Immer mehr junge Muslime diskutieren bei Facebook den Islam

Studie des Exzellenzclusters: Kaum extremistische Positionen in Internet-Foren muslimischer Studierender

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Politologin Daniela Schlicht

Immer mehr muslimische Studierende in Europa diskutieren laut einer neuen Studie in Internet-Foren, was islamisch ist. Verfassungsfeindliche Meinungen lehnen sie in Facebook- und StudiVZ-Debatten fast einstimmig ab, wie erste Ergebnisse der Untersuchung aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster zeigen. „Extremistische Positionen sind selten und werden von der Internetgemeinschaft sofort ausgebremst“, sagt Politologin Daniela Schlicht. Sie hat für die Studie mehr als 1.000 Facebook- und StudiVZ-Debatten aus drei Jahren gesichtet. Darin diskutieren gut 2.500 junge Muslime in Deutschland und England über Themen wie „Nationalbewusstsein und Islam“, „Euro-Islam“ oder „Gottesstaat versus Laizismus“. Die vollständigen Ergebnisse sind Ende 2011 zu erwarten.

„Ein zentrales Thema der Internet-Debatten ist die Frage, wie Muslime in europäischen Ländern nach den Regeln des Islams leben können“, erläutert Daniela Schlicht. Häufig analysieren die muslimischen Studierenden nach Erkenntnissen der Forscherin auch, welche Vorurteile ihnen von staatlicher Seite und von der nicht-muslimischen Mehrheit entgegengebracht werden, wie die Frage nach der Unterdrückung von Frauen im Islam. Zudem wird der Studie zufolge in den Foren ausgiebig diskutiert, wie viel Religionsfreiheit angesichts der Debatten um Kopftuch, Burka und Minarett in Europa tatsächlich herrscht.

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Audio-Interview mit Daniela Schlicht zu ihrer Studie

Die Bandbreite der Muslime, die sich im Web austauschen, ist laut der Untersuchung groß: „Traditionelle und liberale Muslime, Konvertiten und Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern – in den sozialen Netzwerken findet sich eine große Vielfalt. Das hat es zuvor nicht gegeben“, so die Forscherin. Dabei sei die breite Mehrheit der Diskutanten überzeugt, dass sich ein guter Muslim in dem Land, in dem er oder sie lebt, einzubringen hat und Vorbild für andere Muslime sein soll. „Zugleich fragen die jungen Muslime sich und andere Angehörige ihrer Minderheit immer wieder, inwiefern sie Teil der Gesellschaft sind und wie ihre Religion in den deutschen Staat passt“, sagt die Wissenschaftlerin. „Sie bekommen offenbar häufig das Gefühl vermittelt, der Islam gehöre nicht dazu. Zumindest ist dies in den Foren oft zu lesen.“

Der Diskussionsbedarf unter jungen Muslimen in Deutschland ist nach den Worten der Politikwissenschaftlerin besonders groß. Hier werde öffentlich weit mehr über Islam und Islamismus diskutiert als etwa in England, wo der Islam schon selbstverständlicher dazu gehöre. „Die intensive Debatte in Deutschland zwingt junge Muslime regelmäßig dazu, Stellung zu ihrer Religion zu beziehen.“ So setzen sich hier zu Lande laut Schlicht immer mehr muslimische Studierende in sozialen Netzwerken lebhaft mit ihrer eigenen kulturellen und religiösen Identität auseinander.

Die qualitative Studie trägt den Titel „Europäischer Islam im Internet: Überlegungen zum Umgang muslimischer Studierender mit dem Islam im Kontext säkularer Staatlichkeit“. Sie entsteht, begleitet durch den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Willems, an der Graduiertenschule des Exzellenzclusters, der insgesamt 47 Doktoranden angehören. Aus den mehr als 1.000 gesichteten Diskussionen hat Daniela Schlicht einige Debatten ausgewählt, in denen sich muslimische Studierende in hunderten von Postings über den Islam in Deutschland und England austauschen. Bei der Analyse der Foren verwendet die Politologin keine vorab entwickelten Raster, sondern filtert thematische Muster aus den Debatten heraus. „Es gibt bereits viele makropolitische Untersuchungen über den Islam in Europa. Mir geht es darum, auf der mikropolitischen Ebene zu erforschen, wie Muslime in Europa selber über den Islam diskutieren“, sagt Schlicht.

Ein Teil der Diskussionen im Internet beschäftigt sich den Ergebnissen zufolge auch damit, wie Muslime überhaupt diskutieren sollten und welche Argumente in einer islamischen Diskussion gelten können, wie Daniela Schlicht sagt. Uneinigkeit herrsche etwa in der Frage, ob nur Koran und Sunna, oder auch heutige muslimische Prediger sowie westliche Philosophen wie Immanuel Kant oder auch die eigene Logik herangezogen werden dürften, um „muslimisch zu argumentieren“. Neu ist laut der Wissenschaftlerin die Tendenz, dass Muslime zu Experten ihrer eigenen Religion werden können: „Man geht nicht mehr zum Geistlichen, zum Imam, um Fragen zu stellen, sondern wird im Internet selbst zu einer Art Imam.“ Daniela Schlicht: „Kommt es über all das zum Streit, schlichten die Beteiligten diesen meist mit einem Koran-Zitat oder einigen sich darauf, dass nur Gott weiß, was richtig ist.“ (han/vvm)