Ein "ganz großer Moment". Hubert Wolf mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet

Ernst Osterkamp als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung überreicht Hubert Wolf den Sigmund-Freud-Preis
Ernst Osterkamp als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung überreicht Hubert Wolf den Sigmund-Freud-Preis
© Andreas Reeg/Deutsche Akademie

Am Samstag, 6. November 2021, wurde Hubert Wolf von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand im Staatstheater Darmstadt statt. Neben dem Sigmund-Freud-Preis wurden auch der Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay an Franz Schuh und der Georg-Büchner-Preis an Clemens J. Setz verliehen.

Ein schwungvoller Erzähler und präziser Analytiker

In seiner Laudatio würdigte der evangelische Theologe Christoph Markschies Hubert Wolfs herausragenden Sprachstil und sein Talent, "schwungvoll erzählen" und gleichzeitig "präzise Analysen" liefern zu können. Dies werde schon an den kurzen Titeln seiner Publikationen deutlich. "Die Kürze verrät eine auch auf den Seiten nach Außen- und Innentitel um Knappheit, Prägnanz und Präzision bemühte Argumentation – und diese Charakteristika prägen auch den Sprachstil." Besonders betonte der ebenfalls als Kirchenhistoriker tätige Markschies: "Hubert Wolf kann meisterlich erzählen, obwohl er Akten ediert." Das sei keine Selbstverständlichkeit. Ebenso hob Wolfs Berliner Kollege das vielfältige, in verschiedene Sprachen übersetzte Schaffenswerk des Preisträgers hervor, das vom berüchtigten Index verbotener Bücher über ein Werk zum Zölibat bis hin zu "Sex and Crime in einem römischen Nonnenkloster" reiche. Gerade die Rekonstruktion in den "Nonnen von Sant’Ambrogio", einem Buch, hinter dem "vierzehn Jahre Forschung zu erahnen sind", komme aufgrund der "engen Verflechtungen dieses schockierend-faszinierenden Sündenbabels mit einem jesuitischen Netzwerk, das über beste Kontakte zum Papst verfügt", wie ein "geringfügig überzeichnender Roman daher", sei aber das, "was sein Untertitel sagt: eine wahre Geschichte". Markschies vergaß überdies nicht, Huberts Wolfs schwäbische Herkunft zu erwähnen, die sich sprachlich "in einer freundlich dem Hochdeutschen angenäherten Form" zeige, aber ihre Wurzeln nicht zu verbergen suche. Zudem sei er ein "ebenso fröhlicher wie selbstbewusster Katholik", dem ein milder "Schuss Ironie" nicht fehle.

Einblicke in die "Akademie für göttliche Sprache"

Hubert Wolf berichtete in seiner Dankesrede von den langjährigen Forschungen in den vatikanischen Archiven. Unter der Überschrift "Einblicke in Dokumente aus den Sammlungen der 'Akademie für göttliche Sprache'"skizzierte der Theologe das Selbstverständnis des römischen Lehramtes, die von Gott geoffenbarten Wahrheiten "durch den Wandel der Zeiten und Sprachen hindurch" authentisch zu interpretieren und zu kontrollieren. Hierfür präsentierte er einige Spotlights aus dem Wirken der im 16. Jahrhundert gegründeten Heiligen Römischen und Universalen Inquisition und der Indexkongregation. Ein prominentes Beispiel sei die Indizierung von Heinrich Heine. Dessen Werke seien aufgrund "lebendigen und geistreichen Stil[s]" nur "umso gefährlicher", wie der zuständige römische Gutachter festhielt. Ebenso führte Wolf in die "geradezu abgezirkelte Sprache" von Eugenio Pacelli ein, der von 1939 bis 1958 als Papst Pius XII. amtierte. Besonders dessen Weihnachtsansprache von 1942 stand im Zentrum der Ausführungen des Kirchenhistorikers. Diese gilt als einzige öffentliche Stellungnahme des Pacelli-Papstes zum Holocaust und wird häufig als Beleg dafür angeführt, dass Pius XII. zur Ermordung von sechs Millionen Juden nicht geschwiegen hat. Wolf problematisierte die entscheidenden Formulierungen. Da der Entwurf der Ansprache trotz Archivöffnung nach wie vor nicht auffindbar und so der Weg zu einer direkten Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte versperrt sei, lieferte Wolf zwei mögliche Interpretationen, warum Pius XII. die Juden in seiner Radioansprache zwar gemeint, aber nicht namentlich genannt hatte. Wolf dankte am Schluss für die große Auszeichnung.

Der mit 20.000 Euro dotierte Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa wird jährlich von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen. Mit ihm werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgezeichnet, "die in deutscher Sprache publizieren und durch einen herausragenden Sprachstil entscheidend zur Entwicklung des Sprachgebrauchs in ihrem Fachgebiet beitragen". Wolf ist nach Karl Barth, Karl Rahner und Gerhard Ebeling erst der vierte Theologe, der diesen seit 1964 vergebenen bedeutenden Preis erhält.