24./25. Mai 2012

Der Zufall - wissenschaftlich betrachtet

Interdisziplinärer Workshop des Zentrums für Wissenschaftstheorie


Am 24. Mai (9-17 Uhr) und am 25. Mai (9-13 Uhr) 2012 veranstaltete das ZfW einen interdisziplinären Workshop zum Thema Der Zufall – wissenschaftlich betrachtet (Organisation: Dr. Kay Zenker, Tagungsort: Geiststraße 24-26, Raum GE132). Als Sprecher waren Dr. Kim Boström (Physik), Prof. Dr. Alexander Dilger (Wirtschaftswissenschaften), Dr. Manfred Freiburg (Biologie), Prof. Dr. Hans-Peter Großhans (Ev. Theologie), PD Dr. Bernhard Jakl (Rechtswissenschaften), Prof. Dr. Ulrich Müller-Funk (Wirtschaftsinformatik), Prof. Dr. Gernot Münster (Physik), Markus Seidel, M.A. (Philosophie) und Prof. Dr. Niko Strobach (Philosophie) eingeladen. Das Programm finden Sie hier.

Den folgenden Bericht verfasste Tamara Ann Köhler. 

Kay Zenker (Organisation und Einleitung)

Was ist Zufall? Was genau meinen wir, wenn wir – v.a. im wissenschaftlichen Kontext – von Zufälligkeit reden? Diese Frage stand im Mittelpunkt des interdisziplinären Workshops „Der Zufall – wissenschaftlich betrachtet“ und gab den neun Rednern aus insgesamt sieben Fachbereichen die Möglichkeit, den Zufallsbegriff aus ihrer fachlichen Perspektive darzustellen. Die Frage nach dem Zufallsbegriff stellte sich im Rahmen einiger Diskussionen des Arbeitskreises Wissenschaftstheorie und bot Anlass zu einer näheren Untersuchung im Rahmen dieses interdisziplinären Workshops, da sich die Indizien dafür verdichteten, dass die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten nicht zuletzt auf einer Mehrdeutigkeit des Zufallsbegriffs beruhten.

Meint ‚Zufall‘, dass es für bestimmte Ereignisse keine kausale Erklärung gibt, und ließe sich das überhaupt beweisen? Oder meint ‚Zufall‘ im engeren Sinne das unvorhersagbare Abweichen von Gesetzmäßigkeiten, also sozusagen ein punktuelles Chaos? Was aber wären die Konsequenzen aus der Annahme, dass es solche Zufälle tatsächlich gibt, und zwar insbesondere im Hinblick auf wissenschaftliche Methoden? Oder ist sogar der ganze Zufallsbegriff eine bloße Chimäre? Um diesen Fragen nachzugehen, müsse zuerst der Begriff selbst und seine unterschiedlichen Verwendungsweisen geklärt werden, wie Kay Zenker, der Organisator des Workshops, bei der Begrüßung darlegte. Im Anschluss daran ließe sich die Frage stellen, wie und inwieweit der Zufallsbegriff in wissenschaftstheoretischen Überlegungen eine Rolle spielt, spielen kann oder spielen sollte.

Prof. Dr. Niko Strobach - "Zusammentreffen oder Abbiegen? - Konzeption das Zufalls in der Antike"

Mittels eines eiförmigen Flummis, der sich auf hartem Stein oder Parkett vollkommen unvorhersehbar verhält, wurden die Teilnehmer vor die Frage gestellt, ob man die Bewegung des Flummis zufällig nennen dürfe, allein deshalb weil man sie nicht vorhersagen könne.

