„Ein religiöser Exklusivanspruch ist peinlich“

Islamischer Religionsphilosoph Karimi fordert von Muslimen Auseinandersetzung mit Juden und Christen – Streitgespräch mit Judaistin Talabardon und Soziologin Hinterhuber

Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 23. April 2014

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Dr. Milad Karimi, Prof. Dr. Susanne Talabardon und Dr. Eva Maria Hinterhuber (v.l.)

© han

Der Islam bricht aus Sicht des Münsteraner islamischen Religionsphilosophen Dr. Milad Karimi ohne Austausch mit Judentum und Christentum in seiner Identität auseinander. „Der Islam begreift sich nicht als absolute Religion mit exklusiver Wahrheit. Vielmehr erringt er seine Identität erst aus der Auseinandersetzung mit den anderen Religionen“, sagte er am Dienstagabend in einer Diskussion zum interreligiösen Dialog in Münster. Im Koran stehe zur Suche aller nach der Wahrheit: „Wetteifert um die guten Dinge!“ (5,48). Die Bamberger Judaistin Prof. Dr. Susanne Talabardon erklärte, auch das Judentum erhebe keinen Anspruch auf universale Gültigkeit und engagiere sich nach Kräften im interreligiösen Dialog. Für religiöse Minderheiten sei wichtig, dass sich die Dialogpartner für die gesellschaftlichen Interessen der je anderen einsetzten; in der Beschneidungsdebatte sei das durch den Einsatz der Kirchen für Juden und Muslime gelungen.

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Ton-Mitschnitt der Diskussion

Die Berliner Soziologin Dr. Eva Maria Hinterhuber bestätigte die gesellschaftspolitische Ausrichtung: Bundesweit engagierten sich interreligiöse Gruppen weit mehr in gesellschaftlichen als religiösen Fragen, wie sie in einer Studie zum abrahamischen Trialog herausgefunden habe. Alle drei Wissenschaftler bedauerten, dass der interreligiöse Dialog in allen Religionsgemeinschaften vor allem von denen geführt werde, die ihn eigentlich nicht bräuchten, da sie ohnehin offen für andere Religionen und Kulturen seien. „Das ist das Dilemma“, sagte Judaistin Prof. Talabardon von der Uni Bamberg. „Wer zu Fundamentalismus oder religiös motivierter Gewalt neigt, wird sich nicht auf den Dialog einlassen.“ Philosoph Karimi vom Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) der WWU ergänzte, solche Dialogverweigerer seien „verbohrt und entgegen der reichen Dialogkultur des Islams von der Exklusivität der eigenen Religion überzeugt“. Die Forscher sprachen in der Reihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Münster.

„Den Islam verstehen im Angesicht des Anderen“

Religionsphilosoph Karimi unterstrich, der Islam dürfe sich in heutigen pluralen Gesellschaften nicht in den eigenen Glauben flüchten. „Eine Streitkultur, die von der Idee der Exklusivität der je eigenen religiösen Wahrheit getragen ist, dürfte uns heute bestenfalls peinlich berühren.“ Vielmehr gehe es im Dialog der Religionen um einen ernsthaften Austausch auf Augenhöhe über Glaubensfragen wie das Gottesbild, die Offenbarung oder die religiöse Praxis. „Sich auf Argumente der anderen Religion einzulassen und um Wahrheit zu streiten, kann schmerzhaft, aber auch heilsam sein.“ Der Islam sei ohne den Bezug zum Judentum und Christentum kaum zu verstehen. Die historischen und theologischen Zusammenhänge seien komplex. Muslime sollten andere daher aus Sicht des Philosophen nicht nur dulden, vielmehr fordere der Koran zum Miteinander auf. Karimi: „Ohne den Dialog bricht der Islam, möchte man es einmal überspitzt formulieren, in seinem Selbstverständnis auseinander; denn in seiner theologischen Binnenstruktur ist der Islam, wie auch der Koran belegt, mit den theologischen Verständnissen der anderen monotheistischen Religionen zutiefst verwoben.“ Interreligiöser Dialog sei weit mehr als ein „Integrationskurs an der Volkshochschule oder die Lektüre eines Einführungsbuches in die je andere Religion“.

