Analoge Schätze

In den Magazinen der ULB liegen Texte von überraschender Gestalt

Beim Nachdenken über Texte und Körper kommt man irgendwann auch bei der materiellen Form an. Wurden noch vor wenigen Jahren Geistesblitze und Einkaufszettel auf Papier festgehalten, so werden Hochgeistiges und Zufallstexte zunehmend zu elektrischen Ladungszuständen, die nur so lange auf Bildschirmen sichtbar sind, wie Strom da ist. Zum Lesen braucht es nicht nur eine Brille, sondern mindestens ein Smartphone.

Das auf Papier geschriebene Wort dagegen hat besondere Kräfte. Im Mittelalter wurden solche Zettel als Zauberamulett getragen oder als Medizin geschluckt. Auf Pergament geschriebene Verträge und Gesetze können auch nach Jahrhunderten noch gültig sein. Und schon im Mittelalter galt: Ist eine Idee erst einmal zu Papier gebracht, ist sie kaum wieder einzufangen.

Für Hermine, ohne die Harry Potter es nicht in den siebten Band seiner Abenteuer geschafft hätte, waren Bücher ihre ersten Freunde. Dass die schönsten Bücher nicht unbedingt die klügsten Ratschläge geben, gehört mit zu den schmerzlichen Erfahrungen, die sie in ihrem kurzen fiktiven Leben machen musste. Wie nah diesbezüglich Dichtung und Wahrheit beieinanderliegen können, zeigt der hier folgende Blick in die Schatzkammern der Universitäts- und Landesbibliothek. | ek

Beutelbuch mit Texten des Augustinus

© Kulturbüro/Brigitte Nussbaum

Mönche hatten nur wenig Besitz und dementsprechend auch nur wenige Taschen, um diesen unterzubringen. Um aber jederzeit ein Brevier oder Gebetbuch mit sich herumtragen zu können und dabei die Hände frei zu haben, entstanden im 14. Jahrhundert die so genannten „Beutelbücher“. Unter den Einband wurde ein zweiter Lederbezug gelegt, der über den Unterschnitt hinausragte. So konnte das meist kleinformatige Buch daran wie ein Beutel getragen und auch am Gürtel befestigt werden. Das Exemplar der ULB – eine Erläuterung des Bußpsalmen des Augustinus — entstand gegen Ende des 15. Jahrhunderts, der Lederbeutel wurde nachträglich angefügt.


Ps-Augustinus: Erklärung der Busspsalmen (ndd. und mnl.), Westfalen oder östl. Niederlande, Ende 15. Jh.; Signatur: Ms N.R. 1553

Galileo Galiei "Sidervs Nvntivs" (Sternenbote)

© Kulturbüro/Brigitte Nussbaum

Neues Wissen lässt sich manchmal schon durch genaues Hinsehen erwerben, wie der „Siderivs Nvntivs“ (Sternenbote) des Galileo Galilei zeigt, der 1610 in Venedig gedruckt wurde. Er ist die erste astronomische Publikation, die auf Beobachtungen mit dem Fernglas basiert. Die 20-fache Vergrößerung erlaubte Galilei in detaillierten Illustrationen eine fast fehlerfreie Kartierung der Mondoberfläche. Neues Wissen kann aber auch als Bedrohung empfunden werden: Die katholische Kirche setzte den „Sternenboten“ auf den Index. Es ist also etwas pikant, dass das kleine Büchlein ursprünglich einem Mönch des Klosters Wedinghausen gehörte.

