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Im Januar in der ULB-Galerie zu sehen: die Arbeiten des Unifotografen 2018

Fotos

© Florian Glaubitz
  • Tapetenwerk Leipzig
    © Johannes Ernst
  • © Florian Glaubitz
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  • Heidelberger Kunstverein, "Crossing" von Florian Glaubitz und Robin Kirchner
    © Florian Glaubitz

Seit Anfang des Sommersemesters ist der Fotograf Florian Glaubitz in der Universität unterwegs. Als Sieger des Wettbewerbs „Unifotograf_in 2018“ stellt er sich der Herausforderung, aus seinen Beobachtungen und Begegnungen auf dem Campus ein Fotoprojekt zu entwickeln. Nach einem Diplom an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig bereitet Glaubitz derzeit seine Meisterschülerprüfung an der Kunsthochschule Mainz vor.  Zur Halbzeit seines Münster-Projekts hat sich Florian Glaubitz mit Eckhard Kluth über seine Arbeit unterhalten. UKK bringt einen Ausschnitt aus diesem Gespräch:  

Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Florian Glaubitz, dem Künstler, und einem Florian Glaubitz, der nur unterwegs ist?

Jetzt gerade eigentlich nicht. Aber ich habe tatsächlich so Phasen. Vor zwei Jahren war ich zum Beispiel in Japan. Da habe ich mich ganz bewusst entschieden, die Kamera zuhause zu lassen und einfach nur zu schauen und wahrzunehmen. In den drei Wochen habe ich nur Sachen aufgeschrieben und Material gesammelt. An ein konkretes Projekt habe ich damals aber nicht gedacht.

Für mich ist die Kamera auf Reisen oft so etwas wie eine Gedächtnisstütze, um einen Eindruck oder ein Setting festzuhalten.

Das habe ich während der ersten Jahre meines Studiums auch gemacht. Meine Kompaktkamera war immer dabei und ich habe alles fotografiert – Freunde, Orte – die ganze Zeit. Diese ersten Bilder hatten was sehr momenthaftes, als wären sie im Rausch entstanden. Nan Goldin war damals ein Vorbild. Aber dann dachte ich, dieses exzessive Leben, das Goldins Bilder so besonders macht, habe ich eigentlich gar nicht.

Der Stilwechsel kam in Island, wo ich für einige Monate mit Freunden ein Haus gemietet hatte. Dort hat sich alles entschleunigt.  Eigentlich waren wir zum Zeichnen dort. Aber anstatt zu zeichnen, entschied ich mich einen der Mitreisenden zu fotografieren, jeden Tag. Damals war ich sehr beeindruckt von einem Buch Seiichi Furuyas. In diesem Fotoband begleitet er seine Frau während ihrer Krankheit bis zu ihrem Tod. Wie Goldins Fotos waren Furuyas Bilder tagebuchartig, aber stiller. Mir gefiel diese intensive Art der Beobachtung.

Haben Sie deshalb der klassischen Filmkamera gegenüber einer Digitalkamera den Vorzug gegeben? Mit nur 36 Aufnahmen pro Film hat der Druck auf den Auslöser ja eine ganz andere Bedeutung.

Seit Anfang meines Studiums in Leipzig habe ich immer auf Film fotografiert. Technik steht nicht im Vordergrund meiner Arbeit, sie gehört einfach zu meiner Arbeitsweise. Der Ausgangspunkt für meine Diplomarbeit war zum Beispiel die Erinnerung an Keramik von Hedwig Bollhagen, mit der ich aufgewachsen bin. Die Malerei auf den Tassen und Tellern, die Farben – das war meine erste Begegnung mit Kunst. Anfang der 90er Jahre hatte meine Mutter das ganze Geschirr leider weggegeben und ich hatte das Gefühl, ich müsse das irgendwie zurückholen.

In dem Projekt ging es mir dann aber nicht um Bollhagen, sondern um ihr Material. Beim Besuch verschiedener Werkstätten wurde mir bewusst, wie sehr ich diese körperliche Arbeit mit Material und die Bewegung in meinem Studium vermisst habe. Wenn Töpfer den Ton auf der Drehscheibe mit ihren Fingern hochziehen, das ist eine supersinnliche Erfahrung. Die Berührung des Tons mit der Hand wurde für mich zum Schlüsselbild. Deshalb wollte ich, dass der Ton in seinen verschiedenen Zuständen zu sehen ist – wie menschliche Zustände.

