Natur und Normativität
Kurze Beschreibung
Die Hauptrichtungen gegenwärtiger Moralphilosophie - Diskursethik und Tugendethik - entdecken mehr und mehr, dass sie für die Fundierung ihres Ansatzes auf eine Art Rahmenkonzept verwiesen sind, für das sie mit internen Mitteln nicht aufzukommen vermögen. Dieses Desiderat lässt sich mit dem Titel "Natur des Menschen" qualifizieren. Der Gebrauch dieses Begriffs - speziell in seiner Spezifizierung zu "Naturrecht" - ist weitgehend obsolet. Das hat hauptsächlich mit seiner Ingebrauchnahme im traditionellen katholisch-theologischen Diskurs zu tun, für den Natur primär einen Komplex statischer Wesensbeschreibungen bezeichnet. Moderne Anthropologie aber kann ohne die Leitbegriffe der Geschichtlichkeit, der Entwicklung und der Konstruktivität menschlicher Selbstbeschreibung nicht auskommen. Wenn es der Theologie gelänge, demgegenüber aus eigenen Traditionen Ressourcen aufzuweisen, die den Entwurf eines entsprechend dynamisierten Naturbegriffs nahelegen, könnte sie eine folgenreiche Diskursblockade gegenüber der Spätmoderne durchbrechen und sich mit einem eigenen kognitiven Gesprächsangebot in die laufenden Moraldebatten einschalten.
Hinreichende Indizien weisen dafür auf Origenes und seine Rezeption zu Beginn der Neuzeit einerseits, auf die spekulative Naturphilosophie Schellings und seiner Nachfolger andererseits. Origenes (ca. 185-254), der einflussreichste der altkirchlichen griechischen Theologen, entwirft ein Menschenbild, das in der Autonomie des Einzelnen gründet und diesen auf dem Hintergrund einer wesentlich dynamischen Sicht von Welt und Geschichte zu verstehen sucht. Intuitionen von Geschichtlichkeit, Konstruktivität und Freiheit speisen eine Anthropologie, die als kritisches Gegenmodell zu Augustinus gelesen werden muss. Das in humanistischer Zeit neu einsetzende intensive Studium seiner erhaltenen Schriften hat nachweislich entscheidend zur Genese der Vorstellung einer unantastbaren menschlichen Würde beigetragen. Mit Origenes verbindet F.W.J. Schelling (1775-1854) das Bemühen um ein jeder Statik abholdes Verständnis der menschlichen und außermenschlichen Natur. Die Brücke zwischen beiden bildet die Wiederentdeckung Platons zur Zeit Kants und die Verschmelzung wichtiger seiner Grundgedanken mit pietistischen Traditionen speziell der Johannes-Exegese und mit Spinoza. Auf der Grundlage dieser vielschichtigen Vorgaben erarbeitet Schelling in immer neuen Entwürfen eine umfassende spekulative Naturphilosophie, die weit über den binnenphilosophischen Diskurs hinaus nachgewirkt und zu bedeutenden Neuerungen etwa im Bereich der Naturwissenschaften, der Psychologie und der Medizin Anlass gegeben hat. So findet sich in der Nachfolge Schellings eine Riege von heute weithin vergessenen Denkern, die sich intensiv darum bemühten, den idealistischen Ansatz für den naturrechtlichen Diskurs fruchtbar zu machen. Ziel des Projekts ist eine systematische Erschließung dieser bislang kaum oder gar nicht erarbeiteten historischen Ressourcen zur Formulierung eines für die Normbegründung unerlässlichen Naturbebegriffs, der neuscholastische Engführungen vermeidet und das moderne Selbstverständnis widerspiegelt.
Beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
- Prof. Dr. Dr. Alfons Fürst
- Christian Hengstermann
- Prof. Dr. Dr. habil. Klaus Müller
- Dr. Christian Spieß
- Katja Winkler

