Jugendbewegte Literatur. Poetologie, Ideologie und Intertextualität bündischer Texte in der Frühzeit der Bundesrepublik

Die deutsche Jugendbewegung wird heute, wenn überhaupt bekannt, als kurioses Produkt der Zwischenkriegszeit ohne größere Relevanz für literaturgeschichtliche Prozesse gesehen. Bekannt sind der Wandervogel, ihre Nachdichtungen von Volksliedern oder auch eine pathetisch-romantische Naturverehrung. Doch innerhalb der Jugendbewegung gab es viel mehr Ambivalenzen: zwischen Moderne und Vormoderne, zwischen Intellektuellenfeindlichkeit und Avantgarde, zwischen Konservativer Revolution und Fortschrittsglauben. Gerade deswegen aber erlauben Schriften von Wandervögeln und co. einen Perspektivwechsel auf die deutsche Literatur – bis in die 1950er und 1960er Jahre.
Zur Expo 1958 – in der sogenannten „Bibliothek eines geistig interessierten Deutschen“, die damals der Welt Deutschlands Rückkehr in die internationale intellektuelle Gemeinschaft zeigen sollte – wurden gleich drei Bücher von dem Wandervogel und Aushängeschild der Jugendbewegung Werner Helwig ausgestellt. Die so valorisierte Literatur Helwigs bietet ein außergewöhnliches Amalgam an Avantgardismen, Referenzen auf die großen antiken Denker, aber auch Bezüge auf den Expressionismus. Nicht zuletzt ufert die Kultur der Bündischen und Jugendbewegten schließlich in die Tramper-Kultur der 50er, die paneuropäische Ideen vertrat; und im folgenden auch in die deutsche Liedermacherszene unter Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt und Reinhard Mey, die alle ihre Bekanntheit durch Auftritte bei einem Wandervogel-Fest 1964 erlangten. Kurzum: Die Jugendbewegung ist der Schlüssel für das Verständnis deutscher Jugendkulturen nicht nur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern bis zur 68er-Bewegung.
Das Projekt liefert eine erste produktionsästhetische Grundlagenarbeit über die Literatur der Jugendbewegung und behandelt dabei auch Autor*innen, die bislang von der wissenschaftlichen Community kaum oder gar nicht beachtet worden sind. Es stützt sich in großem Ausmaß auf extensive Textarbeit in Archiven und liefert so Material und Anstöße für weitere Forschung zur Frühzeit der Bundesrepublik.
Betreuer: Prof. Dr. Moritz Baßler