Ein Töpfer oder Bildhauer sieht unmittelbar das Ergebnis seines Tuns. Bei der Film-Fotografie dagegen verschwindet das Gesehene zunächst in der Kamera und wird erst wieder sichtbar, wenn Sie den Film entwickelt haben.

Tatsächlich brauche ich diesen zeitlichen Abstand, um zu verstehen, was ich da gemacht habe. So denke ich gerade viel an Bilder, die ich vor zwei, drei Jahren gemacht habe und die sehr persönlich aufgeladen waren. Jetzt, nachdem ich das verarbeitet habe, können die Bilder auch anders eingebettet werden und mit anderen Bildern zusammen funktionieren.

Das war bei meiner Diplomarbeit ganz ähnlich. Als ich über die Fotos aus den verschiedenen Werkstätten nachgedacht habe, merkte ich, dass ich die zusammen mit Porträts zeigen möchte. Das waren Porträts von Kommilitoninnen, deren Arbeiten ich sehr schätze, und die ich auf diese Weise in meine Ausstellung hinein holen wollte. Ton wird meistens mit Weiblichkeit assoziiert, ähnlich wie die Weberei. Dieses Denken, "Das ist Textil, das muss eine Frau gemacht haben", ist aber doch Quatsch.

In Mainz sind Sie Meisterschüler in der Zeichnungsklasse von Adrian Williams. Wie passt dies für Sie zur Fotografie?

In der Klasse wird mit vielen unterschiedlichen Medien gearbeitet. Dadurch ist die Atmosphäre sehr offen. Es geht hier nicht nur um die fertige Arbeit. Alle sind bereit die anderen am ganzen Entwicklungsprozess teilhaben zu lassen. Und weil die Leute in Mainz aus unterschiedlichen Bereichen kommen, kann ich immer etwas aus den Gesprächen mitnehmen, und wenn es nur ein guter Gedanke ist.

Selbstverständlich ist Zeichnen ein Bestandteil unserer Klassentreffen. Einmal die Woche zeichnen wir gemeinsam, lesen uns vor und essen gemeinsam. Adrian ist Gemeinschaft sehr wichtig. Das schätze ich sehr an ihr. So habe ich auch die Arbeiten der Schweizer Künstlerin Silvia Bächli für mich als Inspirationsquelle entdeckt.

Bilder von Bächlis Zeichnungen findet man im Internet und da sehe ich vor allem Linien, nur wenig Farbe, eher Strukturen als Motive.

Silvia Bächli hat sich auch länger in Island aufgehalten. Von meiner eigenen Islanderfahrung her kann ich sehr gut nachvollziehen, woher diese reduzierte Farbigkeit kommt. Diese Gletscherlandschaft hat einfach nicht mehr Farbe. Und der Blick für Strukturen gefällt mir gut. Bei meinen Webstuhlfotos gab es ganz viele Seh-Missverständnisse. Einige Betrachter dachten, das wären Fotos von Wildschweinfellen oder Federn. Manche glaubten auch die Bilder seien digital erstellt – zu irritieren gefällt mir. Dass die Leute nicht bei den Strukturen stehen geblieben sind, sondern ihre Assoziationen eingebracht haben, fand ich interessant.

In ihren Ausstellungen präsentiert Bächli ihre Blätter oft ungerahmt. Sie sind unregelmäßig an der Wand montiert oder liegen auf Tischen, als käme es auf das einzelne Blatt gar nicht an, sondern auf die Bezüge untereinander.

Das finde ich total spannend. Mir ist es wichtig, Ausstellungen für einen spezifischen Raum zu entwickeln. Im Idealfall habe ich den Raum vorher gesehen und kann vor Ort entscheiden, welches Bild wo und wie groß gezeigt wird. Das sind Entscheidungen, die oft auch erst bei der Probehängung getroffen werden.

Meine Bilder haben keine feste Größe. Wenn ich eine klare Vorstellung von der Hängung habe, messe ich die verschiedenen Formate aus, und dann werden die Bilder in der passenden Größe abgezogen. Auch meine Rahmen haben kein Normmaß. Sie werden den Fotografien entsprechend gebaut, nicht anders herum. Das heißt nicht, dass meine Fotografien per se gerahmt sein müssen. Ein loser Abzug an der Wand hat auch seinen Reiz. Ich entscheide immer dem Bild entsprechend.

