Lehrergesundheit

„Gesund leben, gesund lehren“ - Ein integratives musiktherapeutisches Programm für Lehrerinnen und Lehrer

Doktorand: Wolfgang Zaindl; Musiktherapeut (Master) Kontakt
Betreuung: Prof. Dr. Rosemarie Tüpker (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Problemstellung/Forschungsanlass

Laut statistischem Bundesamt (Erhebung 2014/2015) sind knapp 800.000 LehrerInnen an deutschen Schulen tätig. Viele der Lehrkräfte scheiden vor dem Erreichen des Pensionsalters aus gesundheitlichen Gründen aus. So erreichten bis zum Jahr 2001 weniger als 10% aller Lehrkräfte den Altersruhestand, häufig aufgrund psychischer Erkrankungen (vgl. Hillert 2014, S. 190). Zwar hat sich zwischenzeitlich die Zahl der Lehrkräfte, die den regulären Altersruhestand erreichen deutlich erhöht, jedoch kann diese Entwicklung auf deutlich gestiegene Versorgungsabschläge zurückgeführt werden, aufgrund derer sich Lehrkräfte eine Frühpensionierung häufig nicht leisten können (vgl. Hillert 2012, S. 5). Abb. 1: Vorzeitige Dienstunfähigkeit und (arbeitsfähiges) Erreichen der Regelaltersgrenze bei verbeamteten Lehrkräften in Deutschland zwischen 1993 und 2011.

Laut Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2012 sind „Gesundheitsförderung und Prävention […] integrale Bestandteile von Schulentwicklung. Sie stellen keine Zusatzaufgaben der Schulen dar, sondern gehören zum Kern eines jeden Schulentwicklungsprozesses.“ In Bayern gibt es bereits seit 2007 Beauftragte für die Lehrergesundheit an allen neun staatlichen Schulberatungsstellen. Diese koordinieren eine Reihe von Angeboten zur Lehrergesundheit, u. a. Supervision, Coaching sowie Fortbildung zu verschiedenen Themen (z. B. Stress- und Zeitmanagement, Klassenführung).
Die Angebote werden u. a. über die digitale Plattform des bayerischen Kultusministeriums „Fortbildung in bayerischen Schulen“ („FIBS“) ausgeschrieben, über die sich Lehrkräfte staatlicher Schulen bewerben können. Im Schuljahr 2016/2017 wird dieses Angebote durch das von mir gestaltete Programm „Gesund leben, gesund lehren“ ergänzt, welches mit aktiven und rezeptiven Methoden aus der musiktherapeutischen Praxis arbeitet.

Stand der Forschung

Es liegen eine Reihe von Studien zur Lehrergesundheit vor, darunter eine aktuelle Studie des deutschen Ärzteblattes (2015) sowie ein Gutachten des „Aktionsrats Bildung“ mit dem Titel „Psychische Belastungen und Burnout beim Bildungspersonal“. Letzteres wurde 2014 von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. herausgegeben. In der Literatur häufig zitiert wird auch die „Potsdamer Lehrerstudie“, welche durch eine Gruppe von Wissenschaftlern und Studierenden des Instituts für Psychologie der Universität Potsdam unter Leitung von Prof. Dr. Uwe Schaarschmidt in den Jahren 2000-2006 durchgeführt wurde.
In Bezug auf (präventive) Angebote zur Lehrergesundheit gab es in den letzten Jahren in den verschiedenen Bundesländern eine Reihe wissenschaftlich begleiteter Projekte:

  • „Projekt Lehrergesundheit“ (Rheinland-Pfalz; Institut für Lehrergesundheit in Mainz)
  • „LeguPan - Lehrergesundheit: Prävention an Schulen“ (Bayern; LMU München)
  • „Lange Lehren – Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Lehrerberuf erhalten und för-dern“ (Verbundprojekt: TU Dresden, Universitätsklinikum Freiburg, Berliner Forschungs-gruppe Lehrergesundheit)
  • „Gute gesunde Schule entwickeln - mit Lehrergesundheit Schulqualität sichern“ (Nordrheinwestfalen, Universität Lüneburg)

Daneben gibt es eine Vielzahl von Publikationen zu diesem Thema. In Bezug auf musiktherapeutische Forschungsarbeiten zum Themenkomplex Lehrergesundheit kann mein derzeitiger Recherchestand jedoch keine Ergebnisse aufweisen.

