Gedächtnisprotokoll der Besprechung im Kultusministerium am 14./15. Juni 1902, verfasst von Richard Lehmann.
Gedächtnisprotokoll der Besprechung im Kultusministerium am 14./15. Juni 1902, verfasst von Richard Lehmann. Universitätsarchiv MS, Bestand 7, Nr. 11.
© Universitätsarchiv Münster

Katholischer Kirchenfürst versus preußischer König?

Bei der Beschäftigung mit der Erhebung der Akademie in Münster zur Universität begegnet man zwangläufig Paul Richard Lehmann. Der Geograph war 1900/01 Rektor der Akademie und verfasste im selben Jahr eine Denkschrift, in der er sich für die Gründung einer juristischen und einer medizinischen Fakultät in Münster und die Umwandlung der Akademie in eine Universität einsetzte. Aus diesem Grund lohnt sich eine Betrachtung seines Nachlasses.

In drei Lieferungen – 1918, 1923 und 1924 – hatte Lehmann diesen Nachlass an das heutige Landesarchiv abgegeben, von dort kam er 1971 ins Universitätsarchiv. Der Nachlass besteht vor allem aus Unterlagen rund um die Universitätserhebung. Im Zusammenhang mit dem Namen der Universität sind vor allem zwei Dokumente interessant: ein Gedächtnisprotokoll einer Besprechung im Kultusministerium vom 14./15. Juni 1902, das Lehmann direkt nach dem Gespräch angefertigt und, vermutlich vor Abgabe an das Staatsarchiv, mit Bemerkungen ergänzte, und Lehmanns handschriftliche Darstellung des Wegs zur Universitätserhebung, die er 1924 an das Staatsarchiv abgab. Bei der Durchsicht des Nachlasses entsteht der Eindruck, Lehmann habe mit der Zusammenstellung der Unterlagen seine Leistungen für die Universität in dieser wichtigen Phase ihrer Geschichte dokumentieren wollen.

Die oben erwähnte Denkschrift zeigte Erfolg und als am 15. Mai 1902 dem noch-Akademie-Senat die Universitätserhebung verkündet wurde, schlug – so ist im Protokoll zu lesen – Lehmann den Kollegen vor, die Universität nach Kaiser Wilhelm II. zu benennen. [de] Bevor am 1. Juli die Erhebung durch kaiserliche Kabinettsordre dann amtlich wurde, hielt sich Lehmann am 14./15 Juni in Berlin auf, um im Kultusministerium mit Ministerialdirektor Friederich Althoff, der gerne als „heimlicher Kulturminister Preußens“ tituliert wird, über die Professuren für zu gründende Juristische Fakultät zu verhandeln. Im Lauf dieser Gespräche spricht Lehmann auch die Frage des Universitätsnamens an.

Lehmann verwies, so ist in seinem Gedächtnisprotokoll zu lesen, auf die „früher hier bestandene Maximilian-Friedrichs-Univ.“ und schreibt dazu in seinen Erinnerungen ausführlicher: „Ich hatte gehört, dass in Münster verschiedentlich der Wunsch einer Anknüpfung an den Namen des ehemaligen bischöflichen Gründers der bis 1818 bestandenen alten Universität Münster gehegt wurde.“ Bei dem bischöflichen Gründer handelt es sich um Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, der von 1761 bis 1784 Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Münster war und in dessen Regierungszeit die Gründung der alten Universität Münster fällt. Lehmann erschien es jedoch wichtig, dass „der Name der auf neuer Grundlage wieder errichteten Universität nicht an Erinnerungen aus der vergangenen bischöflichen Fürstenzeit verknüpft“ und schlug daher den amtierenden Landesherrn als Namensgeber vor. Sowohl im Protokoll als auch in den Erinnerungen hält er ausdrücklich fest [d]er Gedanken und die Anregung zu der Bitte um diesen Namen [Wilhelm] stamme auch garnicht von den Westfalen, sondern von mir.“

Wie ist dieses Vorgehen Lehmanns einzuordnen? Die Notizen zur Besetzung der verschiedenen Professuren legen nahe, dass Althoff und Lehmann sehr genau auf eine konfessionell-paritätische Besetzung der Stellen achteten – eine Nachwirkung des Kulturkampfs zwischen dem protestantischen Kaiserreich und der katholischen Kirche, der 1887 zwar offiziell beigelegt war, aber unterschwellig immer wieder für Spannungen zwischen Berlin und Westfalen sorgte. Dies zeigen z.B. gedruckte Protokolle aus dem Preußischen Haus der Abgeordneten, die Lehmann seinem Nachlass beilegte, in denen die Sorge verschiedener Abgeordneter vor zu großem katholischen Einfluss auf die Neugründung der Universität Münster dokumentiert ist. Dass Lehmann angesichts solcher Stimmen einen katholischen Kirchenfürsten als Namensgeber für „seine“ Universität ablehnt und sich stattdessen für den preußischen Landesherrn ausspricht, scheint nur folgerichtig, denn die weitere Entwicklung des Wissenschaftsstandorts Münster war auch vom bleibenden Wohlwollen in Berlin abhängig.
In den Notizen wird allerdings auch deutlich, dass Lehmann, selbst Pfarrerssohn, nicht über die Mischung katholischer und protestantischer Professoren hinaus gehen wollte. Jüdische Professoren, die Althoff auch vorschlug, wurden von ihm abgelehnt – aus „Rücksicht auf mancherlei Stimmungen, die damals in Münster waren“, wie er in seinen Erinnerungen schreibt. Er habe Althoff entgegnet: „Setzen Sie die erstklassigen Juden wo anders hin! Wir sind für Juden noch nicht reif.“

In den Notizen Lehmanns findet sich auch eine Erklärung dafür, warum die Verleihung des Namens erst fünf Jahre nach der Universitätserhebung erfolgte. Althoff selbst hatte angemerkt, dass ein Kaiserbesuch in Münster ein geeigneter Anlass für diese Ehrung sei. Auf diesen Besuch musste Münster allerdings bis 1907 warten. [de]

Literatur und Quellen:

Universitätsarchiv Münster, Bestand 7, Nr. 11 und 12.

Haunfelder, Bernd: Die Rektoren, Kuratoren und Kanzler der Universität Münster 1826-2016. Ein biographisches Handbuch (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, 14), Münster 2020.

Lehmann, Richard: Die Erweiterung der Westfälischen Hochschule. Denkschrift des Senates der Königlichen Akademie zu Münster. Münster 1901. Abrufbar über die Digitalen Sammlungen der ULB Münster: https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/content/titleinfo/3218128 [de]