"Alle Religionen rechtfertigten Gewalt"

Open-Air-Hörsaal des Exzellenzclusters auf dem Katholikentag

Drei der Vortragenden, Theologe Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Arabist Prof. Dr. Thomas Bauer und Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel (v. l. n. r.)
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Im Open-Air-Hörsaal des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ beim Katholikentag haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über das Verhältnis der Weltreligionen zur Gewalt gesprochen. Unter dem Titel „Religionen, Frieden und Gewalt in Geschichte und Gegenwart“ berichteten Forschende aus der christlichen und islamischen Theologie sowie der Religions-, Islam-, Geschichts- und Literaturwissenschaft aus ihren Studien zum Verhältnis des Christentums, Islams und Buddhismus zur Gewalt. Die Vorträge hießen „Gewalt im Koran“ (Mouhanad Khorchide), „Gewalt im Alten Testament“ (Johannes Schnocks), „Islam und Krieg“ (Thomas Bauer), „Figuren des Hasses in der Literatur“ (Martina Wagner-Egelhaaf), „Dämonisierung des religiös Anderen im Buddhismus“ (Perry Schmidt-Leukel) und „Kirche und Gewalt in Lateinamerika“ (Silke Hensel). Die Redaktion des Katholikentages hat ausgewählte Statements der Teilnehmer zusammengestellt. Es folgt der Redaktionstext im Original. (vvm/sca)

Wissenschaftler: Alle Religionen haben Gewalt gerechtfertigt

Die Rechtfertigung von Gewalt ist kein Alleinstellungsmerkmal des Islam. In allen Religionen gibt es nach Darstellung Münsteraner Wissenschaftler vom Exzellenzcluster Religion und Politik der Unversität Münster Tendenzen, Gewalt zu legitimieren, wenn die eigene Identität oder eigene religiöse Güter gefährdet erscheinen.

Alttestamentler Prof. Dr. Johannes Schnocks
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Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel sagte am Samstag beim Katholikentag, auch im Buddhismus gebe es eine Dämonisierung des anderen. "Im Rückgriff auf die mythologische Erzählung vom Sieg des Buddha über die mächtige dämonische Gottheit Mara,– eine Art buddhistischer Teufel,– entwickelte sich in allen Richtungen des Buddhismus das Motiv, religiös andere und/oder politische Gegner zu dämonisieren", unterstrich er. "Zum Teil ging diese Entwicklung so weit, dass damit auch deren konkrete Vernichtung legitimiert wurde."

Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide machte zwei Elemente aus, die Gewalt im Namen des Islams Vorschub leisten: der Anspruch, die absolute Wahrheit zu besitzen, und Gewaltverse im Koran. Dagegen will er das Liebesethos als Friedenspotenziall stärken. Der exklusive Wahrheitsanspruch des Islam müsse mit der Rückfrage konfrontiert werden, ob Muslime an einen Gott glauben wollten, der Menschen nur deshalb zur Hölle schicke, weil sie den falschen Glauben haben. Das widerspreche der Aussage vom liebenden, gerechten und barmherzigen Gott. Koranaussagen zum Thema Gewalt müssten zudem in den historischen Zusammenhang eingeordnet werden. "Sie sind Produkt historischer Konstellationen."

Historikerin Prof. Dr. Silke Hensel
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Der Arabist Thomas Bauer erklärte, im Islam habe über Jahrhunderte eine hohe Toleranz gegenüber unterschiedlichen Auslegungen des Koran geherrscht. Die islamische Welt habe lange eine große Fähigkeit besessen, Mehrdeutigkeiten und widersprechende Wahrheitsansprüche auszuhalten. Erst als der Islam mit dem stärker auf Eindeutigkeit fixierten Westen in der Moderne in Kontakt getreten sei, sei die Kultur der Mehrdeutigkeit verschwunden. Seitdem würden auch Muslime als Ungläubige tituliert, die andere Auslegungen des Koran favorisierten.

Der Professor für Religionsgeschichte des Alten Testaments, Johannes Schnocks, verwies darauf, dass Judentum und Christentum ältere Texte der Bibel zur Legitimierung von Gewalt benutzt hätten. So sei im Konflikt der Makkabäer mit den Persern Gewalt mit der Angst begründet worden, die eigene Identität als Volk und als Religionsgemeinschaft zu verlieren. Zur Zeit der Kreuzzüge hätten Christen wiederum diese Berichte der Bibel genutzt, um den eigenen Krieg theologisch aufzuladen und zu rechtfertigen. Auch der Jerusalemer Tempel sei schon im Alten Testament zum Ort und Anlass sowohl des Krieges wie des Friedens geworden.

Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf
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Die Professorin für außereuropäische Geschichte, Silke Hensel, erklärte mit Blick auf den Umgang der katholischen Kirche mit Militärdiktaturen in Chile und Argentinien, dass es keine einheitliche Haltung der Kirche gegenüber den Menschenrechtsverletzungen gab. Mal unterstützte sie die Militärjunta, mal die Opfer der Diktatur. (kt)

Die Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf sprach über „Figuren des Hasses in der Literatur“. Sie sagte, „das Wort ‚Hass‘ ist in öffentlichen Debatten sehr gegenwärtig. Da ist beispielsweise die Rede von ‚Hasskommentaren‘, von ‚Hasspredigern‘ oder von ‚Fremdenhass‘.“ Auch in der Literatur spiele Hass eine Rolle. Literarische Texte reflektierten Ursachen und Wirkungsweisen von Hass, aber auch Möglichkeiten, Hass zu begegnen. Die Wissenschaftlerin stellte eine literarische Rede gegen Fremdenhass vor, die die Forschung erst kürzlich William Shakespeare zuweisen konnte.

Am Nachmittag diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften über aktuelle und grundsätzliche Fragen der Religionspolitik. Der Open-Air-Hörsaal entstand im Arbeitskreis „Gesellschaft und Politik“ des Katholikentags auf Initiative der Leiterin der Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters, Viola van Melis. Sie moderierte die Podien mit dem Chefkorrespondenten der DuMont Mediengruppe Joachim Frank. (vvm)

Großes Interesse an den Vorträgen zu „Religionen, Frieden und Gewalt in Geschichte und Gegenwart“
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