Marianne Heimbach-Steins, Norbert Köster und Oliver Dyma zu zehn Jahren Pontifikat Franziskus
"Ein Bild im Zwielicht"
Zum Pontifikats-Jubiläum melden sich viele Stimmen zu Wort – die Tonlage (hierzulande) ist überwiegend kritisch; personbezogene und institutionelle Aspekte greifen ineinander: Der wenig sensible institutionelle Umgang mit den Betroffenen von sexuellem und geistlichem Missbrauch und die römische „Begleitung“ des Synodalen Weges in Deutschland lassen sich nicht abblenden. Bei seinem Amtsantritt hat Papst Franziskus mit einem erfrischenden Habitus, der Wahl des hl. Franziskus als Namenspatron, deutlichen Signalen der Abkehr vom römischen Hofstil und dem starken Plädoyer für eine arme Kirche an der Seite der Armen große Hoffnungen geweckt – auch darauf, dass er in der Lage sein werde, innerkirchliche Verkrustung und Erstarrung zu lösen. Sein „Regierungsprogramm“, niedergelegt im Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ (2013), wandte sich gegen Klerikalismus und Zentralismus, versprach eine „heilsame Dezentralisierung“ und eine synodale Kirche. Und doch: Wenn eine lokale Kirche sich aufmacht, genau diesen Weg zu gehen, erntet sie Unverständnis, Polemik und römische Verdikte – nicht nur von Bremsern zu Hause, nicht nur aus der Kurie, sondern auch vom Papst persönlich. Synodalität à la romana bleibt – als unverbindliche Beratung – im monarchisch-autokratischen System gefangen.
Zugleich hat der Papst aus dem Süden beachtliche ethische Impulse gesetzt: Mit wachem Gespür und prophetischem Gestus vertritt er eine ernsthafte Option für die Armen und wirbt für aktive Gewaltfreiheit (Weltfriedenstag 2017), nutzt biblische Ressourcen und – gemeinsam mit Repräsentanten anderer Weltreligionen – Potentiale der Religion(en) für die Arbeit an einer gerechteren Welt. Wenige Beispiele: Symbolträchtige Reisen zu den Hotspots der Migration über das Mittelmeer (Stichwort: Lampedusa) haben weltweit Aufmerksamkeit auf Opfer und Überlebende einer europäischen Migrationspolitik gelenkt, die das Leben von Migrant*innen den eigenen „Sicherheitsinteressen“ opfert. Die zeitgerecht vor der Pariser Klimakonferenz veröffentlichte, viel beachtete Enzyklika ‚Laudato si‘ (2015) insistiert im Zeichen einer „ganzheitlichen Ökologie“ auf dem Zusammenhang der Optionen für die Armen und für die Schöpfung und bietet einen kritischen Maßstab sozial-ökologisch verantwortlichen Handelns. Gemeinsam mit Groß-Imam Ahmad Al-Tayyeb (Al-Azhar) veröffentlichte Franziskus die Botschaft „Die Brüderlichkeit aller Menschen. Für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ (2019), die für ein Ethos der Geschwisterlichkeit, für den Frieden und wechselseitige Anerkennung der religiösen Identitäten wirbt.
Licht wie Schatten über der ersten Franziskus-Dekade verdienen eine differenziertere Betrachtung als hier möglich ist – was sich abzeichnet, ist ein Bild im Zwielicht: Dieser Papst vertritt in freimütiger Rede und eindrücklichen Symbolhandlungen zentrale Optionen des christlichen Glaubens; er öffnet überraschend (pastorale) Handlungsräume gegenüber einer scheinbar zementierten Lehre. Aber: Das Zeugnis ist kontaminiert durch den Zustand der Institution, die er leitet. Seine Kritik, die anfangs aufhorchen ließ, scheint stecken geblieben im Dickicht des ungebrochenen monarchischen Habitus (den auch er als Papst nicht abgelegt hat). Diese Widersprüchlichkeit macht sich in Ernüchterung, wenn nicht Enttäuschung Luft – und in der dringenden Forderung nach größerer Klarheit und Transparenz.
