„Drängende Zukunftsfragen“

Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in Münster erweitert sein Forschungsprogramm

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Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger

Der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster erweitert sein Forschungsprogramm um neue Themenfelder. „Durch die Bewilligung einer zweiten Förderphase bis 2017 im Rahmen der Exzellenzinitiative können wir die Untersuchung eines gesellschaftspolitisch hoch aktuellen Themas fortsetzen und erweitern“, sagt Sprecherin und Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger. „Neue Schwerpunkte sind das Verhältnis von Religion und Geschlecht, Religion und Wirtschaft, der Einfluss der Medien auf Religion und Politik, der Umgang mit normativen Krisen sowie transkulturelle Verflechtungen in einer globalisierten Welt.“

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Audio-Interview mit Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger

Die bisherige Zusammenarbeit von 200 Wissenschaftlern aus 20 verschiedenen Fächern habe sich in einer Fülle an Ergebnissen zum Spannungsfeld von Religion und Politik von der Antike bis heute niedergeschlagen, so die Sprecherin. „Neue Erkenntnisse konnten wir etwa zum sensiblen Verhältnis von Religion und Gewalt und zu brisanten Fragen nach der Integration religiöser Vielfalt gewinnen. Auch zum Umgang mit kultureller Mehrdeutigkeit und zur umstrittenen Säkularisierungstheorie haben wir Einsichten gewonnen, aber zugleich auch neue Fragen aufgeworfen.“ Seine Erkenntnisse zu Gegenwartsproblemen wie dem zunehmenden religiösen Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam will der Cluster auch in der zweiten Förderphase an eine breite Öffentlichkeit vermitteln.

Der Bewilligungsausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des Wissenschaftsrates und der Wissenschaftsminister des Bundes und der Länder hatte den Verlängerungsantrag des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ Mitte Juni im Rahmen der Exzellenzinitiative positiv beschieden. Neu bewilligt wurde an der Uni Münster der Exzellenzcluster „Cells in Motion“. Prof. Stollberg-Rilinger: „Damit haben wir einen großen naturwissenschaftlichen Forschungsverbund an unserer Seite. Das freut uns und wird der gleichmäßigen Bedeutung beider Bereiche an unserer Hochschule gerecht.“

Beispiele aus Judentum, Christentum und Islam

Forschungsfelder und Arbeitsplattformen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“

Forschungsfelder und Arbeitsplattformen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“

Zum Forschungsprogramm von „Religion und Politik“ fügt die Sprecherin hinzu: „Viele aktuelle Fragen lassen sich nur in historischer Tiefendimension und im Vergleich angemessen beurteilen. Wir untersuchen Religion und Politik daher in verschiedenen Machtkonstellationen und Konfliktlagen – vom Polytheismus über Judentum, Christentum und Islam bis zu den Religionen Afrikas und Ostasiens.“ Die bisherigen vier Forschungsfelder bleiben erhalten (s. Grafik): Normativität, Medialität, Integration und Gewalt. Als neue Querverbindungen entstehen Arbeitsplattformen zu übergreifenden Themen: Differenzierung, transkulturelle Verflechtungen, Religion und Geschlechterordnung und kulturelle Ambiguität.

Rund 80 Einzelprojekte sollen empirisches Wissen zu den Leitfragen beitragen: Zum Beispiel geht es in der zweiten Förderphase im Feld „Normativität“ um religiöse Einflüsse auf das Wirtschaftsrecht und religiöse Akteure in der Biopolitik. Das Feld „Medialität“ behandelt unter anderem die politisch-religiöse Bildsprache des alten Ägypten, Konversionen im Mittelalter und transkulturelle Beziehungen zwischen Muslimen, Hindus und Christen in Indien. Das Forschungsfeld „Integration“ beleuchtet etwa Geschlechterfragen im Islam und die Wahrnehmung des Integrationsprozesses durch türkischstämmige Muslime in Deutschland. Das Forschungsfeld „Gewalt“ befasst sich unter anderem mit Märtyrern des „Dritten Reiches“, Papsttum und Gewalt im Mittelalter sowie Kirche und Diktatur in Argentinien und Chile.

Ergebnisse der ersten Förderphase

Zentrale Erkenntnisse konnte der Cluster nach den Worten von Prof. Stollberg-Rilinger in der ersten Förderphase zum Thema Religion und Gewalt gewinnen: „Historisch betrachtet zeigen Religionen eine Nähe zur Gewalt, ebenso wie umgekehrt friedensstiftendes Potential“, so Prof. Stollberg-Rilinger. „Was tatsächlich wirksam wird, ist von vielen Faktoren abhängig. Wir erforschen das im jeweiligen historischen Kontext.“

Im Forschungsfeld „Integration“ geht es darum, welche Faktoren es erleichtern, dass Angehörige verschiedener Religionen friedlich zusammenleben. „Die gegenwärtigen Debatten zum Islam behandeln kein neues Phänomen. Religiös homogene Gesellschaften sind historisch selten“, sagt die Historikerin. „Heute wird über Moscheen gestritten, in der Frühneuzeit ging es um die Kirchenbauten der jeweils anderen Konfession. Entscheidend ist ein autonomes Rechtssystem, das einen Standpunkt jenseits der streitenden Religionsparteien einzunehmen vermag.“

Das Forschungsfeld „Normativität“ behandelte nach den Worten der Sprecherin die sensible Frage, warum Normen, die lange selbstverständlich waren, plötzlich in Zweifel gezogen werden und ob sich in säkularen Gesellschaften Normen noch religiös rechtfertigen lassen. Das Forschungsfeld „Medialität“ schließlich, das bislang „Inszenierung“ hieß, befasst sich mit dem Einfluss von Medien auf Religion und Politik.

Um Münster als einzigartigen Standort für die interdisziplinäre Religionsforschung zu sichern, schafft die Hochschule nachhaltige Strukturen. Drei Centren dienen über die Exzellenzinitiative hinaus der Einwerbung neuer Forschungsverbünde und als Forum für öffentliche Veranstaltungen, Publikationsreihen und Zeitschriftenredaktionen: das Centrum für Religion und Moderne, das Centrum für Mittelalter und Frühneuzeit und das Centrum für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums. Eine Gastprofessur zum Thema Religion und Politik, die „Hans-Blumenberg-Professur“ – benannt nach dem berühmten Münsteraner Philosophen – wird die Centren miteinander verbinden und für Impulse aus der internationalen Forschung sorgen. (vvm)