Vorwort des Rektors
im November 2023 hat die Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) eine Empfehlung zur kulturellen Dimension von Hochschulen veröffentlicht. Das ist insofern bemerkenswert, als die HRK Kunst und Kultur nicht nur als Gegenstand von Lehre und Forschung oder als Transfer-Werkzeug anspricht, sondern als gelebte Campus-Praxis: „Drängende gesellschaftliche Herausforderungen wie die Herstellung sozialer Kohäsion, die Sicherung von Frieden, die Bekämpfung von Armut und der ökologischen Krise bedürfen nicht nur sozialer und technologischer Innovationen, sondern vor allem auch kulturellen Wissens und kultureller Praktiken, die Menschen Bedeutungen vermitteln und durch Vorstellung alternativer Welten neue Perspektiven offerieren, die verantwortliches Handeln ermöglichen und neue soziale Gefüge und technologische Entwicklungen befördern können.“
An der Universität Münster sind solche Gedanken nicht neu. Für die vielen kulturellen Aktivitäten auf dem Campus schuf sie 1989 mit dem Senatsausschuss für Kunst und Kultur ein gemeinsames Dach – als Plattform für den Dialog von Wissenschaft und Kunst. Und der damalige Rektor Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen schrieb 1990 in der ersten Ausgabe des UniKunstKultur-Magazins: „Der Universität ist nicht nur die Weiterentwicklung und Pflege der Wissenschaft aufgegeben. Sie muß sich selbst als eine Einrichtung unserer kulturellen Welt begreifen und auf diesem Feld bewähren.“ Seither haben sich die institutionellen Strukturen verändert, der Grundgedanke ist aber geblieben: Auch heute engagieren wir uns an der Universität Münster für künstlerische Forschung, ästhetische Bildung und Kreativität, die – so die HRK – „Menschen tief berühren, Resonanzen erzeugen, Muster aufbrechen, Unsichtbares sichtbar und Unerhörtes und Übertöntes hörbar machen und damit Wahrnehmungs- und Deutungsmuster nachhaltig transformieren können.“
Die Beiträge in diesem Heft zeigen, wie das in der Praxis aussehen kann. Kultur kann Raum für Begegnungen schaffen: Mal geht es von Münster ins Ausland, wie auf Konzertreisen des Madrigalchors nach 1948, bei welchen die Dirigentin Herma Kramm nach dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit kulturpolitische Perspektivwechsel anstrebte. Mal geht es an den Stadtrand zu den Alexianern, wo im Kunsthaus Kannen sogenannte Outsider Art geschaffen und ausgestellt wird – dort zu arbeiten ist für am klassischen Kanon geschulte Studierende der Kunstgeschichte eine bereichernde Erfahrung. Die Reise kann aber auch umgekehrt Gäste nach Münster führen. So kommt der Dirigent Marlon Daniel aus den USA an die Musikhochschule und wird mit den dortigen Orchesterformationen neue Programme erarbeiten. Wie wichtig das sensible Hinterfragen zum Beispiel von Traditionen – ob in der Musik, in Museen oder auf der Bühne – für eine globale Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist (das gilt übrigens in der Wissenschaft genauso wie in den Künsten), zeigt ein Text des aus Bhopal stammenden Studierenden Yash Gupta. Gemeinsam ist all diesen Begegnungen, dass erst der Perspektivwechsel und die Offenheit für das Wissen der Gesprächspartner*innen den Austausch fruchtbar werden lassen. Aber solche Räume sind nicht einfach da, sie müssen immer wieder neu geschaffen, verteidigt und mit Leben gefüllt werden. Die Herausforderungen waren für Chöre in den Nachkriegsjahren nicht kleiner als für Kultur-Kollektive heute. Als Publikum sollten wir allen danken, die es uns durch ihren unermüdlichen Einsatz ermöglichen, die kulturelle Dimension von Hochschulen insgesamt zu erfahren. Und vor allem sollten wir nicht vergessen, dass auch wir als Publikum das kulturelle Leben mitgestalten – durch unsere Neugierde und durch unseren Beifall. Für beides gibt es auch in diesem Sommer viele Anlässe.
Einen genussreichen Sommer wünscht
Prof. Dr. Johannes Wessels
Rektor der Universität Münster