Hendricus J. Prakke

Der niederländische Soziologe hat von 1960 bis 1969 das Institut für Publizistik in Münster geleitet. Joachim Westerbarkey, damals noch Student und inzwischen Hochschullehrer am Münsteraner IfK, blickt zurück und porträtiert den damaligen Institutsleiter.

Prakkegeschichten – ein akademischer Weltenbummler in Münster

von: Joachim Westerbarkey

Geschichten entstehen im Kopf, gespeist aus Erinnerungen, Erzählungen und Dokumenten, und dabei gerinnen sie nicht selten zu Mythen. Als ich mein Publizistikstudium 1963 aufnahm, leitete Henk Prakke seit drei Jahren das damalige Institut für Publizistikwissenschaft, und als ich es 1970 abschloss, hatte er kurz zuvor seinen Abschied von Münster genommen. Aus diesen Jahren haben sich mir einige Daten, Begebenheiten und Beobachtungen nachhaltig eingeprägt, die sich zum Bild eines umtriebigen und geselligen Gelehrten zusammenfügen – ein niederländischer Professor an einer deutschen Universität, dessen Lieblingswort Soziusfunktion war und der seinen Nachfolger Winfried B. Lerg rückblickend und wohl nicht ohne Ironie Paranymph nannte (was nach postalischer Auskunft von Michael Schmolke Hochzeitsführer heißt).

Der Lehrer

Als Prakke kam, änderte sich manches in Münster, Sichtbares und Inhaltliches. Kaum war er zum Professor ernannt worden, bescherte er den hinterbliebenen Schülern von Walter Hagemann einen neuen Studienführer, und schon bald erwies er sich als anspruchsvoller und anregender Mentor, stets fÖrderlich, ohne zu überfordern, oft mahnend, aber zwanglos, zugleich väterlich besorgt und distanziert, sehr diszipliniert, doch ohne Pedanterie. Seine ersten Lehrveranstaltungen im Sommersemester 1960 waren gleichsam Leitmotive für alle späteren: systematische Einführung (Vorlesung), theoretische Entgrenzung (Proseminar) und historische Analyse (Oberseminar).
Prakke war ein lebhafter Erzähler und deshalb selten langweilig, und schwer verständlich war er nur, wenn er Englisches zitierte; jedenfalls amüsierte seine bisweilen abenteuerliche Aussprache (WillbÖrr Schrrämm) sein Auditorium ein ums andere Mal. Bei seinem Dienstantritt traf er übrigens auf 154 Studenten, von denen 66 im Hauptfach eingeschrieben waren und immerhin 40 promovierten – Zahlen, die zu seiner Zeit ziemlich konstant blieben. Und mit ihm wechselte das Institut sein Domizil von der Rosenstraße an den Domplatz 23, wo es 17 Jahre lang bleiben sollte.

Der Forscher

Prakke schätzte und fÖrderte in seinen Räumen nicht nur kollegiale Kooperation (sein berühmtes Oberseminar inszenierte er in der Regel zu Dritt), sondern auch außergewÖhnliche Ausstellungen (z.B. zur Publizistik Neuguineas) und Veranstaltungen (z.B. Niederländische Filmtage). Und auch als Forscher ging er bisweilen ungewÖhnliche Wege: So bat er in einem Schreiben 1967 den Fußball-Bundestrainer Helmut SchÖn, ihm anlässlich eines Länderspiels im damals schwer zugänglichen Tirana albanische Zeitungen für das Handbuch der Weltpresse mitzubringen, was der „Mann mit der Mütze“ tatsächlich tat und die Exemplare sogar unaufgefordert mit wissenschaftlich wertvollen Angaben versah. SchÖn antwortete:

Sehr geehrter Herr Professor, Ihrem Wunsche entsprechend habe ich Ihnen für Ihr Institut drei albanische Zeitungen aus Tirana mitgebracht. Zwei davon erscheinen täglich, während eine zweimal wÖchentlich gedruckt wird. Ich habe auf den drei Zeitungen links oben einen diesbezüglichen Vermerk angebracht.
[...] Ihr Helmut SchÖn.

Der Gastgeber und Gourmet

Prakke war verbandspolitisch aktiv, so als Mitbegründer der DGPuK, die 1964 unter seinem Vorsitz in der Institutsbibliothek tagte. überhaupt war er stets gastfreundlich und bekam wichtigen Besuch aus aller Welt, gleich im ersten Jahr von Wissenschaftlern aus Bandung (Java) oder zwei Jahre später von Journalisten aus diversen afrikanischen Ländern. Er pflegte Kontakte zu berühmten Kollegen, lud sie gern in den Ratskeller ein, wo vorzüglich gegessen wurde, und man signierte anschließend die Speisekarte. Am 25.10.1961 verzehrte er dort beispielsweise im Kreise von George Gerbner (Univ. Illinois), Francesco Fattorello (Rom), Winfried B. Lerg, L. G. A. Schlichting (Nijmegen) und J. G. Stappers (Nijmegen) hausgebeizten Räucherlachs, die Spezialplatte „Gutsherren Art“ und ein Fürst Pückler Parfait, am 24.10.1962 zusammen mit Klaus von Bismarck (KÖln) und einem Dutzend afrikanischer Gäste eine Rahmsuppe „KÖnigin Art“, die gespickte Rinderschmorhüfte und wieder das Parfait.