Ziele der Arbeit und Berücksichtigung des Forschungsstandes

Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Angebotspalette für die Lehrergesundheit durch ein integra-tives musiktherapeutisch orientiertes Programm mit präventivem Ansatz zu erweitern, selbiges durchzuführen und zu evaluieren. Die Evaluation selbst hat dabei sowohl summative als auch reflexive Funktion, wobei nicht nur der Erfolg des Programms bewertet wird, sondern auch didaktische Verbesserungsvorschläge sich herauskristallisieren sollen. Durch die Evaluation sollen zugleich für Wissenschaft und Forschung Datengrundlagen in Bezug auf die Verwendung musikbezogener Methoden in der Erwachsenenbildung geschaffen werden.

Fragestellungen

Die Fragestellungen der Forschungsarbeit beziehen sich auf die Gestaltung und Wirksamkeit des Programms. Von besonderem Interesse sind die Stärken und Schwächen einer musiktherapeutisch orientierten Vorgehensweise. Konkrete Fragen in Bezug auf die (qualitative) Evaluation lauten beispielsweise:

  • Können sich die Teilnehmer auf Aufgabenstellung, welche ein aktives Musizieren verlangen einlassen? Wo liegen mögliche Hindernisse?
  • Wie bewerten Teilnehmer den Einsatz von Instrumenten bzw. musiktherapeutischer Vorgehensweisen im Rahmen der Fortbildung; halten sie diesen für sinnvoll?
  • Inwiefern gelingt eine Erlebnisaktivierung im Rahmen des Programms? Welche Wirkung hat das ganzheitliche und emotionale Lernen - vermittelt durch die Musik - auf die Teilnehmer?

Beschreibung des Programms und Funktion musiktherapeutischer Methoden

Das Programm verfolgt sowohl inhaltliche als auch handlungsorientierte Ziele. Inhaltliches Ziel ist die Vermittlung gesundheitsrelevanter Inhalte (z. B. physiologische Stressreaktionen) im Sinne einer Psychoedukation. Handlungsorientiertes Ziel ist die Initiierung von Verhaltensänderungen sowie die Förderung personaler Fähigkeiten (z. B. Reflexions- u. Kommunikationsfähigkeit) im Bezugsrahmen der individuellen Gesundheitsförderung und individuellen Professionalisierung. Die Auswahl der inhaltlichen Themen der Module begründet sich aus den Erkenntnissen der Gesundheitsforschung für Lehrkräfte und Schulen. Das Programm gliedert sich in vier Module mit einer Dauer von ca. 2h je Modul:

  1. Der kommunizierende Körper
  2. Gefühle und ihre impliziten Botschaften 
  3. Das Innere Team nach F. Schulz von Thun
  4. Das Harvard Konzept: Konfliktlösung durch Verhandeln

Im Programm werden sowohl aktive als auch rezeptive musiktherapeutische Methoden verwendet. Beispielsweise werden als aktive Methoden Regelspiele bzw. themenorientierte Improvisationen nach Schwabe (1992) eingesetzt („Klangkette“, „Gespräche“). Rezeptiv kommen intentionale und offene Klangreisen nach Oehlmann (2014) zur Anwendung. Der Einsatz der Methoden innerhalb des Programms dient u. a. folgenden Zielen:

  • Erlebnisaktivierung, Erlebnisintensivierung
  • Förderung der eigenen Wahrnehmungs- u. Reflexionsfähigkeit
  • Initiierung von Erkenntnis- und Selbstreflexionsprozessen
  • Förderung eines achtsamen und wertschätzenden Umgangs miteinander
  • Erweiterung des emotionalen Ausdrucks
  • Verbesserung emotionaler Schwingungsfähigkeit
  • Stärkung des Selbstwertgefühls
  • Förderung von Wohlbefinden und Entspannung, Ressourcenaktivierung

Quantitative und qualitative Evaluation als Forschungsdesign

„Evaluation ist die systematische Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden zur Beurteilung des Konzepts, des Designs, der Umsetzung und des Nutzens sozialer Interventionsprogramme. Evaluatoren nutzen sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden, um die Art und Weise, in der Gesundheits- [und] Bildungs[maßnahmen] […] durchgeführt werden, zu beurteilen und zu verbessern“ (Wottawa, 2001, S. 650).