Texte der antiken Philosophie liefern ganz verschiedene Zufallsbegriffe und Bilder dazu. Zufall, „tychê“, ist, „wie es sich eben so trifft“. Aber was heißt das genau? Wenn antike Philosophen darüber grübeln, steht oft die Spannung von Zufall und freiem menschlichen Handeln im Vordergrund. Es lohnt sich außerdem, mehrere Verwendungsweisen des Wortes ‚Zufall‘ streng zu unterscheiden: (1) Zufall ist, was sich (evtl. prinzipiell) nicht vorhersagen lässt (epistemischer Zufall). (2) Zufall ist, was geschieht, während es bei denselben Ausgangsbedingungen hätte ausbleiben können bzw. während bei denselben Ausgangsbedingungen etwas anderes hätte geschehen können (ontischer Zufall). Dabei ist zu bedenken, dass sich die letzten Nuancen eines Wortes erst durch sein begriffliches Umfeld ergeben.

Demokrit liefert eine deterministische Variante des Atomismus. Epikur und Lukrez liefern eine radikal indeterministische Variante, der zufolge Atome spontan von der geraden Bahn abbiegen. Sie meinen offenbar (zum Teil leider nur schwer zu entziffern): Nur das schafft Raum für Freiheit. Platon unterscheidet im Timaios verschiedene Arten der Determination. Aristoteles fragt sich, ob die morgige Seeschlacht schon vor 10.000 Jahren aus logischen Gründen feststehen musste - und, was es eigentlich heißt, dass ich zufällig heute auf dem Markt meine Schulden eintreiben konnte. Die Stoiker vergleichen die Weltgeschichte mit dem Abrollen eines Seils. Und sie empfehlen diejenige Einsicht in die Notwendigkeit, die der Fleischerhund zeigt, wenn er, am Karren festgebunden, alternativlos mittrottet. Skeptiker imaginieren eine völlig akausale Welt. Und Augustinus fragt sich, wie Zwillinge, die doch unter denselben Sternen geboren sind, so verschieden sein können.

Bei der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass der Zufallsbegriff in die Beschreibung des Kausalprozesses verlegt wird und somit erst nach einem Ereignis ins Spiel kommt. Bezüglich der Bewertung des Zufalls durch die Griechen ist zu beachten, dass der Zufall je nach Kontext sowohl positiv, als auch negativ gemeint sein kann. Bei der Frage, ob die Zufallsvorstellungen abhängig von den betreffenden Menschengruppen seien, wies Herr Strobach darauf hin, dass die Zufallsbegriffe möglicherweise mit der Position und der damit einhergehenden Verantwortung eines Menschen verbunden, aber nicht abhängig von dessen Bildungsgrad seien.

Dr. Kim Boström - "Der Zufallsbegriff in der neueren Philosophie"

Herr Boström begann seinen Vortrag mit einer Überlegung zum Zusammenhang von Zufall und Kausalität und verwies bei dieser Gelegenheit auf das außerordentlich unwahrscheinliche Zustandekommen des Zufallsworkshops. Manche Ereignisse, so Boström, erschienen uns nicht zufällig, obwohl sie geradezu atemberaubend unwahrscheinlich seien. Er schlug daher folgende erste Definition des Zufalls vor: Ein Ereignis ist (echt) zufällig genau dann, wenn es keine kausale Erklärung dafür gibt. Es ist pseudozufällig genau dann, wenn es nur scheinbar keine kausale Erklärung dafür gibt. Derartige Pseudozufälle kommen beispielsweise in der Computertechnik zur Anwendung.

Des Weiteren ging er auf den Zufall im Glücksspiel und die Wahrscheinlichkeit bei Laplace ein, die zur zweiten Definition des Zufalls führte. Der Zufallsbegriff nach Laplace sei aber keine universelle Beschreibung der Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit als Erweiterung der Logik, der Bayesianismus, der Frequentismus und die Propensität nach Popper lieferten weitere vier Definitionen des Zufallsbegriffs.

Bei der folgenden Diskussion wurde festgestellt, dass über Wahrscheinlichkeit zu diskutieren impliziert, über Zufälle zu diskutieren. Herr Müller-Funk merkte an, dass sich der Bayesianismus zwar als Lernparadigma eigne, aber nicht die Lösung für alle Fälle sei.