Galilei, Galileo: Siderevs Nvncivs. Venetiis  Baglionus, 1610; Signatur: 4‘ M+4 278

Codex Henrici

© Kulturbüro/Brigitte Nussbaum

Der „Codex Henrici“ (Cod. 1), eine illuminierte lateinische Bibelhandschrift aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts ist nach einem Besitzeintrag eines „beschedenn Hynrich“ benannt und zählt zu den bedeutenden Beispielen gotischer Buchmalerei. Die ursprünglichen Auftraggeber sowie Funktion der Handschrift können nur erschlossen werden. Das Folioformat und die reiche Ausstattung mit Initialen auf Goldgrund weisen die Bibel als Glanzstück monastischer Repräsentation aus. Der Schriftvergleich sowie der Stil und die Ikonographie der Initialen deuten darauf hin, dass die Bibel im Raum Köln/Westfalen hergestellt worden ist. Die Zuweisung an ein bestimmtes Kloster ist noch nicht gelungen, einige Textbestandteile weisen auf ein Zisterzienserkloster hin.

Codex Henrici. Lateinische Bibelhandschrift, Westfalen, 1. Viertel 14. Jh.; Signatur: Cod 1

Tagebuch der indischen Reise

© Kulturbüro/Brigitte Nussbaum

Manchmal ist die Form wichtiger als der Inhalt. Melchior Lechters Erinnerungen an seine Reise nach Indien  bestechen weniger durch die Schilderung seiner Erlebnisse, sondern mehr durch die prachtvolle und individuelle Gestaltung der insgesamt 333 Exemplare, die er 1912 drucken ließ. Jedes davon sieht anders aus,die Nummer Eins ließ er mit Gold und Halbedelsteinen verzieren.

Lechter, Melchior: Tagebuch der indischen Reise, Als Ms. gedruckt, Berlin : [V. Holten], 1912; Signatur: Z Fol 19+g

Sebastian Brant "Das Narrenschiff"

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Das Narrenschiff von Sebastian Brant, erstmals 1494 in Basel gedruckt, wurde das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von über 100 Narren bei einer Schifffahrt entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch den Spiegel vorhält. Die ULB besitzt ein Exemplar der 1497 gedruckten lateinischen Ausgabe mit Illustrationen von Albrecht Dürer.

Brant, Sebastian: Stultifera Nauis : Narragonice p[ro]ctionis nunq[uam]|| satis laudata Nauis Basiliensi: Bergmann, 1497; Signatur: Inc 807

Ovid "Metamorphoses"

© Kulturbüro/Brigitte Nussbaum

Weltweit sind noch etwa 27.500 Inkunabeln mit einer Gesamtzahl von 550.000 Exemplaren erhalten. Als Inkunabeln werden jene frühen Drucke bezeichnet, die zwischen der Fertigstellung der Gutenberg-Bibel im Jahr 1454 und dem 31. Dezember 1500 entstanden aind.  Sie orientieren sich in Form und Gestalt noch an den mittelalterlichen Handschriften.

Besonders deulich wird dies am Exemplar von Ovids „Metamorphosen“, das 1489 gefertigt wurde: Die einzelnen Blätter wurden mit beweglichen Lettern in unterschiedlichen Breiten bedruckt, um ein einheitliches Schriftbild zu ermöglichen. Der Platz für das Initial, das bei besonders wertvollen Exemplaren von Hand eingemalt wurde, blieb frei. Offenbar hat einer der Besitzer später versucht, das Initial selbst zu ergänzen.

Ovidius Naso, Publius: Metamorphoses [Venedig] : Matteo Capcasa (di Codeca) für Lucantonio Giunta, 015 geschenkt vom Institutum Erasmianum. Alte Akz. Nr.: E 60/16. - Alte Signatur: Inc 1 . – Alte Signatur auf dem Signaturenschild: Testi O 295. Hs. Anmerkung a1 in französischer Sprache, Hs. Anmerkungen latein.; Signatur: Inc 876

Poesiealbum der Familie Haxthausen

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Außen schön und innen auch: Das Poesiealbum aus dem Besitz der Familie von Haxzhausen ist vom Einband bis zur letzten Seite handgearbeitet. Einer ihrer bekanntesten Vertreter, der Agrarwissenschaftler und Nationalökonom August Franz von Haxthausen (1792-1866) war der Stief-Onkel der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Das Album befindet sich im Nachlass von Karl Schulte-Kemminghausen.

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