Ziel des Projekts ist es, wissenschaftliche Grundlagen zu schaffen zur

Besserung des Auditiven Milieus in Einrichtungen für alte und demente Menschen

Die wissenschaftliche Fragestellung kreist um drei unterschiedliche Themenbereiche. Die Ergebnisse sollen zu handlungsorientierten Konzepten gebündelt werden, die auf die unterschiedlichen Akteure ausgerichtet sind, damit es in der Praxis zu einer Besserung kommen kann. 

Themenbereich 1: Akustisch-baulicher Bereich  

  • Welches sind die akustischen Gründe für die von Musiktherapeuten, Musikgeragogen und andere Mitarbeitern und Bewohnern von Alteneinrichtungen häufig als ungünstig wahrgenommenen akustischen Verhältnisse, vor allem in den Gemeinschafts- und Veranstaltungsräumen? Lassen sich die subjektiven Wahrnehmungen objektivieren?  
  • Welche baulichen Gründe gibt es? Warum gibt es keine akustischen Bauvorschriften bei Neubauten zur Betreuung alter Menschen? Wie müssten diese implementiert werden.
  • Welche Maßnahmen können im vorhandenen Baubestand zur Verbesserung beitragen.

Themenbereich 2: Gesundheit und Stressbelastung

  • Lässt sich die Hypothese falsifizieren, dass die akustischen Gegebenheiten keinen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Bewohner und Mitarbeiter haben?
  • Lassen sich Zusammenhänge zwischen akustischen Gegebenheiten und der Stressbelastung für Mitarbeiter und Bewohner aufzeigen?
  • Lassen sich Zusammenhänge zwischen einer Beachtung/Nicht-Beachtung des Auditiven Milieus und der Stressbelastung für Bewohnerherstellen?
  • Ist die individuelle auditive Versorgung von Bewohnern von Alteneinrichtungen (Hörgeräte) dem medizinischen und pflegerischen Standard entsprechend ausreichend implementiert?

Themenbereich 3:  Mitarbeiter und strukturelle Maßnahmen

  • Lässt sich das Auditive Milieu für alte Menschen allgemein, und für demente Menschen im Besonderen, durch Fortbildungskonzepte verändern, die auf die Schärfung der Wahrnehmung und ein verändertes Verhalten der Mitarbeiter ausgerichtet sind?
  • Ergeben sich aus einem erhöhten Bewusstsein der Problematik institutsspezifische strukturelle Verbesserungsmöglichkeiten?
  • Lassen sich Konzepte zu einer optimierten Kommunikation zwischen den Beteiligten (Trägern, Leitung, Mitarbeitern, Bewohnern) entwickeln?

Bisherige Ergebnisse

1. Fragebogenstudie

Nach einer quantitativen Fragebogenstudie von Marieke Tode (2013) in Münster wird die Thematik des auditiven Milieu schon häufiger in den 25 befragten Alteneinrichtungen diskutiert, zwei Drittel gaben Bemühungen zur besseren Gestaltung des auditiven Milieu an. Dabei sind bauliche Maßnahmen aber nur zu einem sehr geringen Anteil vertreten: 12 bis 16 % gaben kleinere bauliche Maßnahmen an wie die Verlegung schalldämpfender Fußböden, die Einbringung schalldämpfender Stoffe oder den Einbau schallisolierender Türen. Ein stärkeres Gewicht hat der bewusstere Einsatz von Musik und Umgang mit störenden Geräuschen. So gaben 40% an, die Hörgewohnheiten der Bewohner zu erfragen, 36 % setzen Musik bewusst zur Regulierung Ruhe- und Aktivitätsphasen an, 24 % gaben an, dass darauf geachtet werde, welche Radio- und Fernsehprogramme laufen und 56 %, dass diese Medien nur zu bestimmten Zeiten laufen. So ermutigend diese Zahlen einerseits sind, so zeigt die Umkehrung allerdings auch, wie unbedacht und unreguliert vermutlich noch oft der Umgang mit Hintergrundmusik ist, wenn also möglicherweise in 44 % der Einrichtungen eine Dauerbeschallung üblich ist und in 76 % nicht darauf geachtet wird, ob das durch Medien geschaffene Milieu für Bewohner angemessen ist. In Bezug auf das erfragte Verhalten der Mitarbeiter gaben 16 % an, dass in ihrem Haus Regeln dazu gebe, die Türklinken festzuhalten, keine lauten Absatzschuhe zu tragen (32 %) und in Zimmerlautstärke zu sprechen (44 %). 12 % gaben an, dass diese Fragen schon einmal in Fortbildungen thematisiert wurden.
Studie


2. Expertenbefragung

Durch eine ergänzende qualitative Expertenbefragung wurde deutlich, dass die meisten der Befragten, die Angemessenheit des auditive Milieu in ihrer eigenen Einrichtung sehr kritisch sehen. So wurde fast immer betont, dass der Geräuschpegel insgesamt, vor allem aber zu Stoßzeiten, zu hoch sei. Beklagt wurde vor allem die hohe Lautstärke in den Gemeinschaftsräumen. Ein Beispiel:

"Klar, man muss auch oft Leute laut ansprechen, dann passiert natürlich auch sehr viel hier, dann ist mal im Wohnzimmer der Fernseher an, dann wird hier im Flur mit Rollstühlen oder mit dem Lifter gerumpelt, dann wird die Tür auf und zu geknallt, dann läuft die Waschmaschine, die schleudert, dann brummt der Trockner im Hintergrund und in der Küche wird dann aber auch gerade ein Kuchen gebacken, da läuft der Mixer oder die Kaffeemaschine läuft und das Radio läuft. Ich denke manchmal, es ist schon arg laut“ (Nowack 2013, S. 30).