Dr. des. Markus Seidel - Die Rolle des Zufalls in der Wissenschaftsentwicklung - "Könnte erfolgreiche Wissenschaft ganz anders aussehen?"

Dieser Beitrag behandelte eine in der Wissenschaftstheorie weitestgehend – zumindest in einer expliziten Form – kaum beachtete Debatte: Die Diskussion zwischen sogenanntem Inevitabilismus und Kontingentismus in der Wissenschaftstheorie. Herr Seidel argumentierte dafür, dass diese Diskussion zu Unrecht vernachlässigt werde, da die Frage des Kontingentismus/Inevitabilismus die grundlegende Streitfrage in klassischen wissenschaftstheoretischen Debatten sei: Ist wissenschaftlicher Fortschritt kumulativ zu verstehen? Sind unsere erfolgreichsten Theorien annähernd wahr? Welche Konsequenzen sind aus Unterbestimmtheitsthesen zu ziehen? Gibt es einen nicht-trivialen Begriff der Inkommensurabilität? sowie praktisch jede Streitfrage in den sogenannten ‚Science Wars‘. Indem er zwischen verschiedenen Formen des Kontingentismus unterschied, zeigte er, dass wissenschaftliche Entwicklung in einer Hinsicht trivialerweise kontingent, in einer anderen Hinsicht jedoch unausweichlich ist. Zum Abschluss machte er einen Vorschlag wie ein radikaler Kontingentismus dadurch vermieden werden könne, dass Wissenschaftstheorie – oder genauer: Methodologie – selbst als ein wissenschaftliches Unterfangen aufgefasst werde, das seine Belege aus wissenschaftshistorischen und wissenschaftssoziologischen Untersuchungen gewinne.

PD Dr. Bernhard Jakl - "Der Zufall im Recht. Rechtsphilosophische Überlegungen zu rechtlicher Risikoverteilung und Subsumtion

Rechtliche Regelungen sind im Unterschied zu philosophischen Überlegungen allgemein verbindlich und damit unabhängig von individuellen Überzeugungen praktisch wirksame normative Ordnungen.

Der Zufallsbegriff im Recht ist folgendermaßen definiert: Zufall ist das, was nicht durch Handlungen oder Handlungspflichten gesteuert werden kann. Die Grenzen zwischen Handlung und Zufall hängen dabei zentral von der Bestimmung und Zuweisung des Haftungsrisikos ab. Die Zufälle und Unwägbarkeiten des sozialen Lebens verhandelt das Recht somit vor allem durch Risikoverteilungen. Das Beispiel der deutschen Rechtsordnung zeigt, dass rechtliche Normen je nach Rechtsgebiet eine andere Risikoverteilung vornehmen. Das Öffentliche Recht, das das Verhältnis zwischen Staat und Bürger adressiert, entwirft mit umfangreichen Verfahren zur Beteiligung Betroffener und umfassenden Interessenabwägungen eine andere Logik der Risikoverteilung als das Privatrecht, das das Verhältnis zwischen Bürgern regelt und dem Grundsatz „Pacta sunt servanda“ folgt.

Die gesetzlichen Risikoverteilungen müssen auch angewendet werden. Das Recht verbindet den Einzelfall mit der allgemeinen Norm durch Subsumtion. Das Hin und Her zwischen individuellem Sachverhalt und allgemeiner Norm beim Subsumtionsprozess verweist zwar auf das Problem einer moralischen Urteilskraft. Das Recht zeigt aber auch, dass nur die Theoriebildungen, die das Problem der Subsumtion – und damit die Zufälligkeit des Einzelfalls – angemessen aufnehmen, hilfreich zur Diskussion um wirksame normative Ordnungen beitragen können. Zahlreiche praktische Theorien, wie etwa ein rein begrifflicher Normpositivismus oder eine materiale Wert-Ethik, können daher schon wegen der fehlenden Berücksichtigung der Subsumtions-Problematik nicht überzeugen. Gesucht sind aus juristischer Perspektive die normativen Theorien, die die Kluft zwischen Lebenssachverhalt und Norm bereits in ihrem Theorieaufbau berücksichtigen.