Bei dem geplanten Forschungsprojekt handelt es sich um eine sog. „interne Evaluation“, d. h. die Evaluation wird von der gleichen Person vorgenommen, welche auch das Programm selbst durchführt. Diese Art der Evaluation hat allgemein den Vorteil, dass sie mit relativ geringem Aufwand rasch durchführbar ist, der Evaluierende über die nötige Sachkenntnis bezüglich des Evaluationsgegenstandes verfügt sowie Evaluationsergebnisse unmittelbar umsetzen kann. Nachteil dieser Art der Evaluation ist die Gefahr der mangelnden Unabhängigkeit bzw. Distanz des Evaluierenden, wobei in dem Forschungsprojekt durch die Auswahl geeigneter Forschungsmethoden dieser Gefahr vorgebeugt wird.
Die Evaluation folgt einem Mixed-Methods-Ansatz, der quantitative und qualitative Untersuchungspläne integriert sowie auf die vier Ebenen der Evaluation nach Kirkpatrick abzielt. Diese vier Ebenen können als Standard für die Evaluation von Weiterbildungsmaßnahmen angesehen werden können (vgl. Jost 2006, S. 111ff.):

  • Ebene 1: Zufriedenheit, Meinung (reaction)
  • Ebene 2: Können, Lernen (learning)
  • Ebene 3: Anwendung (behaviour)
  • Ebene 4: Wirkung, Ergebnisse (results)

„Auf der ersten Ebene wird der Fortbildungserfolg an den unmittelbaren Reaktionen der teilnehmenden Lehrpersonen festgemacht. Lehrkräfte werden also um Einschätzungen ihrer Zufriedenheit gebeten und nach der Akzeptanz der Fortbildung gefragt.“ (Lipowsky 2015, S. 12).
Die zweite Ebene fokussiert auf das Gelernte der Teilnehmer. Dabei geht es nicht nur um den Erwerb neuen Wissens, sondern auch um die Veränderung von Überzeugungen, Erwartungen, Interessen und Motivationen (vgl. ebd., S. 13).
In Bezug auf die dritte Ebene wird der Praxistransfer überprüft, d. h. ob eine Anwendung des Gelernten im Alltag stattfindet. Konkret kann dies in Bezug auf das Programm „Gesund leben, gesund lehren“ z. B. bedeuten, dass die Teilnehmer eine für sie selbst definierte gesundheitsfördernde Maßnahme im Alltag umgesetzt haben.
Nach Jost (2006, S. 120) will die „Veränderung von Wissen und Können […] und die daraus folgende Anwendung in der Praxis […] je nach Kursintention bestimmte Wirkungen erzielen“. Im durchgeführten Programm liegen die intendierten Wirkungen (Ebene 4) in der Verbesserung der Erholungs-Belastungs-Bilanz, erfasst durch den quantitativen Fragebogen (siehe Forschungsmethoden).

Quantitative Teilstudie

Bei der quantitativen Teilstudie handelt es sich um ein Quasi-Experiment, genauer um einen Zeitreihenversuchsplan mit nichtäquivalenter Kontrollgruppe. Dabei ist eine Teilnehmergruppe von ca. 80-100 Personen (Teilnehmer des Programms und Kontrollgruppe) geplant. Den Teilnehmern des Programms als auch der nichtäquivalenten Kontrollgruppe wird im Rahmen des Quasi-Experiments gleichzeitig derselbe Fragebogen zu drei Zeitpunkten vorgelegt: unmittelbar vor Beginn eines Programms, 3 Tage nach dem Programm sowie - „follow-up“ - drei Monate später. Durch die drei Messzeitpunkte können dauerhafte Wirkungen des Programms festgestellt werden. Nach Huber (2000, S. 174) sind Quasi-Experimente für „Un-tersuchungen im Feld bzw. feldähnlichen Bedingungen besonders wichtig, weil sie hier oft das methodisch schärfste Werkzeug sind, das eingesetzt werden kann.“
Als standardisiertes Forschungsinstrument wird ein Fragebogen (RESTQ-Basic-48) aus der Sammlung der „RESTQ/EBF“ (Recovery-Stress Questionaires/Erholungs-Belastungs-Fragebögen) von Kallus und Kellmann (Hrsg.), erschienen 2016, eingesetzt. Die zwölf Skalen des Fragebogens identifizieren den gegenwärtigen Erholungs-Beanspruchungs-Zustand und bieten ein vollständiges Bild des aktuellen Ausmaßes von Belastung und Erholung der Probanden. Der Fragebogen verwendet eine Likert-Skala von 0-6 und kann mit einer Bearbeitungszeit unter 10 Minuten als ökonomisch bezeichnet werden. Zur Auswertung des Fragebogens stehen Mittelwerte und Standardabweichung zu Verfügung.