Dabei waren fast alle Befragten der Auffassung, dass sowohl eine Dauerberieselung als auch eine hohe Geräuschkulisse sehr störend und schädlich für die Bewohner sei (ebd.). Es zeigte sich, dass einige Befragte um die Bedeutung des Auditiven Milieus vor allem für demente Bewohner wissen, ohne dass eine befriedigende Umsetzung im Alltag gelingt. „Auch wenn viele Experten über ein gewisses Wissen bezüglich des auditiven Milieus verfügen, scheint dieses im Alltag kaum Anwendung zu finden. So gibt es in vielen Einrichtungen offensichtlich kaum Vorkehrungen zum auditiven Milieu. Vorkehrungen bezüglich der Raumakustik werden von keinem Experten angesprochen, und auch nur wenige Vorkehrungen bezüglich des Mitarbeiterverhaltens. Am ehesten werden Vorkehrungen zum bewussten Einsatz von Medien beschrieben, wie die Regelung, die in vielen Interviews genannt wird, dass während der Mittagszeiten kein Radio gespielt wird“ (ebd. S. 31). Auffällig sei laut Nowack auch, dass in diesem Kontext das Verhalten der jeweils anderen kritisiert werde und dass es bei der Durchführung der Interviews, die in den betroffenen Räumen durchgeführt wurde, zu starken Geräuschbelästigungen kam, weswegen teilweise sogar der Raum gewechselt wurde. Einige Befragte deuteten eine eigene gesundheitliche Belastung durch die als zu hoch empfundene Lautstärke an (ebd. S. 32f).
 Studie


3. Fortbildungseinheit

Für die Weiterbildung Musikgeragogik und Fachtagungen zur Musik mit alten Menschen wurde eine Fortbildungseinheit zur "Achtsamkeit im Umgang mit Musik in Einrichtungen für alte Menschen" entwickelt. Hier kann das in diesem Zusammenhang angebotene Skript heruntergeladen werde, welches Übungen, eine Sammlung von Gedanken zum Thema und weiterführende Literaturempfehlungen enthält.
Skript Tüpker 2015

4. Studienprojekt

Prof. Dr. Susanne Kreutzer bietet an der Fachhochschule Münster ein Studienprojekt im Fachbereich Pflege und Gesundheit an, das sich mit den Möglichkeiten zur Verbesserung des auditiven Milieus in Altenpflegeeinrichtungen beschäftigt

Studierende aus dem Bachelorstudiengang Berufspädagogik im Gesundheitswesen entwickeln Unterrichtsmaterialien und ein Konzept zur Implementierung der Thematik in die Altenpflegeausbildung.

Studierende aus dem Studiengang Bachelorstudiengang Pflege- und Gesundheitsmanagement  entwickeln ein Konzept, wie die Beachtung des auditiven Milieus in den Heimalltag integriert werden kann.

Laufzeit des Projekts 30. November 2015 bis 13. Mai 2016 (Projektsemester WiSe 2015/16 und SoSe 2016)
Nähere Informationen

5. Promotion

Dr. Katharina Nowack, Musiktherapeutin (M. A.) Kontakt

Katharina Nowack: Mit offenen Ohren. Wahrnehmung und Gestaltung auditiver Milieus in Einrichtungen für Menschen mit Demenz.
Diese Dissertation geht den Fragen nach, wie sich das auditive Milieu auf drei Wohnbereichen für Menschen mit Demenz gestaltet, wie es positiv umgestaltet werden kann und welche Auswirkungen dies für Bewohner und Mitarbeiter hat. Vor einem theoretischen Hintergrund u.a. der psychologischen Morphologie nach Wilhelm Salber und dem auditiven Milieu nach Jan Sonntag fand in einem Prä-Post-Design eine Mixed-Methods-Untersuchung statt, bestehend aus Lautstärke- und Nachhallzeitmessungen, Klangprotokoll- und Fragebogenerhebungen der Mitarbeiter, Dementia-Care-Mapping-Beobachtungen der Bewohner mit Demenz sowie Untersuchungen der Atmosphäre durch Atmosphärenbeschreibungen. Es zeigte sich, dass die Bewohner äußerst differenziert auf Lautstärke und Klänge reagierten und dass die Kombination aus Fortbildungen für die Mitarbeiter zur Sensibilisierung, technischen Veränderungen auf den Wohnbereichen und Schalldämpfungsmaßnahmen am effektivsten war, um das auditive Milieu positiv umzugestalten.
Readbox Unipress, Münster 2018. Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster: Reihe XVIII ; Bd. 9
420 Seiten, 29,90 Euro. ISBN 978-3-8405-0187-6

Volltext über die ULB Münster miami

Das Dissertationsprojekt wurde von der Andreas-Tobias-Kind-Stiftung gefördert.
s. auch Masterabeit: Wer bin ich, wenn ich mich verliere? Auf der Suche nach dem Selbst in der Musiktherapie mit einer an Demenz erkrankten Dame