Der Festredner

Doch trat er nicht nur zu Heimspielen an, sondern war auch als Gast und Redner zu prominenten Anlässen gefragt. So luden ihn die Zeitungsverleger 1963 zu einem Kolloquium nach Berlin, und 1966 sprach er anlässlich der KÖniglichen Hochzeit vor der Deutsch-Niederländischen Gesellschaft über das Thema Beatrix und Claus als Erben der Niederländischen Oranien-Tradition. Und wo er erschien, gewann er Sympathien: Ein stets freundlicher und korrekter kleiner Herr mit blitzenden Augen hinter hellgerahmten Gläsern, der charmant in verschiedenen Sprachen plaudern konnte.

Der Weltenbummler

Seine grÖßte Passion aber war wohl das Reisen, ob per Flieger, Schiff oder Bus: Ein begeisterter Weltenbummler nach dem Humboldtschen Motto, dass Reisen bildet, immer auf der Suche nach der samenspraak im gobal village. Zudem war er ein geduldiger Reiseleiter, der seine Schäfchen an langer Leine laufen ließ und Alleingänge nachsichtig tolerierte. So werde ich nie vergessen, wie er und seine Frau mich zu Beginn der Busfahrt nach Belgien voller Anteilnahme mit Kleingebäck versorgten, weil es mir sichtbar schlecht ging. Die am Vorabend selbstverschuldete Ursache meiner Unpässlichkeit konnten sie sich offenbar nicht vorstellen, sondern unterstellten wohlmeinend, ich sei schlicht reisekrank.
Leider gab es nie wieder so viele Exkursionen am Institut: Allein das zweibändige Logbuchdes damaligen IfP berichtet von 16 Studienfahrten.

Der Sozius

Prakke feierte gern und ließ sich gern feiern, sei es zu seinem 65. Geburtstag, als Ehrenbürger von Bentheim oder im Kreise seiner Mitarbeiter und Studenten. Doch dann geriet sein wohlbestelltes Haus in den Strudel der legendären studentischen Protestbewegung, die ihn arg irritierte und ihm gewiss die Entscheidung erleichterte, sich auf seinen fernen Prakkehof zurückzuziehen. Ein Wetterleuchten gab es bereits im Februar 1968, als ein Flugblatt mit dem Appell DIE FACHSCHAFT MUSS AUFGELÖST WERDEN erschien, in dem es u.a. hieß: ‘weil der institutsbetrieb radikal aufgehoben werden muß‘ verlangen die Fachidioten des Protests!!!!. Das Institut spaltete sich in antagonistische Lager, fiel vorübergehend ins Koma, und im zweiten Logbuch-Band finden sich als vorletzte Eintragungen die schicksalsschweren Vermerke: Habil. – freilassen! (S.166) und frei lassen! Revolution (S.167).

Der Mythos

Doch Prakkes Interesse am Institut blieb lebendig, was noch im Logbuch ein kleiner Zettel belegt, der nachträglich eingefügt wurde. Er stammt vom 09.07.1970 und darauf steht handgeschrieben:
„Fotokopieren Seite 3 – 169 außer den leeren Seiten. Eine Seite pro Negativ. Abzüge DIN A 4 hoch. Rechnung privat für Prof. Prakke i.A. Schmolke [Hervorhebungen i.O., außer und privat doppelt unterstrichen].“
Dieser Vermerk dokumentiert schließlich einen hervorstechenden Charakterzug des Vaters der funktionalen Publizistik: Er war ein äußerst korrekter Mensch, wovon auch seine stets gleichbleibende tadellose Erscheinung zeugte: grauer Anzug mit Weste, Fliege und Ordensknopf. Sie inspirierte 1965 einen anonymen Künstler, ihn in einer brillanten Karikatur zu verewigen, die alle unsere Prakkebilder aufs Wesentliche reduziert und damit seinen Mythos begründet.

1 Das Logbuch ist eine sorgsam angelegte Chronik der sechziger Jahre, die eine Fülle von Originaldokumenten, Fotos und viel Kreatives enthält. Diese unschätzbare Sammlung wird am IfK wie ein Gral gehütet und ist ein im Wortsinn merkwürdiger Versuch, die flüchtigen Ereignisse einer ganz entscheidenden Institutsepoche in geordneter Form zu bannen und dabei zahlreiche Fußabdrücke jenes Sauriers sicherzustellen. In der Chronik werden einige der daraus resultierenden Begegnungen durchaus kritisch kommentiert: So findet sich auf einem Programmexemplar der Exkursion nach Nijmegen am 07.02.1968 der handschriftliche Vermerk: „Auseinandersetzung mit Dr. Stappers über seine Kommunikationstheorie; suchen nach einem Konsensus temperamentvoll-kritisch (Studenten) und abgewogen-kompromißbereit (Prof. Prakke).“
Andere Reisen wurden wiederum humoristisch persifliert, etwa die Exkursion Zürich – Mailand – Rom im Oktober 1968, zu der die erste und letzte Nummer der studentischen Zeitschrift für das Leben auf der Walze mit dem beziehungsreichen Titel EX herausgegeben wurde, in der sich unter der überschrift Prakke Bonn Zug inn die Meldung findet:
„Bonn/Münster (ExiD).- Wie unser Sonderkorrespondent soeben mitteilt, wird Herr Prof. Dr.H.J.Prakke den planmässigen Schnellzug D 270 (Dortmund-Basel) gegen 9.4o h in Bonn besteigen. Bundesverkehrsminister Leber hat den Lokführer bereits angewiesen, aus diesem Grunde ausnahmsweise in Bon bremse –bremse zu machen. Wie Leber weiterhin mitteilte, wird Prof. Prakke im Zuge von Vertretern seines Ministeriums mit G.Schuckies an der Spitze begrüßt werden. [Schreibweise i.O.]“