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„Ich ,arbeite‘ nicht, sondern lebe meinen Beruf“

Im Labor mit Prof. Christian Klämbt / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Prof. Dr. Christian Klämbt ist Mitglied des Exzellenzclusters "Cells in Motion" und arbeitet am Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie.
© Uni MS/Peter Grewer

Herr Prof. Klämbt, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Wir arbeiten an Gliazellen, die einer der Hauptbestandteile des Gehirns sind. Im Wesentlichen erforschen wir die Gliazellen, die Axone umhüllen, und die Gliazellen, die bei wirbellosen Tieren die Blut-Hirn-Schranke bilden. Wir wollen verstehen, wie diese Zellen funktionieren und sich entwickeln, wie sie wandern und sich differenzieren, und wie sie am Ende die Aktivität des Gehirns und damit auch die Bewegungen eines Organismus beeinflussen. Wir machen also Entwicklungsbiologie, Verhaltensbiologie und molekulare Neurobiologie. Dazu benutzen wir Fruchtfliegen, Drosophila melanogaster genannt. Mit Fliegen können wir wesentlich unkomplizierter arbeiten als zum Beispiel mit Mäusen. Wir können bei ihnen jedes Gen an- oder ausschalten, und das zu jeder Zeit. Außerdem ist die Fliege dem Menschen erschütternd ähnlich. Herz, Auge, Gehirn – das funktioniert alles etwa gleich. Aber das ist nicht unsere Triebfeder, dass die Fliege sozusagen der Mensch ist; sondern die Fliege ist die Fliege. Und wir wollen versuchen zu verstehen, wie sie funktioniert.

Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?

Dass ich immer noch neugierig bin. Ich forsche, weil ich Dinge verstehen möchte. Im kommenden Jahr bin ich seit 20 Jahren an der Universität Münster. Es war ein Riesenglück, dass ich hier anfangen durfte. Ich bin mit Leib und Seele dabei und „arbeite“ nicht, sondern lebe meinen Beruf.

Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftler?

Ich möchte versuchen zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Dieses Ziel wird jedoch so schnell nicht zu erreichen sein. Wahrscheinlich sind wir heute nicht einmal fähig, alle Fragen richtig zu stellen. Im Gehirn gibt es so viele Wunder. Nur ein Beispiel: Der Mensch ist in der Lage, eine Fliege zu fangen. Die Fliege bewegt sich so schnell, dass das Bild im Nervensystem erst dann entsteht, wenn die Fliege schon nicht mehr am ursprünglichen Ort ist. Trotzdem halten wir an der richtigen Stelle die Hand hin. Das ist einfach irre. Ich glaube, eine wissenschaftliche Frage muss groß sein – größer als man selbst.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Spielzeug? Hab ich keins. Ich habe Hilfsmittel. Und mein liebstes technisches Hilfsmittel… Na ja, die Entwicklung unseres FIM-Tisches hat meinen Kollegen und mir tierischen Spaß gemacht. Das ist ein Gerät, mit dem wir die Bewegung von Fliegenlarven beobachten können. Außerdem brauchen wir natürlich sehr gute Mikroskope. Die Bildgebung ist unsere Seele. Wobei ich selbst leider nicht mehr viel Zeit habe, im Labor zu arbeiten.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?

Das waren die Geburten meiner Töchter. In der Wissenschaft gibt es so viele tolle Sachen, die man erlebt. Hier im Institut zum Beispiel ist es unheimlich befriedigend, wenn ich mit meinen Doktoranden diskutiere und das Gefühl habe, dass man sich gegenseitig bereichert – und plötzlich hat man gemeinsam eine Idee ausgearbeitet. Das sind ganz viele, kleine Momente.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Ich gelte als relativ stressresistent. Und ich glaube, ich bin auch ziemlich ausgeglichen. Einmal habe ich mich wirklich geärgert, als sich ein Außenstehender in unserem Labor nicht korrekt verhalten hat. Aber das fiel auf. Ansonsten erinnere ich mich an ein paar frustrierende Erlebnisse in Zusammenhang mit Verwaltungsstrukturen.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Ganz viele! Alles, was wir hier im Labor bearbeiten. Vieles davon haben wir immer noch nicht verstanden. Und es kommen ständig neue Fragen hinzu. Da gibt’s so richtig schräge Sachen. Wenn man zum Beispiel ein Gen mit RNA-Interferenz ausschaltet, dann ist der Phänotyp, also das Erscheinungsbild, anders, als wenn man das Gen wegnimmt. Solche Phänomene begeistern mich.

Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gerne eine Antwort?

Mmh... interessante Frage. Ich glaube, die letzte Frage, die ich mir gerne stellen würde, wäre eine nicht zu lösende Frage. Aber es gibt natürlich viele Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte. Alle, woran wir hier arbeiten. Also die Zwischenziele sozusagen.

Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?

Oh ganz viel. Sehen Sie sich unsere wissenschaftlichen Bilder an – das ist alles kreativ. Und Kunst. Kennen Sie Heckels „Kunstformen der Natur“ aus dem 19. Jahrhundert? Das ist Symmetrie, das sind Formen. Man muss als Wissenschaftler auf die Formen achten und sie interpretieren können. Manchmal zum Beispiel ist es nicht ganz leicht zu erkennen, was für ein Phänotyp vorliegt oder warum jemand krank ist. Dasselbe gilt für die Kunst: Ob im Expressionismus oder Surrealismus – das sind ja immer andere Sichtweisen auf ein und dasselbe. Aber der Künstler muss es darstellen können. Und ich glaube, das hilft dem Erkennen. Der Künstler hat natürlich mehr Freiräume als der Wissenschaftler, der ja die Form nehmen muss, die die Natur ihm gibt. Insofern ist Kunst ein Weg zum Erkennen, und Wissenschaft der Weg zur Erkenntnis.