• Dissertationsprojekt

    Arbeitstitel: Form und Formung. Biographisches Schreiben in der spätmittelalterlichen Mystik als epistemische Modellbildung

    Wiederholt ist in der literaturwissenschaftlichen und theologischen Forschung die besondere Intimität spätmittelalterlicher Gnadenviten betont worden. Stets wird die ins Höchste gesteigerte Weltabkehr der Erlebnismystikerin (oder in selteneren Fällen: des Erlebnismystikers), seine/ihre intensive vita contemplativa und der daraus resultierende Aufstieg der mit Gnaden übergossenen Seele vom irdischen ‚Vielen‘ ins göttliche ‚Eine‘ herausgestellt. Bei der Lektüre der dominikanischen Texte und unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands drängt sich jedoch immer wieder eine Frage auf, die in der Forschung bisher vernachlässigt worden zu sein scheint: Welches spezifische Interesse konnte in mittelalterlicher Zeit daran bestehen, mystische Aufzeichnungen, welche fast immer im (geheimen) Privaten und nur auf Drängen des zuständigen Beichtvaters oder Kaplans in fast tagebuchhafter Manier niedergeschrieben wurden, editorisch zu bearbeiten und zu allgemein zugänglichen ‚Publikationen‘ weiter zu entwickeln? Versuche, die Zweckhaftigkeit dieser Texte mit Marktorientierung oder reiner Erbaulichkeitsintention zu begründen, müssen m.E. jedoch notwendigerweise unterkomplex bleiben, wendet man seinen Fokus bei der Vitenlektüre vom Einzelschicksal der Protagonistin / des Protagonisten ab und verstärkt der Diegese im Ganzen zu. Eine holistische Perspektive auf den Text, die dann auch notwendigerweise eine genauere Fokussierung auf die Erzählinstanz sowie mitunter auch einen raum- und zeitbasierten Blick auf das Textuniversum erfordert, ist – soweit ersichtlich – bisher nur recht selten anzutreffen. Ein metaperspektivischer Blick auf die Texte offenbart, dass sie – manchmal nur indirekt, manchmal in aller Deutlichkeit – spezifische Universen erschaffen, die vom Leser bzw. Hörer im Rezeptionsvorgang ausimaginiert und visualisiert werden. Diese Universen sind jene raumzeitlichen Entitäten, in denen Gnadenhandlung und Heilsgeschehen (die Erlösung der Seele von allem Bösen und die maximale Annäherung an die Gottheit) entfaltet werden.
    An dieser Stelle nun werden die Begriffe der literarischen Form und des Modells relevant. Da die Materie des göttlichen Heilsgeschehens aus mittelalterlicher Sicht für den Menschen grundsätzlich unvorstellbar und daher unverfügbar ist, dennoch aber erzählt werden muss, kommt es nun der Literatur zu, das prinzipiell Unvorstellbare und Unverfügbare durch dessen ‚Umkodierung‘ in narrative Schemata und Topoi sowie menschlich-soziale Interaktionsparadigmen vorstellbar und damit verfügbar zu machen.
    Ziel des Dissertationsprojekts ist es, anhand eines sorgfältig zusammengestellten Textkorpus’ jene literarischen Strategien und Verfahren zu ermitteln, mit welchen die erlebnismystische Vitenliteratur des Spätmittelalters das unbegreifliche Göttliche modelliert, formt und auser-zählt. Es soll gezeigt werden, dass diese neben der reinen Darstellung kontemplativer und begnadeter Einzelschicksale auch eine an den Konvent gerichtete mystagogische Komponente aufweist: in der Produktion die Modellierung menschlicher Weltwahrnehmung und in der Rezeption ihre Ausformung zu einem geschlossenen, theologischen Weltbild.

  • Vita

    seit Oktober 2016 Promotionsstipendiat am Graduiertenkolleg Literarische Form. Geschichte und Kultur ästhetischer Modellbildung der WWU Münster
    2013 – 2016 Studium der Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Abschluss: Master of Arts
    2014 – 2016 Studentisches Volontariat am LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, Forschungsstelle „Westfälischer Friede“
    2013 – 2016 Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl Prof. Dr. Bruno Quast, Abteilung Literatur des Mittelalters, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
    2010 – 2013 Studium der Fächer Germanistik und Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Abschluss: Bachelor 2-fach