Kreuz, Kopftuch, Antisemitismus

Lebhafte Debatten im Open-Air-Hörsaal über Religionspolitik auf dem Katholikentag

V. r. n. l.: Bayerischer Innenminister Joachim Herrmann, Grünen-Politiker Volker Beck, Prof. Dr. Ulrich Willems, Prof. Dr. Hinnerk Wißmann, Viola van Melis, Wissenschaftskommunikation
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Im Open-Air-Hörsaal des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ beim Katholikentag haben Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften über aktuelle und grundsätzliche Fragen der Religionspolitik diskutiert.

Zur Debatte stand, wie sich die Vielfalt der Religionen in Deutschland künftig politisch, rechtlich und gesellschaftlich gestalten lässt, damit Mehr- und Minderheiten friedlich zusammenleben. Dabei ging es etwa um den bayerischen Kreuz-Erlass, Angriffe auf Juden und Muslime in Deutschland, die Lage der Konfessionslosen, die Frage nach Privilegien der christlichen Kirchen, das kooperative Modell der Trennung von Staat und Kirche, das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates sowie den Umgang von Religionen mit unterschiedlichen Strömungen innerhalb ihrer Gemeinschaft. Am Vormittag hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters bereits über das Verhältnis der Weltreligionen zur Gewalt gesprochen.

Ãœber "Religionspolitik heute" diskutierten Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, Rabbiner Walter Homolka, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, Grünen-Politiker Volker Beck und Michael Bauer vom Humanistischen Verband. Mit Ihnen sprachen die Politik-, Geschichts- und Rechtswissenschaftler Ulrich Willems, Thomas Großbölting und Hinnerk Wißmann. Zum Abschluss der Veranstaltung berichteten auch die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins und der Rechtswissenschaftler Fabian Wittreck aus ihren Forschungen. Die Redaktion des Katholikentages hat ausgewählte Statements der Teilnehmer zusammengestellt. Es folgen die Texte im Original. (vvm/sca)

Mazyek fordert mehr Unterstützung im Kampf gegen Antisemitismus

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, fordert mehr Unterstützung von der Politik im Kampf gegen Antisemitismus. "Es gibt eine Reihe von kleinen Pflänzchen, etwa Schulprojekte oder KZ-Besuche, die wir bereits in Kooperation mit jüdischen Vertretern ins Leben gerufen haben - die aber häufig ignoriert werden", sagte Mazyek am Samstag auf dem 101. Deutschen Katholikentag in Münster. Jeder Angriff auf eine Moschee, auf einen Tempel, auf eine Minderheit sei "immer ein Angriff auf die Gesellschaft und auf uns". Mazyek betonte: "Ich kann nicht feststellen, dass die anderen muslimischen Verbände da eine völlig konträre Position haben, das ist Konsens."

Rabbiner Walter Homolka, Vorsitzender der Union progressiver Juden in Deutschland, erklärte: "Man kann mit Fug und Recht sagt, dass es in Deutschland einen Bodensatz von 20 Prozent von latentem und aggressivem Antisemitismus immer gegeben hat." Aber durch die sozialen Medien bekomme das inzwischen eine größere Öffentlichkeit. "Wenn die Gesellschaft an einer Renaissance des jüdischen Lebens interessiert ist, dann ist das Gift", sagte der Rektor des Rabbinerseminars Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam. Zugleich hob er hervor, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland viel Solidarität erfahre.

Michael Bauer, Prof. Dr. Thomas Sternberg, Prof. Dr. Walter Homolka, Aiman A. Mazyek, Viola van Melis, Prof. Dr. Thomas Großbölting
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Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, warnte auch mit Blick auf den Antisemitismus vor einer antimuslimischen Stimmungsmache. Zwar gebe es ohne Zweifel islamisch geprägten Judenhass, aber der Blick in die Kriminalstatistik zeige, dass etwa 80 Prozent der antisemitischen Straftaten in Deutschland von Nichtmuslimen begangen würden. "Man darf nicht Problemlagen in einer Gesellschaft einfach auf die Religion übertragen", so Sternberg.

Streit um bayerischen Kreuz-Erlass setzt sich auf Katholikentag fort

In der Debatte um die Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden hat Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Verständnis für kritische Argumente von Kirchenvertretern geäußert. "Es ist völlig richtig, wenn die Kirchen sagen, man müsse das Kreuz auch mit Leben füllen - das sehe ich absolut genauso", sagte Herrmann am Samstag auf dem 101. Deutschen Katholikentag in Münster. Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hatte sich entsprechend geäußert. Herrmann sagte, er habe "die ganze Aufregung" um den sogenannten Kreuz-Erlass, an dessen Kabinettsvorlage er mitgearbeitet hat, nicht verstanden. Das Kreuz grenze nicht aus, sondern sei "ein Zeichen der Nächstenliebe, der Liebe Jesu zu allen Menschen".

Dem widersprach der Grünen-Politiker Volker Beck: "Die Idee, dass das Kreuz nicht ausgrenze, ist Ihre ganz persönliche Meinung." Unter dem Kreuz seien etwa Juden verfolgt worden. Beck, der bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2017 langjähriger religionspolitischer Sprecher seiner Fraktion war, warf der bayrischen Staatsregierung vor, mit dem Kreuz "Identitätspolitik" zu machen. Damit werde es "zu religiöser Folklore degradiert, wie der Osterhase".

Zuvor hatte der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, auf dem Katholikentag Unverständnis für die Vorwürfe von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geäußert. Dieser wiederum hatte im "Spiegel" (Samstag) Marx' Kritik am sogenannten Kreuz-Erlass kritisiert. Marx erklärte: "Es gibt keine Veranlassung für mich, etwas gegen Kreuze im öffentlichen Raum zu haben." Er plädiere lediglich dafür, dass der Staat in diesem Bereich nicht allein aktiv werden solle, sondern am besten mit den Kirchen zusammen.

Großer Publikumsandrang bei den Podien zu "Religionspolitik heute"
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