„Konversion als Grundstruktur des Lebens“

Vortrag über die Bekehrung der französischen Schriftstellerin Madeleine Delbrêl

Heimbach Steins Ska Neu
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins
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Über die Konversion der französischen Sozialarbeiterin und Mystikerin Madeleine Delbrêl (1904-1964) hat die Theologin und Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in der öffentlichen Ringvorlesung „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ gesprochen. „Die Bekehrung war für die frühere Atheistin Dreh- und Angelpunkt ihrer Lebens- und Glaubensgeschichte“, so die Wissenschaftlerin. Für Debrêl sei die Konversion keine punktuelle Veränderung gewesen. Vielmehr habe sie sie als „Neugeburt“ verstanden. „De Konversion war sowohl Ereignis als auch Struktur ihres Lebens.“ Madeleine Delbrêl habe sich zeit ihres Lebens als „Neukonvertierte“ bezeichnet. In ihrem Vortrag stellte Prof. Heimbach-Steins anhand Delbrêls Schriften und Selbstaussagen, etwa in Vorträgen und Büchern, zentrale Elemente ihrer Glaubensinterpretation und ihrer „konvertierten Existenz“ vor.

Nach ihrer Glaubenswende im Jahr 1924, die Delbrêl als conversion violante, als „überwältigende Bekehrung“, beschrieb, lebte sie von 1933 bis zu ihrem Lebensende als Sozialarbeiterin mit einer kleinen Frauengruppe in der kommunistischen Arbeiterstadt Ivry im Südosten von Paris, wie Prof. Heimbach-Steins darlegte. „Dort wollte sie ohne Orden, Klausur oder Regel in größtmöglicher Nähe zu den Menschen bewusst radikal-praktisch für Gott leben.“ Die überwiegend marxistische Stadtgesellschaft von Ivry als Glaubensumgebung habe sie ständig herausgefordert, ihre Glaubensentscheidung „neu zu ratifizieren“. Delbrêls Konversion sei so zu einem andauernden „Unterscheidungsprozess“ geworden, „bei dem sie sich allein auf das Fundament der Wahl des Glaubens stützte“, unterstrich die katholische Theologin.

Als weitere Herausforderung habe Delbrêl die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) erfahren. Damals seien innerhalb der französischen Kirche Spannungen entstanden zwischen „dem konservativen Mainstream“ und Kräften wie der Arbeiterpriester-Bewegung, die versuchte, neue Wege der christlichen Präsenz in entchristlichten Milieus zu gehen.

„Marxismus führte zum zweiten Glaubenswandel“

Die Auseinandersetzung mit dem praktischen Marxismus forderte Delbrêl heraus, zwischen der menschlichen Nähe zu ihren kommunistischen Freunden und der Verbündung mit deren ideologischen Optionen zu unterscheiden. Dieser Prozess war für sie eine „zweite Bekehrung“, wie Prof. Heimbach-Steins ausführte. „In Delbrêls Augen kam die kommunistische Ideologie durch die systematische Leugnung Gottes einem Frontalangriff auf ihren Glauben gleich, der keine Trennung zwischen Gottes- und Nächstenliebe zulässt.“ Der Rückzug in eine kirchliche Nische, um möglichen Spannungen zu entgehen, sei für die ausgebildete Sozialarbeiterin aber nicht in Frage gekommen. „Christen sollten ihrer Ansicht nach nicht Randsiedler des menschlichen Daseins sein“, so die Theologin. Delbrêl habe alles daran gesetzt, den Glauben als Lebenspraxis unter ihren konkreten Lebensbedingungen wirksam werden zu lassen. Es ging ihr um die Art, „wie Christen mit ihren nichtglaubenden Zeitgenossen leben, wie sie zu dem, was skandalös ist, Stellung beziehen und sich einmischen.“

Der Vortrag trug den Titel „,Zeitlebens eine Neubekehrte…‘: Konversion als Biographiemuster. Spurensuche im Werk von Madeleine Delbrêl (1904–1964)“. Marianne Heimbach-Steins ist Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster. Sie ist Principal Investigator (PI) des Exzellenzclusters und leitet in der zweiten Förderphase des Forschungsverbundes das Projekt C2 10 „Kritik von innen. Modelle sozialen Wandels in der katholischen Kirche“.

Von der Antike bis heute

Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters im Wintersemester 2015/16 untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute. In der Reihe kommen Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie.

Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 19. Januar hält die Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu vom Exzellenzcluster zum Thema „Kann man zur Psychiatrie konvertieren? Antworten aus der mental-health-Bewegung in Indien“. (ska/vvm)