabentauschs in den Beziehungen zwischen Mongolen und Europäern im 13. Jahrhundert“

17.15–18.45 Uhr
Olga Togoeva, Institut für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften (Moskau): „Die Krone als Himmelsgabe. Jeanne, der Dauphin und ein Engel“

Michail Bojcov, Nationale Forschungsuniversität „Hochschule für Ökonomie“ (Moskau): „Die Geschenke Kaiser Konstantins an den Papst und ihre Analogien im Westen und Osten Europas“


Donnerstag, 20. Oktober (Patriarchenpalast, die Salbölkammer)

10.00–12.00 Uhr
Olga Dmitrieva, Museum „Der Moskauer Kreml“: „Der Tausch von Neujahrsgeschenken am Hof der Königin Elisabeth I.“

Russel Edward Martin, Westminster College, New Wilmington, PA: “Gifts for the Royal In-Laws: Gift-Giving and Dynastic Alliance in the Irina-Valdemar Affair (1643–1645)”

Elena Kiryanova (Kurzreferat), Moskauer Staatliche Lomonossov-Universität: „The ‘Basilikon Doron’ and its Functions in Britain and beyond”

12.30–14.00 Uhr
Sergej Zverev, Museum „Der Moskauer Kreml“: „Goldmünzen als diplomatische Gaben im 15.–17. Jahrundert“

Anjella Koudriavtseva, Museum „Der Moskauer Kreml“: „Staatsgeschenke als Instrument des diplomatischen Spiels im 16.–17. Jahrhundert“

15.00–16.30 Uhr
Michael Grünbart, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: „Die Macht der Gaben: Ideologischer und materieller Austausch zwischen dem ökumenischen Patriarchat und dem russischen Zarentum im 17. Jahrhundert“

Ulla Birgegard, Universität Uppsala: „Die Gaben der schwedischen und habsburgischen Gesandtschaften 1684 an den Zaren: Was bedeuteten sie?“

17.00–18.30 Uhr
Lilija Berezhnaya, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: „Gesandtschaftsgeschenke im System diplomatischer Beziehungen Russlands mit der Adelsrepublik Polen-Litauen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“

Jan Hennings, Universität Oxford: „Das gescheiterte Geschenk: Funktion und Bedeutung der diplomatischen Gabe in den Englisch-Russischen Beziehungen des 17. Jahrhunderts“
Schlussdiskussion