Qualitative Teilstudie

„Qualitativ orientierte Evaluationsforschung stellt einen Bereich neuerer Forschungsansätze dar, der gerade in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. […] Überall, wo Evaluation bzw. wissenschaftliche Praxisbegleitung abläuft, sind auch qualitative Ansätze sinnvoll einsetzbar. Sie sind besonders dann wichtig, wenn keine klaren Effizienzkriterien aufzustellen sind und wenn die Veränderungen in einem komplexen, sich verändernden Praxisfeld stattfinden“ (Mayring 2002, S. 62f.).
Ein qualitativer Fragebogen soll Aussagen der teilnehmenden Lehrkräfte am Ende des Programms erfassen (z. B. Bewertungen u. Meinungen, Vorschläge zur Verbesserung, Gefühlszustände u. Gedanken während der Fortbildung). Ergänzende qualitative Fragestellungen bei der „follow-up“-Untersuchung sollen Aufschluss über individuell geplante und/oder stattgefundene Gesundheitsmaßnahmen der Teilnehmer bringen. Nach Möglichkeit sollen bei Auswertung und Interpretation der Daten Querbezüge zur quantitativen Teilstudie hergestellt werden.

Literaturverzeichnis

  1. Hillert et al. (2012): Lehrergesundheit. AGIL – das Präventionsprogramm für Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf. Stuttgart: Schattauer
  2. Hillert et al. (2014): Psychische Erkrankungen von Lehrkräften: Berufsbezogene Therapie- und Präventionsangebote. In: Empirische Pädagogik, 28. Jg., Heft 1, S. 190-204
  3. Huber, Oswald (2000): Das psychologische Experiment: Eine Einführung. 3. Aufl., Bern: Hans Huber
  4. Jost, Reischmann (2006): Weiterbildungsevaluation. Lernerfolge messbar machen. 2. Aufl., Augsburg: Zentrum für interdisziplinäres erfahrungsorientiertes Lernen (ZIEL)
  5. Kallus, K. Wolfgang & Kellermann, Michael (2016, Hrsg.): The Recovery-Stress Questionaires: User Manual. Frankfurt am Main: Pearson
  6. Lipowsky, Frank & Rzejak, Daniela (2015): Das Lernen von Lehrpersonen und Schülern/ -innen im Fokus. Was zeichnet wirksame Lehrerfortbildungen aus? In: forum Lehrerfortbildung, o. Jg., Heft 46, S. 11-50
  7. Mayring, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. 5., überarbeitete und neu ausgestattete Aufl., Weinheim: Beltz
  8. Oehlmann, Johannes (2014): Die Klangreise. Eine Reise nach innen mit ursprünglichem Klängen und Rhythmen. Wiesbaden: Reichert
  9. Schwabe, Matthias (1992): Musik spielend erfinden. Improvisieren in der Gruppe für Anfänger und Fortgeschrittene. Kassel: Bärenreiter
  10. Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland (2012, Hrsg.): Empfehlungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule. Online im Internet:
    URL: http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_11_15-Gesundheitsempfehlung.pdf [Stand 13.12.2016].
  11. Statistisches Bundesamt (2014): Bildung, Forschung, Kultur. Online im Internet:
    URL: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Schulen/Schulen.html [Stand 13.12.2016].
  12. Wottawa, Heinrich (2001) Evaluation. In: Krapp, Andreas & Weidemann, Bernd (2001, Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. 4. vollständig überarbeitete Auflage, Weinheim: BeltzPVU, S. 647-673