Marianne Heimbach-Steins
Erster "Franziskus", erster Jesuit, erster Papst vom "Ende der Welt"
In kirchenhistorischer Sicht ist Papst Franziskus in verschiedener Hinsicht interessant. Als erster hat er den Namen Franziskus gewählt und sich damit einen Patron ausgesucht, der der kirchenkritischen Armutsbewegung des Hochmittelalters angehörte und einen Orden gegründet hat, der gegen den Reichtum der Kirche die konsequente Armut als Programm hatte. Franziskus ist der erste Papst "vom Ende der Welt". Er bringt eine andere Kultur mit nach Rom, die für eine europäisch geprägte Kirchenverwaltung eine Herausforderung ist. Zudem ist Franzikus der erste Jesuit auf dem Papstthron und bringt die Kulturen der Entscheidung seines Ordens mit, die ambivalent sind: Neben breit angelegten, durchaus demokratischen Entscheidungsfindungen gibt es auch - vor allem nach längerer Beratung - autoritäre Entscheidungen. Die von ihm angeregten größeren Prozesse sind deshalb mit viel Hoffnung verbunden, führen aber nicht immer zu den Ergebnissen, die in ihnen angelegt sind. Schließlich hat Papst Franziskus in seinen großen Enzykliken starke Akzente gesetzt, die in historischer Perspektive neu sind: Wirtschaftskritik, konsequente Schöpfungsorientierung, Dezentralisierung der Kirche und anderes.
Wie viel davon die Kirche langfristig verändern wird, ist noch nicht abzusehen.
Norbert Köster
Wunsch nach einer Kirche, „die verletzt und schmutzig ist, weil sie auf die Straßen hinausgeht“
Als Jorge Mario Bergoglio vor 10 Jahren zum neuen Papst gewählt wurde, verzichtete er bei seiner ersten Ansprache auf die traditionellen Papstgewänder und bezeichnete sich einfach als „Bischof von Rom“, den die Kardinäle „vom Ende der Welt geholt“ hätten. Darin und in der programmatischen Wahl seines Namens sahen viele, auch ich, eine dringend notwendige Öffnung hin zu Reformen der katholischen Kirche. Wichtig ist mir, wie Franziskus die politische Botschaft des Evangeliums herausstreicht. Bereits in seinem ersten Jahr prangert er im Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ soziale Ungleichheit an und ruft dazu auf, „den Schrei des Armen zu hören und ihm zu Hilfe zu kommen“ (EG 187). Dies ist verbunden mit einer radikalen Kritik des Wirtschaftssystems: „Diese Wirtschaft tötet.“ (EG 53) In seiner 2015 veröffentlichten Enzyklika „Laudato si’“, benannt nach dem Sonnengesang des Hl. Franziskus, sieht er die Kirche wie die gesamte Menschheit vor der „dringende[n] Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen“ (LS 13). Besonders hebt er Klimawandel und Artensterben sowie die damit verbundenen sozialen Auswirkungen hervor. Mit seiner ersten Reise nach Lampedusa setzt er ein Zeichen gegen die tödliche Migrationspolitik der EU. Die sozialen und ökologischen Herausforderungen sind auch Teil der Amazonas-Synode 2019, welche zugleich Zeichen einer Abkehr vom Eurozentrismus ist. Leider sind diese Aspekte des Pontifikates derzeit in den Hintergrund gerückt, während die eher mauen Fortschritte hin zu einer synodalen Kirche im Fokus stehen. Denn die Geschichte dieses Pontifikates auch die Geschichte weit rechts stehender Teile von Kurie und Gläubigen, die gegen seine Vorhaben mehr oder weniger offen opponieren. Sein innerkirchliches Vorgehen ist mir zu zaudernd, vielleicht den vielen geschuldet, die lieber alles beim Alten belassen wollen. Dabei kann Franziskus durchaus konsequent sein, wie er im Umgang mit der tridentinischen Messe zeigt. Für die kommenden Jahre wünsche ich mir, dass das soziale und ökologische Engagement wieder in den Vordergrund gerückt wird, und damit eine Kirche, „die verletzt und schmutzig ist, weil sie auf die Straßen hinausgeht.“
Oliver Dyma
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