Narzissmus in der Musiktherapie
Doktorandin: Dipl. Musiktherapeutein Eva Terbuyken
Betreuuung: Prof. Dr. Rosemarie Tüpker

Grundlegende These dieser Promotion ist, dass Narzissmus, ausgehend von Kohuts Narzissmustheorie, auf verschiedene Weise in der Musiktherapie sichtbar werden kann. Musiktherapie auf geschlossen psychiatrischen Stationen stellt im Rahmen eines offenen Settings eine besondere Art der musiktherapeutischen Behandlungsweise dar. Ihre therapeutische Wirkweise wird hier im Moment des narzisstischen Musikgenusses und in der Reaktivierung narzisstischer Bestrebungen über die Musik gesehen.

I.    Praxisphase:
Derzeit läuft die praktische Phase des Promotionsprojektes. Die Musiktherapie findet an zwei Vormittagen pro Woche auf den geschlossen psychiatrischen Stationen offen im Tagesraum statt. Das Angebot richtet vor allem an z.T. noch akute Patienten, die sonst wenig an anderen Therapien teilnehmen. Die Teilnahme ist frei, d.h. die Patienten kommen und gehen nach Belieben. Die Gruppenzusammenstellung ist jedes Mal anders. Die musikalischen Mittel werden immer situativ gewählt, gestalten sich jedoch oft basal und werden auf den Moment des Musikgenusses sowie daraus entstehende Reaktionen des Patienten abgestimmt. Nach einer Verlegung in offene Stationen wird die Musiktherapie für diese Patienten weitergeführt.
Anhand dieses musiktherapeutischen Behandlungsangebots werden zum einen Patientendokumentationen in Bezug auf Momente des narzisstischen Musikgenusses gesammelt sowie auffällige Beobachtungen, Gedanken, Intervisions- und Supervisionsgespräche dokumentiert. Weiter werden sechs in der geschlossenen Psychiatrie häufig verwendete Lieder anhand von Beschreibungen aus verschiedenen Testgruppen und anhand von Musikanalysen in Hinblick auf narzisstische Bedürfnisse durchleuchtet. Zudem soll ermittelt werden, inwieweit das beschriebene musiktherapeutische Behandlungskonzept Einfluss auf die Atmosphäre der geschlossen psychiatrischen Station hat.

II.    Wissenschaftliche Verarbeitung:
Basis bildet die Auseinandersetzung mit den Theorien und Methoden Kohuts und einer Übertragung dieser auf die Musiktherapie. Im Fokus stehen dabei die Narzissmustheorie und Theorien zum Musikgenuss sowie deren gedankliche Weiterentwicklungen anderer Autoren. Dazu passende Literatur von Musiktherapie und Selbstpsychologie bilden ein weiteres Element hierbei.
Außerdem werden einzelne Aspekte aus den Psychiatriekonzepten der Soteria-Idee aufgegriffen und auf ihre Übertragbarkeit in Bezug auf das beschriebene musiktherapeutische Behandlungskonzept kritisch beleuchtet. Beschreibungen aus der Fachliteratur von besonderen Problematiken in der Behandlung akut psychiatrischer Patienten stellen dabei eine Hilfe dar.
Über die Auswertung der Patientendokumentationen und Musik aus den Therapien, der Beschreibungen und Musikanalysen der Lieder und einer Analyse der Atmosphäre auf der Station soll die theoretische Untersuchung mit der Praxis verbunden werden. Hieran soll aufgezeigt werden, dass zum einen das offene Konzept akut psychiatrischen Patienten die Teilnahme an der Musiktherapie aufgrund einer reduzierten Stresshürde erleichtert und so überhaupt erst ermöglicht. Zum anderen soll aufgezeigt werden, dass über die Reaktivierung narzisstischer Bestrebungen und Selbstobjektfunktionen im Moment des Musikgenusses die Atmosphäre der Station durch Reduktion von Stress und Angespanntheit und dem Schaffen eines Spielraums für Wohlsein und Wohlfühlen positiv beeinflusst werden kann. Im Vordergrund dabei stehen die musikalische Vorbildfunktion der Musiktherapeutin entsprechend eines idealisierten Objektes, die Verschmelzung im Musikgenuss sowie das positive Erleben musikalischer Fähigkeiten im Sinne eines Größenselbst.
Zusammenfassend soll bewiesen werden, dass der Erfolg des beschriebenen musiktherapeutischen Behandlungskonzeptes im kurzen Erleben einer narzisstischen Bestärkung beim Musikgenuss sowie einer stressreduzierten Teilnahmemöglichkeit liegt. Hieraus soll ein mögliches Behandlungskonzept für Musiktherapie auf geschlossen psychiatrischen Akutstationen entworfen werden.

Literatur:
Ciompi, Luc; Hoffman, Holger; Broccard, Michel (Hg.) (2001): Wie wirkt Soteria? Eine atypische Psychosenbehandlung kritisch durchleuchtet. Bern: Hans Huber.
Kohut, Heinz (1991): Die Heilung des Selbst. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kohut, Heinz (1995): Narzißmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Oberhoff, Bernd (Hg.) (2006): Psychoanalyse und Musik. Eine Bestandsaufnahme. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Oberhoff, Bernd (Hg.) (2003): Die Musik als Geliebte. Zur Selbstobjektfunktion der Musik. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Siegel, Allen M. (2000): Einführung in die Selbstpsychologie. Das psychoanalytische Konzept von Heinz Kohut. Stuttgart: Kohlhammer.
Tüpker, Rosemarie (1996): Ich singe, was ich nicht sagen kann. Zu einer morphologischen Grundlegung der Musiktherapie. Münster: Lit. ; 3. Aufl. 2013
Wulff, Erich (2003): Wahnsinnslogik. Von der Verstehbarkeit schizophrener Erfahrung. Bonn: Psychiatrie-Verlag.