Konflikt zwischen Moral und Sozialwissenschaften

Über Stärken und Schwächen der Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI

Gastbeitrag Karl Gabriel

Prof. Dr. Karl Gabriel

Der Münsteraner Sozialethiker und Soziologe Prof. Dr. Karl Gabriel wirft der ersten Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. vor, sozialwissenschaftlich nicht auf der Höhe der Zeit zu argumentieren und in die Nähe einer fundamentalistischen Position zu geraten. „Die Begriffe und Konzepte, die der Papst zum Begreifen der gegenwärtigen Weltsituation anbietet, bleiben in einem Maße unpräzise und unterkomplex, dass sie in Widerspruch zu seinen Absichten geraten“, schreibt Gabriel in einem Beitrag für www.religion-und-politik.de. „Der wissenschaftliche Kenntnisstand der Sozialwissenschaften zu Globalisierung und Entwicklung wird über weite Strecken außer Acht gelassen.“

Anfuehrungszeichen

Der Beitrag:

Politik, Wirtschaft und Medien haben die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ (Die Liebe in der Wahrheit) von Papst Benedikt XVI. Anfang Juli fast ausschließlich positiv aufgenommen. Sie begrüßten vor allem die eindringliche Aufforderung des Kirchenoberhauptes zur Übernahme von moralischer Verantwortung gegenüber dem Globalisierungsprozess und seinen Folgen. Darin liegt die Stärke der ersten Sozialenzyklika von Benedikt XVI. Unübersehbare Schwächen zeigt die Schrift meines Erachtens jedoch in der mangelnden begrifflichen und konzeptionellen Klarheit und fehlenden sozialwissenschaftlichen Fundierung. Das gilt auch für den überraschenden Anspruch, Universalität für das katholische Naturrecht im globalen Dialog mit den Religionen und Weltanschauungen zu behaupten.

Die Schwächen der Enzyklika konzentrieren sich auf zwei Felder. Die Begriffe und Konzepte, die der Papst zum Begreifen und Verändern der gegenwärtigen Weltsituation anbietet, bleiben in einem Maße unpräzise und unterkomplex, dass sie in Widerspruch zu seinen Intentionen und Absichten geraten. Der wissenschaftliche Kenntnisstand der Sozialwissenschaften zu Globalisierung und Entwicklung wird über weite Strecken außer Acht gelassen. Der Sozialethiker Walter Kerber hatte schon mit Blick auf die Sozialenzyklika "Sollicitudo rei socialis" (Die soziale Sorge der Kirche) von Johannes Paul II. von 1987 davor gewarnt, dass ein Konflikt zwischen Moral und Sozialwissenschaften sich für die Kirche ebenso verhängnisvoll auswirken könnte „wie zu Zeiten Galileis der Konflikt zwischen Glauben und Naturwissenschaft“. Benedikt XVI. gibt nun noch mehr Anlass zu Befürchtungen dieser Art.

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