Sie haben jetzt mehrfach von Ihrer Faszination für Zeichnung gesprochen …

Bei meiner Art zu zeichnen mag ich, dass es so schnell geht. Auf dem Blatt folgt Strich auf Strich, das ist total befreiend so zu arbeiten. Bei der Fotografie habe ich das nicht.

Finden Sie Fotografie so langsam?

Ja, meine Fotografie ist langsam. Irgendwie bin ich langsam. (lacht)

Der Moment, in dem ich fotografiere, vergeht eigentlich recht schnell. Aber die Vorbereitungen dauern lange. Bei einem Porträt kann das schon mal eine Weile dauern. Es ist auch manchmal schwierig, im Gespräch den Absprung zu finden und die Kamera in die Hand zu nehmen. Die Situation muss für beide Seiten stimmig sein.

Auf dem Campus fotografieren Sie aber nicht nur Menschen, sondern auch Orte oder Objekte. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich auch da Zeit für eine Annäherung nehmen. So sprechen Sie immer wieder vom Botanischen Garten als führten sie mit diesem Ort einen stillen Dialog. Kann man das so sagen?

Ja, das hört sich gut an. Den Garten mag ich sehr. Bei jedem Besuch entdecke ich neue Wege und es verändert sich ständig etwas. Und zu verschiedenen Tageszeiten herrschen ganz unterschiedliche Lichtverhältnisse und Stimmungen.

Das klingt so, als wären auch diese Fotos keine dokumentarischen Fotos, sondern Porträts.

Ja. Darüber habe ich auch schon nachgedacht, aber ich möchte durch die aufgebrachte Zeit eine intensive Auseinandersetzung mit dem von mir Vorgefundenen erleben. Ich denke, das wird dann auch auf den Fotos sichtbar sein.

Am Anfang meiner Zeit in Münster dachte ich oft, ich müsste für Monate hierherziehen, um genügend Material zu bekommen. Aber das ist ja totaler Quatsch. Inzwischen hab‘ ich das Gefühl, es entsteht interessantes Material, da kann ich beruhigt weitermachen.

In Leipzig hat sich eine freie Klasse aus ehemaligen und gegenwärtigen Studierenden der HGB zusammengefunden. Mit denen kann ich immer wieder über meine Arbeit sprechen, was manchmal bis tief in die Nacht geht. Auch wenn ich ganz viel mit mir selber ausmache, brauche ich ab einem gewissen Punkt die Anderen wie eine Art Spiegel. Ich mag es auch, Ausstellungen im Dialog zu entwickeln. Für meine letzte Ausstellung im Heidelberger Kunstverein, habe ich mich mit meinem Projektpartner Robin Kirchner getroffen und gemeinsam das Material gesichtet. Durch den Kontrast wurde mir auf einmal sehr vieles bewusst, was meine eigene Arbeit betrifft.

Sie sprechen viel von Austausch und Dialog mit anderen Menschen bei der Entwicklung Ihrer Projekte und mit anderen Arbeiten in Ihren Ausstellungen. Damit verändert sich der Status der einzelnen Arbeiten, denn die Bedeutung ändert sich, wird fließend. Dieses dynamische Element, passt das für Sie zur Fotografie, die doch eher festhält, verewigt?

Das ist so ein Aspekt, warum mir die Fotografie irgendwann wohl nicht mehr ausreichen wird. Aber ich hab‘ noch einige Dinge im Kopf, die ich als Fotograf machen möchte. Da werden in jedem Fall dann auch andere Sachen dazu kommen. Und ich freue mich immer, wenn mich die Arbeiten von Anderen überraschen.

Aber jetzt ist erst mal Münster dran. Die Bedeutung des Dialogs könnte vielleicht in den Titel der Ausstellung eingehen, ich müsste nur ein anderes Wort dafür finden.

Die Ergebnisse des Aufenthalts von Florian Glaubitz an der Universität Münster sind vom 18. bis zum 27. Januar 2019 in der ULB-Galerie gegenüber dem Haupteingang der Universitätsbibliothek, Krummer Timpen 3, zu sehen. Die Ausstellung wird am 17. Januar um 18 Uhr eröffnet.