In der Diskussion stellte Herr Jakl heraus, dass die Genese des juristischen Zufallsbegriffs in der Willenstheorie liegt. Als Beispiel dafür dient das Glücksspiel, bei dem man das Ergebnis nicht willentlich beeinflussen kann und welches deshalb aus juristischer Perspektive als zufällig bezeichnet wird.

Prof. Dr. Gernot Münster - "Der Zufallsbegriff in der Physik"

Die Geschichte der Physik ist vom Bestreben durchzogen, die physikalischen Vorgänge durch Gesetze zu erfassen, welche es gestatten, Vorhersagen über das künftige Verhalten der betrachteten Systeme zu treffen. Dort, wo es nicht möglich ist, hinreichend genaue Vorhersagen zu machen, kommt der Zufall ins Spiel, und zwar als Element der theoretischen Beschreibung der physikalischen Systeme. Beispielsweise sind wir als Menschen beim Billard nicht in der Lage vorherzusagen, wie sich die Kugeln verteilen werden. Dass es im Prinzip berechenbar ist, spielt dabei keine Rolle. Der Zufall drückt sich in Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen aus, und die Zufälligkeit eines Ereignisses ist möglich, wenn die Wahrscheinlichkeit seines Eintretens zwischen 0 und 1 liegt.

In der klassischen Physik war die Ansicht verbreitet, dass die physikalische Natur sich grundsätzlich deterministisch verhält und dass sich in Wahrscheinlichkeitsgesetzen die menschliche Unkenntnis der exakten Zustände widerspiegelt. Zeugnisse davon sind z.B. der Laplace‘sche Dämon und Einsteins Auffassung „Gott würfelt nicht“. In der Quantentheorie tritt ein neuer Begriff von Zufall auf, der als irreduzibel und nicht als Ausdruck von Unkenntnis interpretiert wird. Die beiden Zufallsbegriffe äußern sich in unterschiedlicher Weise im quantentheoretischen Formalismus (reine und gemischte Zustände).

Die Diskussion ergab, dass das spontane Eintreten von Ereignissen, wie der Zufallsbegriff der Quantentheorie es erlaubt, auch als Begründung für die Willensfreiheit herangezogen wird. Damit lässt sich allerdings nur ein schwacher Freiheitsbegriff formulieren.

Dr. Manfred Freibug - "Der Zufallsbegriff in der Biologie. Zufall und Zwang - Von der Planlosigkeit der Evolution"

 Grundannahme in den Biowissenschaften in Bezug auf die entscheidenden Prozesse, die zur Entstehung von Leben und zur Evolution von Organismen führten bzw. führen, ist, dass diese zufälliger Natur sind. Als zufällig gilt ein Ereignis, für dessen Eintreten im Einzelfall keine Ursache benannt und keine Vorhersage gemacht werden kann. Betrachtet man aber die Gesamtheit aller Ereignisse der gleichen Art, so lassen sich für das Eintreten einzelner Ereignisse Wahrscheinlichkeiten angeben.

In der Evolutionsgeschichte standen die Ergebnisse von Zufallsereignissen unter stetiger Bewertung, d.h. unter einem Selektionsdruck. Diese stetige Bewertung führt einerseits zu einer zunehmenden Präzisierung bzw. Optimierung der das Leben ermöglichenden Prozesse, andererseits blieb aber eine gewisse Ungenauigkeit erhalten, ohne die Evolution nicht möglich gewesen wäre. Optimierung meint dabei keinen Fortschritt, sondern bezieht sich auf die geänderte aktuelle Situation. Die Evolution des Lebendigen bewegte sich also stets zwischen Präzision und Fehlerhaftigkeit, zwischen Zufall und Zwangsläufigkeiten. Diese Aussagen wurden an Beispielen aus der Molekularbiologie, der Makro- und der Mikroevolution verdeutlicht.

