„Kirchentag bringt Osten keine großen Impulse“

Religionssoziologe Olaf Müller im dpa-Expertengespräch

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Olaf Müller

Der Evangelische Kirchentag vom 1. bis 5. Juni in Dresden wird der Kirche in Ostdeutschland nach Expertenansicht nicht die erhofften Impulse bringen. „Dass allein eine solche Großveranstaltung zu einem Aufschwung führt, wage ich doch zu bezweifeln“, sagte der Religionssoziologe Olaf Müller der Nachrichtenagentur dpa.

Dass Kirchentage von Zeit zu Zeit in Ostdeutschland gefeiert würden, sei ein bewusstes Zeichen, „dass diese Region nicht aufgegeben ist und nicht vergessen wird“, sagte der Wissenschaftler vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Jedoch seien die Hoffnungen übertrieben, auf Spiritualität zu setzen, um mehr Menschen für die evangelische Kirche zu gewinnen.

Ein Aufschwung sei bisher mit den gängigen Indikatoren nicht auszumachen. „Wir können zumindest weder eine Zunahme in der Kirchlichkeit der Bevölkerung noch wirklich eine nennenswerte Zunahme in der sogenannten außerkirchlichen Religiosität feststellen.“ Die Kirchenbindung lasse in den neuen Bundesländern ebenso wie im Westen nach, komme aber von einem niedrigeren Niveau. „Während in Westdeutschland noch 70 Prozent der Bevölkerung einer Kirche angehören, sind es in Ostdeutschland etwa 75 Prozent, die keiner Kirche mehr angehören.“ Noch Anfang der 90er Jahre seien im Osten 65 Prozent der Menschen keine Kirchenmitglieder gewesen, die Erosion sei also auch nach der Wiedervereinigung noch deutlich vorangeschritten.

„Mit kleinen Schritten der Erosion entgegentreten“

„Mittlerweile besuchen auch nur noch fünf Prozent der Ostdeutschen regelmäßig den Gottesdienst, das heißt mindestens einmal im Monat“, sagte Müller. „Nur etwa 40 Prozent der Konfessionsangehörigen fühlen sich ihrer Kirche eng verbunden.“ Drastisch sei auch der Vertrauensschwund: „Das Vertrauen in die Institution Kirche hat sich seit 1990 in Ostdeutschland halbiert von etwa 44 Prozent auf 20 Prozent.“
Das sei jedoch nicht mit Abneigung gleichzusetzen, betonte Müller. „Es ist nicht so, dass den Kirchen in Deutschland mit Feindseligkeit begegnet wird“, sagte er. „Das Problem ist, dass die Kirchen weniger als Seelsorge-Organisation wahrgenommen werden - sondern in der heutigen Zeit stärker als eine Art Dienstleister, etwa was Schulen, Kindergärten und Altenheime betrifft. Es sind erstaunlicherweise 70 bis 80 Prozent der Ostdeutschen, die das durchaus möchten.“

Wenn die Kirchen der Erosion entgegentreten wollten, müssten sie kleine Schritte gehen, sagte Müller. „Ich glaube, man muss da im Kleinen anfangen, an der Basis, bei denen, die noch in der Kirche sind, die auch noch einen Zugang zur Kirche haben, versuchen diese Basis zumindest zu stabilisieren, und dann von unten versuchen, diese Strukturen neu aufzubauen.“ (Christof Bock, dpa)