Arbeitsgruppe Autorschaft (bis 2012)

Plakat der Tagung "Ikonen Stile Institutionen"
Plakat der Tagung "Ikonen Stile Institutionen"

Die Arbeitsgruppe untersucht die Inszenierung von Autorschaft im Spannungsverhältnis von Religion und Politik und fragt nach der spezifischen Autorität des Autors von der Antike bis zur Gegenwart. Ausgangspunkt ist die kritische Analyse verschiedener Autorschaftsmodelle wie des poeta vates, des poeta doctus, des Autors als Schöpfer, als Verfolgter/Märtyrer, als ‚Gewissen der Nation’ u. a. mehr. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit diese Bilder religiöse Muster beerben oder weiterschrei­ben und in welcher Weise mit ihnen politisch agiert wird. Die aus der Sphäre des Theaters entlehnte Metapher der Inszenierung, die zu einem kulturwissenschaftlichen Schlüsselbegriff geworden ist, bildet den theoretischen Fokus der Arbeitsgruppe, die sich ihrem Thema sowohl kulturwissenschaft­lich als auch textanalytisch nähert. Einerseits sind die historisch veränderlichen politischen, religiösen, medialen und genderspezifischen Bedingungen von Autorschaft zu analysieren, andererseits in der konkreten Textanalyse Elemente und Strukturen zu bestimmen, die eine kulturell produktive Topik des Autors begründen. Eine zentrale Forschungsfrage der Arbeitsgruppe liegt nicht zuletzt darin, ob und inwiefern sich die bislang untersuchten Modelle literarischer Autorschaft auf andere Diskursfel­der wie Politik, Religion, Wissenschaft, Kunst, Musik übertragen lassen.

Teilprojekt: Autorprofile der deutschen politischen und religiösen Lyrik von 1200 bis ins 15. Jahrhundert

Leitung: Prof. Dr. Tomas Tomasek
Germanistisches Institut

Fast aus dem Nichts entsteht um 1200 eine für die deutsche mittelalterliche Literatur spezifische Form der Lyrik, deren Autoren mit profilierten politischen und religiösen Aussagen hervortreten: die Sangspruchdichtung (Walther von der Vogelweide, Reinmar von Zweter, Rumeland von Sachsen u. a. m.). In Form des Meistersangs hat sie sich bis in die Neuzeit fortgesetzt. Die Dichter der Sangspruchgattung stehen in einem existentiellen Verhältnis zu ihren Gönnern, die als (potentielle) Auftraggeber die Texte thematisch mitbestimmen. Dadurch gelangen aktuelle Bezüge und sogar die politischen Akteure selbst mit ihren Handlungen in die Texte. Beerbt wurde die politische und religiöse Sangspruchdichtung von der Gattung der sog. Ehrenrede, deren Hauptvertreter im 14. Jahrhundert der niederländische Herold Gelre und der in habsburgischen Diensten stehende Peter Suchenwirt waren.

In dem Augenblick, in dem der Sangspruch politisch wird, muß der Autor sich mit seinem Text in der politischen Welt positionieren. Er bezieht Partei. Daraus entwickelt sich eine Form der Fürsprache, die weder Werbung noch Propaganda ist. Eine vergleiche Zwischenstellung nimmt analog auch die religiöse Lyrik ein. Mit welchen rhetorischen Mitteln diese in mehreren Untertypen (Fürstenpreis, Totenklage usw.) auftretenden ältesten Formen volksprachlicher politischer und religiöser Rede in Deutschland ihr Zielpublikum suchten, ist bislang noch nie im Zusammenhang untersucht worden.

Seine besondere Art der Aufbereitung politischer und religiöser Themen macht den Sangspruch zu einer Schnittstelle von politischer Realität bzw. Glaubensrealität und parteilicher Fiktion. Durch ihre breitenwirksamen Überredungs- und Überzeugungsstrategien gelangen die Texte zu einer gewissen publizistischen Macht, die sich die politischen Akteure und Auftraggeber zu Nutze machten, indem sie den Sangspruch in ihre Herrschaftskommunikation aufnahmen.

Das Teilprojekt wird auf der Grundlage der inzwischen nicht mehr dem Forschungsstand gerechten Untersuchungen von U. Müller (1974) sein Hauptaugenmerk in detaillierten Studien auf die Ausprägung der Autorkonstruktion in volkssprachlichen politischen und religiösen Texten zwischen Walther von der Vogelweide (gest. 1230) und Michel Beheim (gest. nach 1474) richten (Dichter als poetae vates, als Verbreiter der communis opinio usw.)