Die Diskussion zeigte, dass es bei den Beispielen des Zufalls in der Evolutionsgeschichte verschiedene Ebenen von Zufall gibt. Ein Vergleich zwischen kultureller und biologischer Evolution ist nur mit Vorsicht anzustellen.

Prof. Dr. Ulrich Müller-Funk - "Der Zufallsbegriff in der Mathematik"

 Deutungsversuche von „Zufall“ – angefangen mit der Annahme eines vollständigen Determinismus bei Unkenntnis der Einflußfaktoren und/oder des Wirkungszusammenhanges, führen auf die gleiche, mathematisch triviale Grundsituation: Ein Phänomen x steht in Relation zu Umweltzuständen, Aktionen, Eingaben, etc. z, ohne dass ein funktionaler Zusammenhang x=f(z) unterstellt werden kann. Zudem ist „zufällig“ als eine binäre Eigenschaft (ja - nein) zu schwach, um im Rahmen von Modellen zur Beschreibung von Realweltsystemen oder zur Formalisierung von Entscheidungsproblemen unter Unsicherheit eine Rolle zu spielen. Deshalb steht in der Mathematik der Wahrscheinlichkeitsbegriff als Quantifizierung des Zufalls im Vordergrund. Die auf diesem aufbauenden formalen Theorien sind aus wissenschaftstheoretischer Sicht weniger interessant, da „wahr“ stets in einem rein logischen Sinne verstanden wird. Eine Sonderstellung hat hier jedoch die mathematische Statistik als formalwissenschaftliches Instrument zur Überprüfung von Hypothesen und Kausalzusammenhängen. Die Logik ihrer Anwendung sollte daher im Vortrag herausgearbeitet werden. Die Begriffe ontischer, epistemischer und irreduzibler Zufall spielen aus der Sicht des Mathematikers dabei keine Rolle, da die Interpretation des Zufalls für die Statistik uninteressant ist.

Prof. Dr. Alexander Dilger - "Der Zufall in den Wirtschaftswissenschaften"

Der Zufall wird in den Wirtschaftswissenschaften an sehr vielen verschiedenen Stellen verwendet, z.B. in der Erwartungsnutzentheorie, der Spieltheorie, der Kapitalmarkttheorie und der Ökonometrie. Der Glaube an eine vollständig Berechenbarkeit des Zufalls war eine wichtige Krisenursache.

Eine Gemeinsamkeit in der Verwendung des Zufalls ist die subjektive oder intersubjektive Interpretation des Zufalls als fehlende Information, die entweder zu Risiko, wenn sich Wahrscheinlichkeiten angeben oder schätzen lassen, oder Unsicherheit, ohne Wahrscheinlichkeiten, die sich angeben lassen, führen. Ob und gegebenenfalls wie der Zufall objektiv besteht, wird in der Regel nicht problematisiert. Gerade in der Ökonometrie wird häufig aus der Verteilung zufälliger Größen auf nicht direkt beobachtbare Variablen geschlossen, während in der Spieltheorie der Zufall aktiv verwendet wird, z. B. bei gemischten Strategien.

In der Regel wird der Zufall subjektiv als das Fehlen von Informationen aufgefasst. Das passt zur subjektiven Wertlehre und der informationsökonomischen Wende. Materielle Knappheit lässt sich leicht optimieren, wenn hinreichend Informationen vorliegen. Wirklich knapp sind damit Informationen und Kapazitäten zu ihrer Verarbeitung.

