"Wo kann ich wohl den Satz 'Ich verbeuge mich zum Kuss des heiligen Purpurs' im Alltag anwenden?"

Schon vier Monate unterstützen Mechthild Bücker und Christine Bolte das Projekt „Asking the Pope for Help“ durch das Abschreiben von Bittschreiben

Seit Juli dieses Jahres bekommt das Forschungsvorhaben „Asking the Pope for Help“ Unterstützung von 12 Citizen Scientists, die gemeinsam mit dem Projektteam Personendaten recherchieren oder Briefe eingeben und abschreiben. Zu ihnen gehören auch Mechthild Bücker und Dr. Christine Bolte, die handschriftliche und maschinenschriftliche Bittschreiben in Word übertragen, damit sie anschließend mithilfe des XML-Editors Oxygen automatisiert in die Datenbank eingegeben werden können. Im Doppelinterview berichten beide, warum sie ehrenamtlich forschen und was ihnen an der Arbeit Freude bereitet.

Porträt Dr. Christine Bolte
Dr. Christine Bolte
© privat

Was interessiert sie an dem Forschungsvorhaben besonders?

Christine Bolte: Spannend an dem Projekt ist für mich, dass man auch herausfinden will, was aus den Verfasserinnen und Verfassern der Briefe geworden ist. Einige sind gerettet worden oder haben überlebt und es ist toll, wenn ihre Nachkommen von den Briefen erfahren.

Mechthild Bücker: Lange Zeit war ich ehrenamtlich im Institut für Brasilienkunde in Mettingen tätig, daher interessiert mich besonders die sogenannte Brasilienaktion, in der der Heilige Stuhl brasilianische Visa an getaufte jüdisch-stämmige Menschen ausgab. Auch die in den Schreiben aufgeworfenen Fragen der Migration und Integration finde ich spannend, da ich mich in der Flüchtlingsarbeit und im Zertifikatsstudium mit dieser Thematik beschäftigt habe.

Und womit beschäftigen sie sich aktuell?

Mechthild Bücker: Ich schreibe Texte in deutscher, englischer und portugiesischer Sprache ab. Darunter befinden sich Bittschreiben, aber auch Tabellen. Aktuell habe ich zwei Bittschreiben von Menschen aus Wien und Lettland übertragen, die auswandern wollten. Außerdem habe ich an einer Tabelle gearbeitet, die Menschen auflistete, die in Albanien auf die Ausreise nach Brasilien und in die USA warteten. Ihnen fehlte die Einreisegenehmigung nach Italien, von wo aus sie ihre Schiffsreise starten sollte.

Christine Bolte: Meine Aufgabe besteht vor allem darin, italienische Schreiben – maschinenschriftliche und handschriftliche – in Word zu übertragen. Bei den handschriftlichen Briefen ist es manchmal aber auch nur der Versuch. Jetzt gerade verzweifle ich sogar an einer Handschrift und muss mich das erste Mal geschlagen geben. 

Porträt Mechthild Bücker
Mechthild Bücker
© privat

Warum engagieren sie sich im Projekt „Asking the Pope for Help“?

Christine Bolte: Mein Ziel war es, mein Italienisch zu verbessern. Gleichzeitig frage ich mich aber auch, wo ich demnächst den Satz „Ich verbeuge mich zum Kuss des heiligen Purpurs“ (Anm. der Red.: die übliche Grußformel in der vatikanischen Korrespondenz) im Alltag verwenden kann. Obwohl meine Zeiten als Wissenschaftlerin lange vorbei sind, macht mir die Arbeit in Projekten immer noch große Freude, weil man ein gemeinsames Ziel hat, aber dennoch nie genau wissen kann, was noch schief geht.  

Mechthild Bücker: Ich bin sehr neugierig und lernfreudig und finde die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven spannend, aus denen sich wissenschaftliche Kontroversen ergeben können. Im Projekt lerne ich sehr viel dazu, zum Beispiel, was ein Nansenpass ist oder worum es sich beim „Grünspan-Attentat“ handelt. Davon hatte ich bisher noch nie etwas gehört. Außerdem finde ich es wichtig, wissenschaftliche Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu transferieren, damit wir daraus lernen können. Gerade heute, wo es so viele falsche Fakten und Desinformation gibt, scheinen mir gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse besonders wichtig.

Auf welche wissenschaftliche Frage hätten sie gern eine Antwort?

Mechthild Bücker: Ich suche nach Antworten auf Fragen, die mit Migration und Flucht zu tun haben: Beispielsweise, wie die Integration in den neuen Ländern erfolgt ist. Angesichts der Fülle an Bittschreiben fände ich es interessant zu wissen, aus welchen Motiven sich die Menschen an den Vatikan wandten und welches Kirchenverständnis dem zugrunde liegt. Würden sich heute, nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale, auch noch Menschen in Notlagen in einem solchen Ausmaß an den Heiligen Stuhl wenden?

Christine Bolte: Auf die Riemannsche Vermutung (Anm. der Red.: Die Riemannsche Hypothese trifft eine Aussage über die Verteilung der Primzahlen und ist nach Meinung führender Mathematiker das derzeit bedeutendste ungelöste Problem der reinen Mathematik.)

Was wollten sie schon immer einmal im Vatikan machen?

Mechthild Bücker: Ich würde mir sehr gern die Bibliothek und das Archiv ansehen.

Christine Bolte: Einmal die Möglichkeit haben, allein und ungestört dort herumzustreifen, hemmungslos Kunst zu fotografieren und in der Sixtinischen Kapelle auf dem Boden zu liegen und die Decke anzuschauen.

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