„Kein Desinteresse, keine Arroganz“

Das Judentum sieht nach Angaben von Judaistin Prof. Talabardon keine Verpflichtung zum interreligiösen Dialog, da es keinen universellen Anspruch auf die Wahrheit erhebe und somit auch andere Kulte für legitim halte. Dennoch kam es nach ihren Worten immer wieder zu „überaus anregenden und konstruktiven Gesprächen“, im Mittelalter vor allem mit dem Islam, in der Moderne mit den christlichen Konfessionen. „Allerdings ist das Judentum heute oft überfordert, sich am Dialog zu beteiligen, da wir in den kleinen jüdischen Gemeinden in Deutschland mit der Integration zahlreicher Juden aus der ehemaligen Sowjetunion noch viel Arbeit haben.“ Ohnehin stellten die Juden mit 0,4-prozentigem Anteil an der Weltbevölkerung zahlenmäßig nur bedingt eine „Weltreligion“ dar. „Die gelegentliche Zurückhaltung von Juden gegenüber Dialogveranstaltungen sollte daher nicht als Ausdruck von Desinteresse oder gar Arroganz missverstanden werden.“

Soziologin Hinterhuber zufolge befindet sich die religiöse Landschaft in Deutschland im Umbruch. Sie kritisierte, dass im Austausch der Religionen derzeit „auf höchster Ebene“ neben Prozessen der Annäherung eine „Verschärfung des Tons“ zu beobachten sei, während sich die Basis in zahlreichen interreligiösen Initiativen um ein Miteinander bemühe. Mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt könnten interreligiöse Projekte Brücken bauen und neue Netzwerke und Handlungsspielräume entstehen lassen. Als Beispiel nannte sie die gut 100 lokalen Initiativen, die im Rahmen des Großprojekts „Weißt Du, wer ich bin?“ der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), des Zentralrats der Juden in Deutschland, des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) und der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) finanziell und organisatorisch gefördert wurden. Wichtig sei jedoch, dass die Politik solche lokalen Initiativen nicht zur Lösung gesellschaftspolitischer Probleme instrumentalisiere. „Vielmehr bedürfen die Initiativen der gesellschaftlichen und politischen Unterstützung, da fast alle personell und finanziell unterversorgt sind.“ Hinterhuber hat sich in ihrer Studie zum „Abrahamischen Trialog und Zivilgesellschaft“ mit bürgerschaftlichem Engagement im Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen als abgeleiteter religiöser Praxis befasst.

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Plakat

© wikipedia, R. Wölk

„Atheismus und traditionelle Religion“

Der Diskussionsabend am Exzellenzcluster trug den Titel „Christen – Juden – Muslime“. Das nächste Streitgespräch am Dienstag, 29. April, befasst sich mit dem Thema „Atheismus und traditionelle Religion“. Über Glauben und Nicht-Glauben diskutieren der Philosoph und Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung, Dr. Michael Schmidt-Salomon, und der katholische Theologen Prof. Dr. Armin Kreiner aus München. Die Moderation übernimmt der evangelische Theologe Prof. Dr. Michael Beintker aus Münster.

In der Reihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“ diskutieren im Sommersemester Theologen und Nicht-Theologen aktuelle Themen wie Hirnforschung, Kosmologie, Wirtschaftsethik und Friedenspolitik. Die Streitgespräche sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr in Hörsaal F1 im Fürstenberghaus am Domplatz 20-22  in Münster zu hören, am Platz der regelmäßigen Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Das neue Format trägt den Untertitel „Disputationen zwischen Theologie, Natur- und Gesellschaftswissenschaften“. (vvm/han)