Musiktherapie bei Abhängigkeit

Erstimprovisationen in der Musiktherapie mit Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen

Doktorandin: Rahel Jansen, Diplom-Musiktherapeutin, Musiktherapeutin (M. A.)
Kontakt: rahel-jansen@gmx.de
Betreuung: Prof. Dr. Rosemarie Tüpker

Seit 1968 haben Abhängigkeit und Sucht offiziellen Krankheitswert in Deutschland. Das gesellschaftliche Verhältnis zu diesen zeigt sich jedoch weiterhin ambivalent, Rückfälle werden meist eher als Willens- oder Charakterschwäche angesehen. Besonders Patienten mit Suchterkrankungen nehmen die stationäre Behandlung überdurchschnittlich stark in Anspruch, kehren häufig in den stationären psychiatrischen Rahmen zurück. Auf einer Entzugsstation für Doppeldiagnosen wird diesen Menschen die Musiktherapie in einem ressourcenorientierten Setting als Teil der multiprofessionellen Behandlung angeboten. Die musiktherapeutische Behandlung bietet in diesem Rahmen die Möglichkeit, die häufigen Wiederaufnahmen aufgrund von Rückfällen im häuslichen Umfeld als übergeordnete Langzeitbehandlung zu nutzen. Ein Wiederanknüpfen an vorherige Themen wird möglich.

I. Praxisphase:

Derzeit läuft die praktische Phase des Promotionsprojektes. Die Musiktherapie wird sowohl in Gruppen- als auch Einzelkontexten auf der psychiatrischen Station für Doppeldiagnosen angeboten, die Promotion richtet sich jedoch vorrangig auf den Kontakt im Einzelkontext. Die Patienten nehmen zu Beginn ihres Aufenthalts an einer Musiktherapieeinheit im Einzelkontext teil. In einer gemeinsamen Improvisation spielen Patient und Musiktherapeutin gemeinsam, es gibt keine thematischen, inhaltlichen oder musikalischen Vorgaben oder Absprachen. Die Stücke werden nach schriftlicher Zustimmung des Patienten digital aufgezeichnet und anschließend mittels Beschreibung und Rekonstruktion analysiert. Bei einem folgenden Aufenthalt wird die Musiktherapie im Einzelkontext erneut aufgenommen, die Improvisation des letzten Aufenthalts wird gemeinsam gehört, ebenso die zusammenfassende Beschreibung. Triangulierung entsteht durch die eigene Wahrnehmung des Patienten, die Wahrnehmung der Musiktherapeutin sowie durch die Wahrnehmung der Beschreiber-Gruppe. Anschließend wird erneut improvisiert, eine Anknüpfung an Inhalte des letzten Aufenthalts wird möglich. Die freien Improvisationen fungieren im Sinne eines roten Fadens. Die aktuell entstandene Improvisation wird wiederrum durch Beschreibung und Rekonstruktion analysiert. Eine Langzeittherapie wird so im Rahmen mehrerer kurzer stationärer Aufenthalte im Sinne von Kurzzeittherapien ermöglicht.

II. Wissenschaftliche Verarbeitung:

Basis bildet die Auseinandersetzung mit Theorien und Methoden der Morphologischen Musiktherapie, ein besonderes Augenmerk wird auf die Beschreibung und Rekonstruktion zur Analyse der Improvisationen gelegt. Mittels dieser morphologischen Untersuchungsmethodik werden circa 12 Fallbeispiele aus dem klinischen Alltag beforscht und ausgewertet, 3-5 Improvisationen werden pro Patient analysiert. Hierzu werden die Improvisationen durch eine geschulte Beschreiber-Gruppe qualitativ beschrieben. Aus diesen Beschreibungen entsteht eine zusammenfassende Hypothese. Anamnese, psychologischer und medizinischer Behandlungsverlauf sowie eine Analyse der Musik werden hinzugezogen. In einem abschließenden Schritt werden die gesammelten Informationen zusammengetragen und der Fall unter Zuhilfenahme der Gestaltfaktoren rekonstruiert. Entwicklungen und Dynamiken werden durch den Vergleich der vorhandenen Improvisationen ersichtlich. Auch Literatur über Abhängigkeitserkrankungen und deren Psychodynamik wird hinzugezogen. Fachliteratur bezüglich der Behandlung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen wird zusätzlich beachtet. Zusammenfassend soll aufgezeigt werden, dass trotz kurzer Behandlungsverläufe und häufiger Rückfälle eine Behandlung im Rahmen einer langzeittherapeutischen Zuwendung bei Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen gelingen kann. Die Musiktherapie bietet mit ihrer ressourcenorientierten Ausrichtung das passende Medium.

Literatur:

  • Aldrigde, David; Fachner, Jorg (2010): Music Therapy and Addictions. London: Jessica Kingsley Publishers. Kapteina, Hartmut (1996): Stationäre Behandlung von Suchtkranken. In: Decker-Voigt, Hans- Helmut; Weymann, Eckhard (Hrsg.): Lexikon Musiktherapie. Göttingen: Hogrefe.
  • Smeijsters, Henk (2006): Handboek Muziektherapie – Evidence based practice voor de behandeling van psychische stoornissen, problemen en beperkingen. Houten: Bohn Stafleu van Loghum.
  • Tüpker, Rosemarie (2013): Ich singe, was ich nicht sagen kann – Zu einer morphologischen Grundlegung der Musiktherapie. 3. aktualisierte Auflage. Norderstedt: Books on Demand. Voigtel, Roland (2015): Sucht. In: Analyse der Psyche und Psychotherapie Bd. 15, Gießen: Psychosozial-Verlag.

Das Poster zum Projekt finden Sie hier.