„Enge rechtliche Verflechtung von Staat und Kirche hat keine Zukunft“

Prof. Dr. Hermann Lübbe über Grenzen des Staatskirchenrechts

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Prof. Dr. Hermann Lübbe (links) und Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer

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Der renommierte Philosoph Prof. Dr. Hermann Lübbe hält die enge rechtliche Verbindung zwischen Staat und Kirchen in Deutschland, etwa beim Kirchensteuereinzug oder öffentlichen Religionsunterricht, für „nicht zukunftsfähig“. Das geltende Staatskirchenrecht werde der unaufhaltsamen Pluralisierung der Religionen voraussichtlich nicht gewachsen sein. „Was ist, wenn alle Religionsgemeinschaften die Privilegien der großen Kirchen einfordern, die ihnen dem Grundgesetz nach zustehen?“, fragte Lübbe am Donnerstagabend bei einem öffentlichen Vortrag am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster.

Die Nähe der Religion zum Staat komme ihr in vielen europäischen Ländern inzwischen nicht mehr zugute, sondern behindere ihre Entfaltung, sagte der Wissenschaftler. Als Gegenbeispiel verwies er auf die USA. Dort habe sich die radikal liberale Trennung der Kirchen vom Staat als vorteilhaft für die Religion erwiesen. „Erst auf dieser Basis vermochten die Katholiken zur weitaus größten Religionsgemeinschaft in den USA heranzuwachsen. Und gerade wegen dieser unzweifelhaften Trennung können die amerikanischen Präsidenten öffentlich ihren Glauben demonstrieren“, erklärte der Philosoph.

Grundsätzlich sei die Religion eine Gewinnerin der Moderne, so Lübbe. „Sie wird ein immer wichtigerer Faktor in der Politik, ihre Wiederbelebung ist ein weltweites Phänomen. Das wird auch China noch zu schaffen machen.“ Die Religion habe in der Moderne ihre beiden ärgsten Feinde überwunden: zum einen die radikale Kritik von Wissenschaftlern, die sich etwa auf Charles Darwin beriefen, um das Menschen- und Weltbild der Kirchen abzulösen, zum anderen die totalitären Ideologien des Kommunismus und des Nationalsozialismus.

Zweifellos seien die Mitgliederzahlen der großen Kirchen in Europa zurückgegangen, sagte der Experte. Das Ende ihrer Feinde komme vor allem neuen Formen der Religion zugute. Als Beispiele aus dem Alltag führte Lübbe Kreuze am Straßenrand für Verkehrsopfer, Gottesdienste bei Bikertreffen und die Jakobsweg-Wanderer an.

Der Vortrag Lübbes war Teil der Fachtagung „Sakralisierte Politik und politische Religion“. Die Organisatoren, Historiker Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer und Christina Schröer, forschen am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ über „Politische Religion, Utopie und Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert“. (arn)