„Als eine der ersten Archivmaterial zum Pontifikat Pius‘ XII. zu erforschen, ist ein absolutes Privileg“

Theologin Dr. Judith Schepers über ihre Faszination beim Erforschen der vatikanischen Archive

Dr. Judith Schepers arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Asking the Pope for Help“. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen recherchiert sie Dokumente in den vatikanischen Archiven und bereitet diese für die Publikation in einer künftigen Datenbank auf. Im Interview erzählt sie, was sie bei ihrer Arbeit besonders interessiert, warum sie die historische Realität bisweilen frustriert und was sie gerne einmal im Vatikan machen würde.
 

Porträt Judith Schepers
Dr. Judith Schepers
© privat

Wofür sind Sie im Projekt „Asking the Pope for Help“ die Expertin?

Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen recherchieren wir die Einzelschicksale der Verfolgten in den vatikanischen Archiven, transkribieren das Material und bereiten es für unsere Datenbank oder weitere Publikationen auf. In den letzten Wochen war ich dreimal in Rom – für mich das Highlight meiner Arbeit. Da ich gut italienisch spreche und viel Erfahrung mit handschriftlichen Texten habe, bin ich Spezialistin für das Entziffern und Verstehen handschriftlicher Texte aus den Archiven. Das sind zum Beispiel Notizen oder Briefentwürfe von Mitarbeitern oder Gesandten des Vatikans.

Was interessiert Sie am Projekt besonders?

Mit Blick auf die Einzelschicksale ist es – ich denke für uns alle – unser besonderes Interesse, die neuen biographischen Informationen zu den vom Nationalsozialismus Verfolgten zu erheben, zugänglich zu machen und an ihr unsägliches Leid zu erinnern. Darüber hinaus ist es ein absolutes Privileg, als eine der ersten das Archivmaterial zum Pontifikat Pius’ XII. zu erforschen. Vielleicht als Erste eine Archivschachtel zu Forschungszwecken zu öffnen und ihren Inhalt zu entdecken, ist faszinierend. Insgesamt möchte ich vor allem Vorgänge innerhalb der Kurie verstehen: Wer war wofür zuständig? Wie wurde entschieden und was waren die Motive? Wo kamen die Hilfsbemühungen und die Diplomatie an Grenzen und warum?

Das sind sehr viele Fragen …

Ich gehe den Sachen gern auf den Grund, daher ist es mir wichtig, möglichst viele Facetten in den Blick zu nehmen. Dafür grabe ich mich am liebsten tief in die Quellen und die Literatur ein. Ich habe im Lauf der Jahre aber auch gelernt, dass es nötig ist, Schlussstriche zu ziehen und Antworten zu formulieren. Umso mehr freue ich mich dann, wenn andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse weiterdenken, ergänzen oder auch korrigieren. Das macht für mich Forschung aus.

Gilt das auch für die Kirchengeschichte?

Mir ist es wichtig, immer wieder auf die Vielschichtigkeit historischer Wahrheit(en) hinzuweisen und diese herauszuarbeiten: Die Geschichte – das Leben – sind nie einfach schwarz oder weiß, es gibt wahnsinnig viel Grau in zig Nuancen! Vorgänge und Entscheidungen in ihren Kontext einzuordnen und aus diesem heraus zu deuten, ist fundamental, um sie nachvollziehen zu können. So helfen sie uns, für Gegenwart und Zukunft aus der Geschichte zu lernen.

Kann die Arbeit in so einem Projekt da auch mal frustrierend sein?

Ganz ehrlich? Knapp fünf Monate nach dem Projektstart ist die Arbeit vor allem faszinierend! Meine bisherigen Frustrationsmomente sind vor allem der historischen Realität geschuldet: Zu entdecken, dass ein entscheidender Teil des Archivmaterials im Krieg zerstört wurde oder nicht da abgelegt wurde, wo man ihn vermutet, ist ernüchternd. Die gewonnene Erkenntnis motiviert mich aber letztlich dazu, weiterzusuchen, um so vielleicht doch noch einen Treffer zu landen oder wenigstens Rückschlüsse ziehen zu können.

Was würden Sie tun, wenn Sie im Vatikan einmal freie Hand hätten und hingehen könnten, wo Sie möchten?

Dann würde ich durch den Apostolischen Palast und die Büros der verschiedenen kurialen Behörden schlendern, um die Geschichtsträchtigkeit dieser Orte zu spüren und ihre Architektur und Kunst zu bewundern! Und ich würde natürlich in den Archiven nicht nur in die Lesesäle, sondern direkt in die Magazine gehen, um richtig zu stöbern!