Frau Jung wies in der Diskussion darauf hin, dass es in Bezug auf die Unterscheidung von Risiko und Unsicherheit wichtig sein könne, zu unterscheiden, was berechenbar sei und was nicht. Tatsächlich sei es aber in manchen Situationen nicht sinnvoll, den Ereignissen Wahrscheinlichkeiten zuzuschreiben, wie Herr Dilger erklärte. Die Bewertung des Zufalls fällt negativ aus. Die meisten Menschen sind risikoavers, so dass es besser ist, wenn man sich mithilfe der Theorien vor dem Zufalls „schützt“ und es keinen Zufall gibt. Dass der Zufall auch eine Chance bieten kann, wie Herr Großhans anmerkte, ändert die Bewertung des Zufalls nicht wesentlich. Regulatorische Eingriffe durch den Gesetzgeber, die Herr Jakl vorschlug, seien zu gewagt. Man könne aber versuchen so weit zurückzugehen, dass die Risikoliebenden auch das Risiko tragen müssten. Falls das nicht möglich sei, wie im Falle eines GAUs, bei dem der Atomkraftwerksbetreiber nicht für den Schaden aufkommen könne, müsse der Gesetzgeber doch regulieren.

Prof. Dr. Hans-Peter Großhans - "Der Zufallsbegriff in der Theologie"

In der Theologie wird der Begriff Zufall in vier Bereichen gebraucht, und zwar mit unterschiedlicher Bedeutung. Nach Lübbe ist die Religion die Bewältigung von Kontingenz. Das Thema Religion ist nicht die Ordnung, wie es scheinen mag, sondern die Erfahrung einer fundamentalen Unordnung, die verstanden werden will und mit der im Leben ein Umgang entwickelt werden muss. Menschen verarbeiten in ihrer religiösen Praxis die Erfahrung der Unordnung und entwickeln so einen Umgang mit dem Zufälligen, mit dem Widersinnigen und dem nicht Begreiflichen. Der Zufall wird als das mangelnde Erkenntnisvermögen des Menschen verstanden, da Gott als Schöpfer und als Lenker des Menschen gilt.

Aufgrund der Evolutionsgeschichte ist unser Gehirn daran gewöhnt, kausal zu denken, auch wenn es vielleicht nichts Kausales gibt. Insofern bewältigt die Religion unser Problem mit der Kontingenz. Ob die Aussage der Religion wahr oder falsch ist, ist eine andere Frage. Jedenfalls brauchen wir die positive Erwartung des Zufalls, den wir selber nicht herbeiführen können, was durch die Religion thematisiert wird. Ein Beispiel dafür ist das Hoffen auf ein Wunder. Insofern ist das Betreiben von Wissenschaft gewissermaßen auch eine religiöse Tätigkeit, weil es von der naiven Annahme ausgeht, dass wir überhaupt zu etwas kommen können. Es gibt ein Vertrauen darauf, dass man sich sinnvoll mit dem Zufall und der Welt auseinandersetzen kann.

Bei den verschiedenen Vorträgen zeigte sich, dass der Zufallsbegriff sehr stark mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff zusammen gedacht wird. Die Angabe einer Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses hilft, eine Prognose für dessen Eintreten zu machen. Die Wahrscheinlichkeit bezieht sich dabei auf die Irrtumsmöglichkeit. Man muss allerdings zwischen den Hypothesen und dem Inhalt der Hypothesen unterscheiden, da zwei verschiedene Arten von Wahrscheinlichkeit zur Anwendung kommen. Bereits das Modell könne Wahrscheinlichkeiten enthalten, nicht erst der Zugriff auf die Welt, wie Herr Dilger anmerkte. Man muss daher unterscheiden zwischen dem, was Zufall ist, und dem, was als Zufall erscheint. Da der Mangel eines kausalen Zusammenhangs die Definition des Zufalls liefert, besteht ein Unterschied zwischen Zufall und Wahrscheinlichkeit. Diese beiden Begriffe sind nicht identisch.
Im Laufe des Workshops wurde klar, dass es viele verschiedene Zufallsbegriffe gibt, die nicht unbedingt einen gemeinsamen Kern haben müssen.