Religiöse Deutungen von Epidemien

Dossier "Religion und Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona-Epidemie"

In einem ersten Teil werfen wir die Frage auf, wie Religionsgemeinschaften und ihre Vertreterinnen und Vertreter die Epidemie deuten, welche Deutungsmuster sie heranziehen, wie sich diese von früheren religiösen und theologischen Pandemie-Interpretationen unterscheiden und wie divers die religiösen Deutungen je nach sozio-historischem Kontext und je nach religiösem Selbstverständnis ausfallen. Beim Blick auf die großen Kirchen in Deutschland etwa fällt auf, wie zurückhaltend sie ihre Deutungen der Krise formulieren. Doch nicht alle religiösen Akteure bewegen sich derart vorsichtig und sensibel auf dem religiösen Feld. Manche begreifen die Krise auch als einen willkommenen Anlass, ihre Botschaft lautstark ins Spiel zu bringen.

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Willkürherrschaft und Strafe Gottes: Wie eine Epidemie schon einmal zu Verschwörungstheorien und religiösen Bestrafungsphantasien führte. Von Historiker PD Dr. André Krischer

Es war kaum zu fassen: Die Pandemie rückte bedrohlich näher, und die Opferzahlen aus Frankreich klangen erschreckend. Die Regierung hatte deswegen, beraten von ihren Experten, umfangreiche Quarantäne-Maßnahmen beschlossen. Man war sogar bereit, massive wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen und den Handel fast zum Erliegen zu bringen, wenn sich auf diese Weise Infektionen verhindern ließen. Und trotz all dieser für die Regierung und ihre Experten so rational erscheinenden Maßnahmen gab es Leute, die darüber unglaubliche Geschichten erzählten: Infizierte sollten entweder in ihren Häusern festgesetzt oder aber zwangsweise in Quarantänezentren überstellt werden. Familiäre Bindungen sollten keine Rolle spielen, wenn es darum gehe, Gesunde und Kranke voneinander zu trennen. Notfalls sollte das Militär im Inneren eingesetzt werden und jede Bewegungsfreiheit unterbinden. Es sei daher doch klar, worum es hier gehe: Die Errichtung einer Willkürherrschaft. Weiterlesen