Die Stadtverwaltung Münster in der NS-Zeit


Fast 70 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur ist in Deutschland der Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Verbrechen, der Herrschaftsmechanismen aber auch der alltäglichen „Normalität“ dieses Systems ungebrochen. Insbesondere das Funktionieren lokaler Verwaltung rückte zuletzt in den Fokus der Forschung. Auch die Stadt Münster hat sich zum Ziel gesetzt, sich diesem Abschnitt ihrer Geschichte zu nähern und initiierte daher ein Forschungsprojekt, dessen unabhängige Realisierung der Universität Münster übertragen wurde.

Die Leitung der Münsteraner Stadtverwaltung im März 1933 (Quelle: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung Nr. 5060).

Die Leitung der Münsteraner Stadtverwaltung um Oberbürgermeister Hillebrand (Mitte vorne)
und einige Ratsmitglieder im März 1933 auf dem Balkon des Stadtweinhauses am Prinzipalmarkt
(Quelle: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung Nr. 5060).

Fragehorizonte:

Einsetzend mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus bis 1933 und der Frage, welche politischen und mentalen Haltungen bzw. Verhaltensweisen in der Stadtverwaltung von Münster diese Entwicklung in der Zwischenkriegszeit förderten oder hemmten, konzentriert sich das Projekt vor allem auf das Problem praktischen Verhandlungshandelns unter den Vorzeichen von Ideologie, Diktatur und Krieg. Mit Blick auf die Implementierung des nationalsozialistischen Systems stellt sich die Frage nach dem Stellenwert von und dem Verhältnis zwischen nationalsozialistischen Überzeugungen, (vorauseilendem) Gehorsam oder gleichgültiger Adaption der nationalsozialistischen Geltungsansprüche, aber auch von Formen der Verweigerung, des widerständigen Handelns, der Resistenz oder des Eigensinns. Da die Stadtverwaltung nicht nur passiver Akteur war, müssen auch eigenständige Interessen identifiziert und in die Bewertung einbezogen werden.
Gerade mit Blick auf die Entrechtungs- und Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes ist zu fragen, inwiefern bestimmte Teile der Stadtverwaltung in besonderem Maße und möglicherweise eigeninitiativ involviert waren. Verfolgte die Stadtverwaltung oder einzelne Vertreter beispielsweise im Rahmen der als „Arisierung“ bezeichneten Ausplünderung der Juden oder im Bereich der sogenannten Erbgesundheitspolitik eigenständige Interessen? Diese Fragen stellen sich auch und besonders für die Zeit des Zweiten Weltkrieges mit seinen speziellen Handlungsbedingungen.
Schlussendlich nimmt das Projekt auch die weitere Entwicklung bis etwa 1960 in den Blick. Hier sind insbesondere der Umgang mit den und der weitere Einsatz von (z.T. auch zeitgenössisch) als NS-belastet eingestuften Mitarbeiter/innen von Interesse. Welche Funktion und Wirkung hatte die Entnazifizierung und wie wurde demgegenüber mit NS-Verfolgten verfahren? Analog zu der Zeit vor 1933 ist auch nach fortdauernden politischen und mentalen Haltungen bzw. Verhaltensweisen zu suchen und nach inhaltlichen Kontinuitäten eines antidemokratischen und rassistischen Verwaltungshandelns vor 1945. All diese Aspekte sind immer auch im Verhältnis zur Geschichte vergleichbarer Stadtverwaltungen zwischen 1933–1945 zu betrachten.

Die Einzelprojekte:

Diese Ziele werden durch zwei Teilprojekte realisiert. Das erste Teilprojekt nimmt die Geschichte der Stadtverwaltung Münster beginnend mit der Vorgeschichte während der Weimarer Republik und in der Zeit zwischen 1933–1939 in den Blick. Von Interesse sind Themen wie die Regierungsübertragung an die Nationalsozialisten, die „Gleichschaltung“ der Verwaltungen und die Realisierung von NS-Politik vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Interessant erscheint hier etwa die Frage des „Elitentransfers" nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Zu fragen sein wird außerdem, in welchen Bereichen und in welchem Umfang der städtischen Administration personelle Zäsuren durchgesetzt wurden und wo es Kontinuitäten gab. In welchem Verhältnis standen Staat, Partei und kommunale Administration als konkurrierende Träger der Exekutivgewalt zueinander, in welchem Verhältnis die politischen Eliten zu den Funktionseliten? Wie wirkten sich mögliche Veränderungen im Personal auf die Verwaltung als Institution, ihr Selbstverständnis, ihren Professionalisierungsanspruch, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Ziele aus? Welche Dezernate der Stadtverwaltung beteiligten sich schon früh an den Entrechtungs- und Verfolgungsmaßnahmen des Regimes?

Das zweite Teilprojekt hat die Stadtverwaltung Münster in der NS-Zeit für den Zeitraum des Zweiten Weltkriegs 1939–1945 und die Nachkriegszeit zum Gegenstand. Während des Kriegs erfuhr der Aufgabenbereich der Stadtverwaltung Münster eine erhebliche qualitative Veränderung und Erweiterung. Dabei kam es zum einen zu einer wechselseitigen Dynamisierung und Verzahnung von zentralstaatlicher und kommunaler Verwaltung. Zunächst wird zu klären sein, inwiefern die Stadtverwaltung Teil der gesamtstaatlichen Diskriminierungs- und Verfolgungsmaschinerie wurde. Zum anderen ist die spätestens seit dem Bombenkrieg erfolgte Transformation der städtischen Administration zu einer Notstandsverwaltung zu untersuchen, was erneut zu einer maßgeblichen Veränderung des administrativen Aufgabenspektrums geführt hat (u.a. Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Aufgaben der Wohnraumbewirtschaftung, Sicherstellung der Lebensmittel- und der medizinischen Versorgung, des Schulbetriebs etc.). In diesem Zusammenhang rücken personelle und organisatorische Kontinuitäten bzw. Zäsuren in der Stadtverwaltung vom „Dritten Reich" bis ca. 1960 in den Fokus. Dazu gehören auch erste Formen des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit, etwa Fragen der Entnazifizierung, die Entschädigung Betroffener oder auch die Wiedereingliederung belasteter Beamter.

Die Projektbeteiligten:

Bearbeiter der Teilprojekte sind Annika Hartmann (Teilprojekt 1) und Philipp Erdmann (Teilprojekt 2). Betreut wird das Gesamtprojekt von Professor Thomas Großbölting, Ansprechpartner ist Markus Goldbeck. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Münsteraner Geschichtsort „Villa ten Hompel“ unter deren Leiter Christoph Spieker.

Kontakt:

Sollten Sie Fragen oder Anregungen bezüglich des Projektes haben, so kontaktieren Sie uns unter:

Westfälische-Wilhelms-Universität Münster
Historisches Seminar, Neuere und Neueste Geschichte / Zeitgeschichte
Markus Goldbeck
Domplatz 20-22
48143 Münster
markus.goldbeck@wwu.de

Projektbüro:
Philipp Erdmann
Annika Hartmann
Stadtarchiv Münster
An den Speichern 8
48157 Münster
Tel.: +49 251 492-4713
erdmann@stadt-muenster.de
hartmannan@stadt-muenster.de