Faulhaber-Tagebücher 1946: Weihbischof war Gestapo-Spitzel

Anton Scharnagl (um 1932)
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Der Münchener Weihbischof Anton Scharnagl hat offenbar mit der Gestapo kollaboriert. Erzbischof Michael von Faulhaber drängte ihn deswegen nach dem Ende des Nazi-Regimes zum Rückzug von seinem Amt. Das zeigt der Jahrgang 1946 der Faulhaber-Tagebücher, die das Forscherteam des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster jetzt online veröffentlicht hat. Die Dokumente ergänzen auf der Seite www.faulhaber-edition.de die Jahrgänge 1911 bis 1919, 1933 bis 1935 und 1945, die schon länger online zugänglich sind.

Wegen der Vorwürfe gegen den Weihbischof herrschte im November 1946 Krisenstimmung im Erzbischöflichen Palais in München. Scharnagl wurde nicht nur beschuldigt, mit der Gestapo kollaboriert und dabei das Domkapitel unterwandert zu haben. Auch Gerüchte über eine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau verstummten nicht. Der Kardinal befürchtete einen Skandal und ein schlechtes Abschneiden des katholisch-konservativen Lagers bei den anstehenden Landtagswahlen. Am 6. November 1946 notierte er daher mit Blick auf Scharnagl: „Also vorher etwas tun, bevor die Bombe platzt. Muß sich vollständig zurückziehen.“ Drei Wochen später bat Faulhaber Papst Pius XII. um einen zweiten Weihbischof für das Erzbistum München und Freising.

Debatte um Schwangerschaftsabbruch nach Vergewaltigung

Die Nachkriegszeit brachte für Faulhaber zahlreiche weitere Probleme mit sich. Dramatisch war zum Beispiel die Lage russischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter, die sich ihrer Repatriierung in die Sowjetunion widersetzten. Zur Zukunft der Juden in Deutschland schrieb Faulhaber, er hoffe, dass diese „normal“ verlaufe. Katholische Mediziner und Geistliche stritten unterdessen heftig über die Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen nach Vergewaltigungen.

Die verbreitete Furcht vor der Ausbreitung des Kommunismus findet im Tagebuch 1946 ebenfalls Widerhall. Der Erzbischof betonte aber die „gute Zusammenarbeit“ mit dem sozialdemokratischen bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner. Das überrascht, denn vor allem in der Kultuspolitik gab es schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten zwischen katholischer Kirche und bayerischer Sozialdemokratie.

Zu weiteren Spannungen kam es 1946 auch im Verhältnis Faulhabers zur US-amerikanischen Besatzungsmacht. Der Erzbischof hatte kein Verständnis für Beschlagnahmungen und Enteignungen von Privateigentum, die ihn offenbar um die Reputation der USA bangen ließen: „Bewahrt das Sternenbanner vor dem geschichtlichen Vorwurf der Unmenschlichkeit!“, schrieb er. Wie seine Tagebucheinträge zeigen, war er fest davon überzeugt, zu den wichtigsten Ansprechpartnern der US-Amerikaner zu zählen.


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Informationen zur Faulhaber-Edition:

Mehr als 40 Jahre lang hielt Faulhaber in seinen Tagebüchern jeden Tag seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten fest. Diese Quelle wird im Projekt „Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)“ wissenschaftlich aufbereitet und im Internet unter www.faulhaber-edition.de veröffentlicht. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Experten entziffern können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf zwölf Jahre angelegte Vorhaben seit dem 1. Januar 2014.

Im Projekt arbeiten Historikerinnen und Historiker, Theologen und ein Informatiker interdisziplinär zusammen. Geleitet wird es von dem Historiker Prof. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf von der Universität Münster. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, in dem die Tagebücher verwahrt werden.

Die Edition wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen, Emotionen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.