Musiktherapie in der Neonatologie

Musiktherapie mit sehr unreifen Frühgeborenen

Dr. päd. Susan Kobus, Musiktherapeutin (M.A.), Heilpraktikerin (Psychotherapie), Diplom-Musikpädagogin, Konzertpianistin
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In den letzten Jahren hat sich dank der verbesserten perinatalen Versorgung die Überlebensrate von Frühgeborenen stark verbessert1. Während Frühgeborene mit einem Gestationsalter > 32 Schwangerschaftswochen (SSW) ein ähnliches Outcome wie Reifgeborene haben, treten die schwerwiegendsten Komplikationen bei sehr unreifen Frühgeborenen < 32 SSW und insbesondere bei einem Gestationsalter < 28 Wochen (extrem unreife Frühgeborene) auf2,3. Insgesamt leidet etwa ein Viertel der überlebenden Frühgeborenen an einer erheblichen neurologischen Beeinträchtigung4.

Ein menschlicher Fetus kann auditorische Reize bereits ab einem Gestationsalter von 26 Wochen wahrnehmen, sodass dieses auch der Fall für den Großteil der Frühgeborenen auf der neonatologischen Intensivstation (NICU) ist5. Die Reifung des auditorischen Systems wird beeinflusst von der akustischen Umwelt dieser Kinder und bildet die Grundlage für die spätere Sprachentwicklung sowie das Lernen und die Gedächtnisformation5,6. In jüngerer Zeit wird in einigen Perinatalzentren Musiktherapie angeboten. Aus bisherigen Studien geht hervor, dass Musiktherapie sich stabilisierend und entspannend sowohl auf den allgemeinen Verhaltenszustand des Kindes als auch auf dessen physiologische Parameter, wie Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz, auswirkt7-10. Diese positiven Effekte lassen sich bereits während der Intervention verzeichnen11. Allerdings gibt es nur wenige Untersuchungen zur kurz- und langfristigen Auswirkung von Musiktherapie auf die neurologische Entwicklung Frühgeborener.

Um diese kurz- und langfristigen Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung zu objektivieren sind Biomarker notwendig, die helfen das Ausmaß der Hirnreifung zu beurteilen. Bisherige Studien-Ergebnisse weisen darauf hin, dass solche Biomarker u.a. im amplitudenintegrierten EEG (aEEG), in der zerebralen MRT (cMRT) mit Diffusionsgewichtung sowie anhand von speziellen neurologischen Untersuchungen erhoben werden können12-15. Etablierte Bestandteile der aktuellen Routinediagnostik und –nachsorge sind sowohl eine aEEG-Aufzeichnung während der ersten 72 Lebensstunden und mit korrigiert 36 Schwangerschaftswochen, als auch eine cMRT-Darstellung am errechneten Geburtstermin inklusive DTI-Sequenz und eine Analyse der General Movements. Eine standardisierte neurologische Untersuchung wird sowohl während des stationären Aufenthalts sowie nach Entlassung im Sozialpädiatrischen Zentrum zu definierten Zeitpunkten, unter anderem im korrigierten Alter von 24 Monaten (GBA-Beschluss) durchgeführt. Zu letztgenanntem Zeitpunkt erfolgt auch die pädiatrische Entwicklungstestung mittels Bayley Scales of Infant Development III (BSID-III).

Zwei Studien konnten einen unmittelbaren Effekt auf das Schlafmuster im aEEG bei Frühgeborenen > 32 Schwangerschaftswochen nachweisen. Eine systematische wissenschaftliche Evaluation der Wirkung bei Frühgeborenen < 32 Schwangerschaftswochen und insbesondere der Effekte auf die neurologische Entwicklung fehlt zum Zeitpunkt des Studienbeginns. Mit der hier beschriebenen prospektiven randomisierten kontrollierten Studie sollen Daten zu dieser Fragestellung erhoben werden. Hierzu werden Patienten aus der Interventionsgruppe mit der Kontrollgruppe verglichen, Biomarker für das neurologische Outcome (aEEG, General Movements, DTI), sowie Bayley Scales of Infant Development III (BSID-III) im korrigierten Alter von 24 Monaten im Hinblick auf Unterschiede ausgewertet.

Das Ziel ist es, in der prospektiven randomisierten kontrollierten Studie zu untersuchen, ob die regelmäßige Durchführung von Musiktherapie 2x wöchentlich bis zur Entlassung die neurologische Entwicklung von Frühgeborenen < 32 Schwangerschaftswochen beeinflusst. Bei Entlassung wird von den Eltern der Interventionsgruppe ein Fragebogen zur Evaluation der Musiktherapie ausgefüllt. Bei der Bayley-Testung im korrigierten Alter von 24 Monaten wird von allen Eltern (Kontroll- und Interventionsgruppe) ein Fragebogen ausgefüllt, um zu erfassen, inwiefern seit der Entlassung eine musikalische Förderung regelmäßig erfolgte. Die Therapien bestehen aus individuellem, improvisiertem, kindgerichtetem Singen der Musiktherapeutin und dem Einsatz einer Sansula. Orientiert am Atemrhythmus und den Reaktionen des Kindes auf die gebotenen Reize erklingen anfangs einzelne gesummt Töne, gefolgt von Tonfolgen mit improvisiertem individuellen Text. Im weiteren Therapieverlauf erfolgt zunehmend der Einsatz der Sansula. Die Musiktherapie wird für jedes einzelne Kind vorbereitet und durchgeführt und ist keine Musikbeschallung des gesamten Intensivraumes. Dies wäre zu laut für die Frühgeborenen und berücksichtigt nicht deren Individualität.

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